Lehrer erkennen oft nicht die XXL-Begabung

Dillingen. Die Erkenntnis kommt meist mit der Schulzeit: Mit dem eigenen Kind stimmt etwas nicht. Es langweilt sich, unterhält als Klassenclown die Mitschüler und nervt die Lehrer. Das typische Bild eines Schulversagers. "Hier wäre es sinnvoll, etwas genauer hinzuschauen", sagt Herbert Jacob (Foto: IQ-XXL), Leiter der Beratungsstelle Hochbegabung Saarland IQ-XXL

Dillingen. Die Erkenntnis kommt meist mit der Schulzeit: Mit dem eigenen Kind stimmt etwas nicht. Es langweilt sich, unterhält als Klassenclown die Mitschüler und nervt die Lehrer. Das typische Bild eines Schulversagers. "Hier wäre es sinnvoll, etwas genauer hinzuschauen", sagt Herbert Jacob (Foto: IQ-XXL), Leiter der Beratungsstelle Hochbegabung Saarland IQ-XXL. Denn statt des Versagers könnte dort ein Kind mit besonders ausgeprägter Begabung sitzen.

Für Hochbegabte sei das Schulsystem ebensowenig gemacht wie für die weniger Begabten, und das schlage sich oft in mangelnder Leistung nieder. Der Gesellschaft müsse bewusst werden, dass Hochbegabte ebenso gefördert werden müssen wie die schwächeren Schüler. "Und wir müssen uns die Frage stellen, ob wir es uns erlauben können, irgendwelche Begabungsreserven nicht auszuschöpfen", sagt Jacob. Dass Hochbegabtenförderung wichtig ist, hat auch Bildungsminister Klaus Kessler (Grüne) erkannt. "Wir tun ja auch schon Einiges", sagt Kessler. Und belegt es mit steigenden Mitteln im Haushalt: von 66 000 Euro 2009 auf 85 000 Euro 2011.

Rein statistisch gibt es im Saarland je Geburtsjahrgang (etwa 7000 Kinder) 160 bis 170 Kinder, auf die die Definition "Hochbegabt" zutrifft - etwa eines pro Grundschule und 2,1 Prozent des Jahrgangs. Fasst man den Begriff überdurchschnittlicher Begabung etwas weiter, sind es sogar 15 Prozent des Jahrgangs, die einer Förderung bedürfen. Seit zehn Jahren kümmert sich die Beratungsstelle um diese Zielgruppe. Mittlerweile betreut sie 700 Kinder im Saarland.

Die Förderung durch die Beratungsstelle findet auf unterschiedlichen Ebenen statt: Einerseits gibt es kontinuierliche Fördergruppen neben dem Schulunterricht, zusätzlich veranstaltet IQ-XXL Studientage und Sommerakademien, bei denen die Kinder beispielsweise über längere Zeit an einem Thema arbeiten können. und dabei auch akzeptieren müssen, dass es nicht immer einen unmittelbaren Erfolg gibt. "Ziel ist es, den Kindern beizubringen, wie sie ihr Potenzial nutzen können", sagt Jacob. Und Grenzen aufzuzeigen: "Wer in der Schule unterfordert ist, lernt nicht, strukturiert zu arbeiten und mit Frustration umzugehen."

Dietmar Holzapfel, der zwei hochbegabte Kinder hat, lobt die Arbeit der Beratungsstelle: "Wenn unsere Kinder aus dem Förderunterricht kommen, sind sie richtig geschafft", sagt er. Das sei ein positiver Ausgleich, denn im normalen Schulunterricht seien sie sichtlich unterfordert gewesen. Problematisch findet er, dass die Kinder für den Förderunterricht weit fahren müssen. Wenn die Eltern dass nicht leisten können, seien deren Kinder ausgegrenzt. Hier sei die Politik gefragt. Ärgerlich ist er auch darüber, dass "Hochbegabung" oft einen negativen Beigeschmack hat: "Da wird man immer schief angeschaut. Wenn ein Kind stattdessen sportlichen Erfolg hat, finden das alle toll", sagt er. Deshalb würden viele Eltern nur ungern darüber reden.

Jacob sieht ein zentrales Problem in der Erkennung der Hochbegabten: "Lehrer und Eltern sind nicht darauf trainiert, ungewöhnliche Verhaltensmuster zu erkennen", sagt Jacob. Bei unkonventionellen Denkweisen, oder ungewöhnlichen Lösungswegen müsste gleich die Alarmglocke klingeln. Auch Herbert Möser vom Lehrerverband hält es für wichtig, Begabungen und Schwächen früher zu erkennen. Besonders in der Grundschule sieht er da noch deutliche Defizite: "Hier müssten die Fortbildungen ausgeweitet werden", sagt Möser. "Wir müssen die Erkennung stärker in den Fokus nehmen", sagt auch Kessler und weist in diesem Zusammenhang auf ein studienbegleitendes Programm in der Lehrerausbildung hin.

Dass die Förderung Erfolge bringt, zeigt die spätere Entwicklung der Kinder: Sie werden schon frühzeitig an die Universität herangeführt. Unter anderem mit Schnupper-Wochen in den Uni-Laboren in den Herbst- oder Osterferien. Oder mit dem Junior-Studium. Hier können Schüler der 11. oder 12. Klasse auf Empfehlung der Schule parallel Vorlesungen belegen. "Von den Junior-Studenten kommt gut die Hälfte von uns", sagt Jacob.

Meinung

Mit Elite hat

das nichts zu tun

Von SZ-Redakteur

Joachim Wollschläger

Hochbegabung sei kein Stigma, sagt Bildungsminister Klaus Kessler. Was betroffene Eltern berichten, klingt anders. Viele wollen nicht, dass Mitschüler von der Begabung ihrer Kinder erfahren, weil diese sonst ausgegrenzt werden. Gerade hier muss stärker ins Bewusstsein geraten, dass Begabungsförderung nichts mit Elitedenken zu tun hat, sondern einfach mit der Aktivierung aller verfügbaren Talente. Wollen wir in Zukunft nicht von anderen Ländern abgehängt werden, müssen wir ganz besonders daran arbeiten, auch unsere potenziellen Spitzenkräfte frühzeitig zu identifizieren und entsprechend zu fördern.

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