„Es kommt jetzt auf jeden Tag an“ Tobias Hans warnt vor Ausbreitung des mutierten Coronavirus im Saarland

Ministerpräsident Tobias Hans hat im Landtag am Freitag die verschärften Corona-Maßnahmen begründet. Er befürchtet, dass sich eine Mutation des Virus auch im Saarland ausbreiten wird.

 Ministerpräsident Tobias Hans (CDU) verteidgte die Corona-Maßnahmen.

Ministerpräsident Tobias Hans (CDU) verteidgte die Corona-Maßnahmen.

Foto: BeckerBredel

Der saarländische Ministerpräsident Tobias Hans (CDU) hat am Freitag vor allem ein Anliegen gehabt: Er wollte in der Sitzung des saarländischen Landtages in der Congresshalle die an einigen Stellen verschärften Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie erklären. Die strengere Maskenpflicht, das rigidere Besuchsrecht, die Verlängerung des Lockdowns bis voraussichtlich 14. Februar (wir berichteten)  – diese Verordnungen zu erklären, scheint derzeit von Nöten, sind die neuen Maßnahmen, die der Ministerrat am Donnerstag verabschiedet hatte, doch in der Kritik. Bei der Landtags-Opposition aus Linken und AfD (wir berichteten) und auch bei vielen Saarländer. Erklären musste er auch, da die Zahl der Covid-19-Neuansteckungen zurückgeht. So sind die Inzidenzwerte im Saarland innerhalb eines halben Monats von weit über 200 auf 112 gesunken; der Reproduktionswert liegt auch seit längerem mal wieder unter eins. Und auch die Belegung der Intensivstationen stagniert auf vergleichsweise hohem Niveau. „Alles in allem ist es uns gelungen, ein erneutes exponentielles Pandemie-Geschehen und auch eine Überlastung unserer Kliniken zu vermeiden“, lobte Hans die Mitarbeit der Saarländer.

Dennoch bereiten ihm „die neusten Entwicklungen tiefe Sorgen“, sagte der Ministerpräsident. Und er erklärte warum: „Die neue Virusvariante B.1.1.7 ist weitaus infektiöser als die bisherige Variante. Seine Übertragbarkeit – so wird geschätzt – ist um 50 bis 70 Prozent höher“, warnte Hans, der einen Großteil  seiner Redezeit dafür aufwendete, zu erklären, warum die neue Variante so gefährlich ist. Sein Urteil basiere vor allem auf dem Austausch mit Wissenschaftlern der Universität des Saarlandes, unter anderen mit Thorsten Lehr. Der Professor für klinische Pharmazie hat eine Covid-19-Simulation entworfen, die berechnet wie sich die Pandemie unter verschiedenen Voraussetzungen ausbreiten kann. Nach seinen Berechnungen liege der R-Wert bundesweit derzeit bei knapp unter 0,8, im Saarland bei 0,74. „Um das Pandemie-Geschehen zeitnah unter Kontrolle zu bringen – also im Verlauf des Monats Februar –, müsste der R-Wert auf 0,6 abgesenkt werden, so wie es im ersten Lockdown der Fall war“, rechnete Hans vor. Ziel sei weiter ein Siebentages-Inzidenzwert von unter 50. Da könnten die Gesundheitsämter wieder Infektionen nachverfolgen. Deren Personal werde aufgestockt, kündigte Hans an. Noch im Februar will er den Wert von weniger als 50 Neuinfektionen pro 100 000 Menschen erreichen: „Wir sehen jetzt, dass wir es schaffen können.“

Das Ziel wäre natürlich leichter zu erreichen, wenn die neue Variante weiterhin einen Bogen ums Saarland machen würde. Doch das sei unwahrscheinlich. „Wir müssen uns vorbereiten“, sagte Hans. In Großbritannien und Irland „sehen wir, wie aggressiv sich diese Mutante verbreitet“, warnte Hans. In Irland stieg die Sieben-Tage-Inzidenz von unter 50 Mitte Dezember auf über 900 bis zum 10. Januar. „In weniger als vier Wochen ist sie also nahezu um das 20-Fache in die Höhe geschnellt“, sagte Hans. In London sei die Situation geradezu dramatisch. „An manchen Tagen über 7000 Neuinfektionen innerhalb von 24 Stunden, weit über 100 Tote täglich. Die Sieben-Tage-Inzidenzen liegen in manchen Vierteln bei über 1000. Längst wurde der Katastrophenfall ausgerufen“, berichtete Hans.

Das Universitätsklinikum im Saarland habe bisher 200 positive Abstriche auf diese Variante hin untersucht. „Sie war bisher nicht darunter“, sagte Hans, betonte, dass die Regierung diese Untersuchungen in den kommenden Wochen ausweiten will. „Wir haben hierfür von der Staatskanzlei 80 000 Euro freigegeben“, sagte Hans. Alles in allem „dürfen wir uns nicht in falscher Sicherheit wiegen. Wir müssen damit rechnen, dass sich B.1.1.7 auch bei uns in zwei oder drei Wochen sprunghaft verbreiten wird.“ Jetzt seien wir in einer Situation, in der wir einer drohenden Gefahr bereits im Vorfeld begegnen müssen. „Wir haben nur wenige Wochen Zeit, um die Inzidenz auf ein Niveau zu drücken. Diese Zeit müssen wir nutzen“, sagte Hans. „Es kommt jetzt auf jeden Tag an.“ Daher appellierte der Ministerpräsident in seiner Regierungserklärung, die Regeln einzuhalten. Das gelte vor allem für private Treffen. Es gilt der Grundsatz „Hausstand plus eine Person. Wir appellieren nochmal eindringlich, bei dem einen bestimmten Haushalt und der einen bestimmten Person zu bleiben und nicht ständig die Konstellation zu wechseln“, sagte Hans. Auch das Tragen von medizinischen Masken in öffentlichen Verkehrsmitteln, Arztpraxen und in Geschäften verteidigte er.

Dass die Alten- und Pflegeheimen besser geschützt werden müssen, war eine Forderung der Oppositionsparteien. Um trotz der Überlastung des Personals in diesen Heimen „hinreichend Schnelltestungen vornehmen zu können, werden kurzfristig Bundeswehrsoldaten aushelfen“, berichtete Hans, der auch betonte, dass der Schutz „der sogenannten vulnerablen Gruppen, der Schutz von Menschen in den Alten- und Pflegeheimen“, immer im Fokus der Regierung war.  „Der beste Schutz für diese Menschen ist, dass unsere Maßnahmen wirklich akribisch eingehalten werden. Und da ist jeder in der Verantwortung, der Kontakte zu diesen Menschen hält“, sagte Hans.

Auch an die Wirtschaft appellierte er, ihren Mitarbeitern Homeoffice zu ermöglichen. Das Bundesarbeitsministerium wird eine Verordnung erlassen, „wonach Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber überall dort, wo es möglich ist, den Beschäftigten das Arbeiten im Homeoffice erlauben müssen, sofern die Tätigkeiten es nach ihrer eingehenden Prüfung zulassen“. Dese Verpflichtung soll wohl ab einem Inzidenzwert von 50 pro 100 000 Einwohnern in Kraft treten. Die steuerliche Abschreibung von hierzu benötigter Hardware und Software würde erleichtert. „Ich plädiere ausdrücklich für mehr Homeoffice“, sagte Hans. Die Homeoffice-Quote habe beim ersten Lockdown noch bei fast 30 Prozent gelegen, heute liege bei circa 22 Prozent.  „Da ist also noch viel Luft nach oben“, stellte Hans fest.

Auch die Präsenzpflicht an den Schulen bleibt mit Ausnahme der Abschlussklassen bis zum 14. Februar ausgesetzt, bestätigte Hans. Allerdings: „Eine Betreuung bleibt sowohl in Kitas als auch für Schülerinnen und Schüler bis zur 6. Jahrgangsstufe sowie für Förderschüler sichergestellt.“ Dennoch appellieren „wir aber weiterhin an die Eltern, ihre Kinder möglichst nicht in die Kita oder in die Schule zu schicken. Es deutet Vieles darauf hin, dass die neue Mutante sich auch unter Kindern stärker ausbreitet“. Dann betonte Hans noch einmal „deutlich: Man kann Schulen und Kitas nicht vollständig schließen. Es gibt nun einmal Familien, bei denen die Eltern unabdingbar am Arbeitsort präsent sein müssen. Das müssen wir anerkennen.“ Bei der 1. bis 4. Jahrgangsstufe seien es derzeit 17, bei der 1. bis 6. Jahrgangsstufe gar nur 14 Prozent der Kinder, die aktuell die Schulen besuchen. „Das ist weitaus weniger als in anderen Bundesländern“, sagte Hans, der Eltern, Lehrern und Erziehern für ihren Einsatz dankte. Der sich auch sicher ist: „Die große Mehrzahl der Menschen in unserem Land wird diese Maßnahmen unterstützen. Die breite Mehrheit steht hinter uns. Ich bewundere die Disziplin und die Geduld der Menschen in unserem Land. Die Geduldsprobe ist wirklich immens. Halten wir weiterhin noch eine Zeitlang durch, halten wir noch eine Zeitlang zusammen!“

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