Schlappe für Ministerpräsident Tobias Hans Nach „historischer Niederlage“ der CDU – Hans berät heute Abend über persönliche Konsequenzen“

Update | Saarbrücken · Die CDU erleidet bei der Landtagswahl im Saarland eine historische Niederlage. Im Wahlkampf hatte sie voll auf ihren Spitzenkandidaten gesetzt. Endet nun die Ära von Tobias Hans?

 Tränen auf der Wahlparty: Tobias Hans (CDU), Spitzenkandidat für die Landtagswahl im Saarland, umarmt im Tagungszentrum ·Saarrondo enttäuschte Parteifreunde.

Tränen auf der Wahlparty: Tobias Hans (CDU), Spitzenkandidat für die Landtagswahl im Saarland, umarmt im Tagungszentrum ·Saarrondo enttäuschte Parteifreunde.

Foto: dpa/Uwe Anspach

Plötzlich richten sich im Foyer alle Blicke nach draußen. Tobias Hans steigt aus einer dunklen Mercedes-Limousine. Als der Ministerpräsident das Saarrondo in Saarbrücken betritt, brandet Beifall auf. Es wirkt, als ob sich die Saar-CDU nach ihrer Wahlniederlage aus der Schockstarre lösen würde.

Die Regierungspartei hatte zu einer Wahlparty eingeladen, auf der es nichts zu feiern geben würde. Das war an diesem Wahlsonntag absehbar gewesen, nicht aber die „herbe Niederlage“, von der Hans spricht, als er vor seinen Parteifreunden auf der Bühne steht. Stellenweise ist der CDU-Spitzenkandidat hörbar den Tränen nahe. Andere im Saal lassen ihren Emotionen freien Lauf.

Er werde die Verantwortung übernehmen, sagt der 44-Jährige. „Denn das Wahlergebnis ist mit meiner Person verbunden als Spitzenkandidat.“ Über „persönliche Konsequenzen“ will der Regierungschef am Montag mit der CDU-Landtagsfraktion und dem Parteivorstand beraten. Schließlich geht es um nicht weniger als den „Machtverlust nach 22,5 Jahren“, eine „Zäsur“, wie Hans erklärt. „Es war mir eine Ehre, diesem Land gedient zu haben als Ministerpräsident.“

Als an diesem Wahlabend die erste Prognose die Unionsanhänger erreicht, herrscht zunächst Stille im Raum. Unruhig wird es kurz, als im Fernsehen erstmals über die Möglichkeit einer absoluten Mehrheit der SPD spekuliert wird. Doch als Anke Rehlinger (SPD), die Wahlsiegerin, später auf der Leinwand zu sehen ist, auf Koalitionen angesprochen wird, scheint bei der Union niemand zuzuhören.

Roland Theis, CDU-Kreisvorsitzender in Neunkirchen und Staatssekretär im Justizministerium, ordnet das Ergebnis als „historische Niederlage“ ein. Der CDU-Landtagsabgeordnete Bernd Wegner sagt: „Das ist ein deutliches Zeichen der Wählerinnen und Wähler.“ Er erinnert an 1985, als die SPD unter Oskar Lafontaine den damaligen CDU-Ministerpräsidenten Werner Zeyer ablöste. „Jetzt ist Zeit für Opposition.“ Zu diesem Zeitpunkt steht noch nicht fest, dass die Sozialdemokraten nach dem vorläufigen Wahlergebnis die absolute Mehrheit erlangt haben. 

Ausgerechnet im Endspurt dieses Wahlkampfs hatte sich Hans mit dem Coronavirus infiziert. An den Aktionen seiner Parteifreunde beteiligte er sich mit Hilfe eines Roboters, einem von Hans gesteuerten Bildschirm auf Rädern. Anders als Rehlinger, die während ihrer krankheitsbedingten Auszeit nur als Pappfigur präsent war. Doch eine Pappfigur lässt sich anfassen. Dagegen wirkte der Roboter wie ein Sinnbild für einen Kandidaten, der mittendrin ist, aber doch unnahbar erscheint, wenig greifbar.

Auf die gefühlte Distanz des Ministerpräsidenten zum Bürger dürfte die Wahlniederlage wesentlich zurückzuführen sein. Daran konnte auch das Video vor der Tankstelle nichts mehr ändern, in dem Hans wutschnaubend eine Spritpreisbremse forderte. Hinzu kamen Pannen, etwa bei der Besetzung seines Kompetenzteams, für das Hans neben dem angesehenen Virologen Jürgen Rissland auch eine Kulturbeauftragte gewann, die mit Corona-Leugnern und Impfgegnern marschiert war.

Die CDU-Kampagne war völlig auf einen Spitzenkandidaten zugeschnitten, der nach vier Jahren als Ministerpräsident über keinen Amtsbonus verfügte. Und das, obwohl Hans während der Corona-Pandemie in Umfragen zeitweise enorme Zustimmungswerte erzielte. Zum Verhängnis wurde ihm offenbar die eigene Wendigkeit. Aus dem „Team Vorsicht“ verabschiedete er sich in der Corona-Politik mit den Öffnungsschritten des „Saarland-Modells“. Hans war nicht der einzige Ministerpräsident, der in der Pandemie die Richtung wechselte. Doch er setzte das im Wahlkampf bei anderen Sachthemen fort. Die Saar-CDU schwenkte von G8, dem Abitur nach acht Jahren, plötzlich um zu G9.

Wahrscheinlich entstand im Umfragehoch eine Wahlkampfstrategie, in der es um Hans als Person ging, seltener um seine Partei. Doch vor dem Urnengang in diesem Frühjahr fremdelte das Wahlvolk offenbar zunehmend mit dem Regierungschef. Aus seiner eigenen Partei wurde gestreut, dass sich Hans in der Staatskanzlei mit wenigen Vertrauten abschotte. Die Bundespartei ging nach Medienberichten merklich auf Abstand zu ihm.

Nach 23 Jahren verliert die CDU nun die Staatskanzlei. Das bedeutet eine historische Zäsur, die weit über das Amt des Ministerpräsidenten hinausreicht. Union und SPD haben nicht nur das Land in einer großen Koalition regiert, sondern die Pfründe der Macht unter sich aufgeteilt. Fällt die Union aus der Regierung, hat das nicht nur Auswirkungen auf die Karrierechancen des abgewählten Ministerpräsidenten.

Hans folgte an der Regierungsspitze auf Annegret Kramp-Karrenbauer, die 2017 bei der Landtagswahl mit 40,7 Prozent ein hervorragendes Ergebnis für die CDU eingefahren hatte. Sie verließ das Saarland ein Jahr später, um Generalsekretärin der Union im Bund zu werden. Damals ramponierte die Finanzaffäre um den Landessportverband (LSVS) das Ansehen der großen Koalition in Saarbrücken. Bei der Aufarbeitung hielt Hans sich im Hintergrund. Mit der Digitalisierung besetzte der neue Regierungschef ein Zukunftsthema, das ihn in der Gegenwart nicht angreifbar machte. Hans führte das Land mit einem gehörigen Sicherheitsabstand.

Heute erscheint es folgerichtig, dass dieser Ministerpräsident die größte Popularität erlangte, als das Abstandhalten durch ein Virus zur größtmöglichen Form von Nächstenliebe geriet. Für einen noch unbekannten Landeschef wie Hans bot die Corona-Pandemie die Chance, sich deutschlandweit einen Namen zu machen. Zumal der Christdemokrat die Selbstinszenierung in den sozialen Medien und vor Fernsehkameras beherrscht wie nur wenige Landespolitiker.

Hans erklärte seinen Absturz in den Umfragen mit den schlechten Nachrichten, die er in der Pandemie habe überbringen müssen. Doch anderen Ministerpräsidenten hat die Corona-Politik weniger geschadet, auch nicht das häufige Hin und Her zwischen Bund und Ländern. In Schleswig-Holstein stellt sich Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) im Mai zur Wiederwahl. Bei der Sonntagsfrage legte die CDU im hohen Norden von Januar bis März fünf Punkte zu.

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