Lesenswerte Erkundungen deutscher Befindlichkeiten

Saarbrücken. Aufgewachsen sei er mit Erzählungen vom Krieg. So eigen seien sie ihm geworden, als hätte er sie selbst erlebt. Das habe er nicht verloren gehen lassen wollen, erzählt Winfried Anslinger bei seiner Lesung im Saarländischen Künstlerhaus, veranstaltet mit dem VS Saar

Saarbrücken. Aufgewachsen sei er mit Erzählungen vom Krieg. So eigen seien sie ihm geworden, als hätte er sie selbst erlebt. Das habe er nicht verloren gehen lassen wollen, erzählt Winfried Anslinger bei seiner Lesung im Saarländischen Künstlerhaus, veranstaltet mit dem VS Saar.Anslinger, evangelischer Pfarrer in Homburg und bis dato Autor von Erzählbänden, hat mit "Schmidt & Sohn" eine äußerst voluminöse Familienchronik geschrieben. Sie zieht sich von den 30er bis in die 90er Jahre und beleuchtet die Geschichte unseres Landes in ihren entscheidenden Phasen. Anslinger gibt kleine Eindrücke, liest vor allem von der Kindheit des Ich-Erzählers, von den Gezeiten regelmäßiger Mahlzeiten, von friedlichen Mußestunden, in die aufkommende Fackelzüge der Nazis hineinleuchten. Nebenbei liefert er eine treffliche Typenkunde patriarchalischer Väter. Seine Geschichte besitzt atmosphärische Dichte mit melodiösem, unprätentiösem Tonfall. Ein im Künstlerhaus aufgestellter Plattenspieler spielt Märsche oder "Lili Marleen", während Anslinger das Kinder-Ich des Protagonisten Eingebleutes und vermeintlich Verstandenes über Rassenkunde und Krieg zum Besten geben lässt. Sein Erzähler wird sich einen kreativen Umgang mit der Wirklichkeit angewöhnen, etwas, das Anslinger als charakteristisch für das Nachkriegsdeutschland sieht. Seine drei Generationen umfassende Chronik entfaltet sich langsam, spiegelt fein beobachtete Stimmungen privater und nationaler Art wider, seziert Küchenphilosophie und Parteipolitik mal mit melancholischen Anflügen, mal mit ironischer Bissigkeit.

Lesenswert sind diese Gemütserkundungen deutscher Befindlichkeiten, Verstiegenheiten und deutschen Wahns, entlanggefädelt am Schicksal "ganz normaler Leute". Ein Buch, aus dem Anslinger so kurzweilig vorträgt, wie er sich über dessen Entstehen in Anekdoten verbreiten kann. rr

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