Vor 200 Jahren starb der Kaiser der Franzosen Wie Napoleon die Verhältnisse an der Saar umkrempelte

Saarbrücken · Napoleon war wohl nur ein einziges Mal im heutigen Saarland  – im Mai 1812, als er auf dem Weg zum Russlandfeldzug durch Saarbrücken zog. Doch die Spuren, die der Kaiser der Franzosen in der Saar-Region und der angrenzenden Pfalz hinterlassen hat, sind auch heute, 200 Jahre nach seinem Tod, noch deutlich erkennbar.

 Der im Volksmund auch Schlangenbrunnen genannte Napoleonbrunnen in Blieskastel.

Der im Volksmund auch Schlangenbrunnen genannte Napoleonbrunnen in Blieskastel.

Foto: Manuel Görtz

Eigentlich waren es bereits die französischen Revolutionstruppen, die ab 1794 die Region überrannten, sie dem französischen Staat einverleibten und die Lebensverhältnisse der Menschen umkrempelten. Die Historikerin Prof. Gabriele Clemens macht denn auch keinen Hehl da­raus, als was sie den Kaiser der Franzosen sieht: als denjenigen, der die Ideen der Revolution in Gesetze goss und ihnen somit Struktur gab.

„Napoleon schuf eine neue Verfassung, er zentralisierte die Verwaltung und reorganisierte die Justiz, er versöhnte die politischen und sozialen Führungsschichten“, sagt Clemens, die an der Universität des Saarlandes den Lehrstuhl für Neuere Geschichte und Landesgeschichte innehat. Was das konkret für die Saar-Region bedeutete, machte die Historikerin am Montag auch auf einem Online-Vortrag für die Union-Stiftung deutlich: die Bauernbefreiung etwa, die Aufhebung der Zünfte, die Abschaffung der Privilegien und den Aufbau eines bürgerlichen Rechtssystems – Reformen, auf die die Menschen im nicht von Frankreich besetzten Deutschland rechts des Rheins teils noch lange Zeit warten mussten.

So sei es auch nicht verwunderlich, dass die preußischen Truppen nach dem Fall Napoleons und 20 Jahren französischer Herrschaft bei ihrem Einmarsch in Saarbrücken nicht als Befreier bejubelt worden seien. „Man war keineswegs beglückt darüber, ab 1815 von einem weit entfernten protestantischen Herrscherhaus regiert zu werden“, stellt Clemens fest. Die Leute hätten stattdessen dafür gekämpft, ihre von Napoleon erhaltenen Rechte behalten zu dürfen.

Wie groß die Begeisterung der Menschen im heutigen Saarland für den aus eher bescheidenen Verhältnissen zum Kaiser der Franzosen aufgestiegenen korsischen Edelmann war, zeigt auch der Napoleon-Brunnen in Blieskastel – ein Obelisk, dessen mit Goldfarbe ausgemalte Gravur in französischer Sprache den 18. Mai 1804 hervorhebt, als Napoleon der Beschluss des französischen Senats übergeben wurde, der ihn zum Kaiser der Franzosen erklärte – die Legitimation der Volksvertreter für die Kaiserkrönung am 2. Dezember 1804. Blieskastel war damals ein Kanton im durch die Annexion der linksrheinischen deutschen Gebiete entstandenen französischen Département de la Sarre, das neben dem Großteil des heutigen Saarlands vor allem Gebiete an der Mosel umfasste und bis in die Nordeifel bei Blankenheim reichte. Der größte Teil des fast 5000 Quadratkilometer großen Areals hatte zuvor zum Kurfürstentum Trier gehört, aber auch zum Fürstentum Nassau-Saarbrücken und der von den Grafen von der Leyen regierten Grafschaft Blieskastel. Département-Hauptstadt war Trier. Der Kanton Homburg gehörte zum Arrondissement Zweibrücken, das im Département Mont-Tonnaire lag, welches nach dem Donnersberg in der Nordpfalz benannt wurde.

Aber nicht nur neue Verwaltungsstrukturen führten die Franzosen damals ein. Als der römisch-deutsche Kaiser Franz II. im Frieden von Lunéville am 9. Februar 1801 den Anschluss der linksrheinischen Gebiete an Frankreich staatsrechtlich anerkannte, versteigerte die französische Regierung die dort beschlagnahmten Adels- und Kirchengüter. 14 000 Güter auf der linken Rheinseite wechselten zwischen 1803 und 1813 ihren Besitzer, was in einem Département schon einmal zwölf Prozent der gesamten Nutzfläche ausmachen konnte, rechnet Clemens vor. Auch die Fabrikantenfamilien Villeroy und Boch sowie die Stumms hätten erheblich von dieser Besitzumschichtung profitiert. Boch gründete in der ehemaligen Benediktinerabtei Mettlach eine Steingutmanufaktur, aus der später die Keramikfabrik Villeroy & Boch hervorging. Die Eisenproduzenten Stumm kauften 1806 für rund 300 000 Francs Immobilien, darunter zwei Hüttenwerke und Schmelzöfen in Neunkirchen. Mit dem Erlös aus den Versteigerungen finanzierte Napoleon auch seinen gigantischen Militärapparat. Durch die in Frankreich 1793 eingeführte allgemeine Wehrpflicht wurden laut Clemens allein im Saar-Département zwischen 1801 und 1813 insgesamt 13 590 Männer eingezogen. Sie schätzt, dass etwa 5000 davon in den zahlreichen Schlachten des Kaisers der Franzosen ihr Leben ließen.

In Napoleons Militärapparat legte der Saarlouiser Michel Ney eine Blitzkarriere hin. Mit 19 Jahren als Rekrut eingetreten, war er vier Jahre später bereits Hauptmann, mit 27 General und mit 35 schließlich Marschall von Frankreich. Napoleon bezeichnete ihn als „Tapfersten der Tapferen“, und mit dem Stern seines Kaisers sank auch der Stern Neys. Wegen Hochverrats wurde Ney am 7. Dezember 1815 in Paris hingerichtet. Er hatte eigentlich verhindern sollen, dass Napoleon nach dessen Absetzung durch den Senat am 2. April 1814 aus seinem ersten Exil auf der Mittelmeerinsel Elba zurückkehrt, dann aber die Seiten gewechselt.

Napoleon selbst starb – knapp sechs Jahre nach der verlorenen Schlacht bei Waterloo, die ihn endgültig die Macht kostete – am 5. Mai 1821 in der zweiten Verbannung auf der Insel St. Helena. „Was aber geblieben ist, ist das Erbe der Französischen Revolution“, sagt die Historikerin Clemens. Und dieses Erbe wirkt im Saarland und in ganz Deutschland bis heute nach.

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