Winterberg-Studie zu Post Covid Viele Klagen über Covid-Spätfolgen – Symptome auch bei vielen Nicht-Infizierten

Saarbrücken · Nicht nur 40 Prozent der ehemaligen Corona-Patienten leiden unter Post-Covid-Beschwerden, sondern auch etwa gleich viele Menschen, die nie an Covid-19 erkrankt waren.

 Auch Menschen, die nie an Covid-19 erkrankt waren, aber glauben, dass sie infiziert waren, leiden unter Beschwerden, die Post Covid zugeordnet werden. Vor allem sind es Abgeschlagenheit und Konzentrationsschwächen. Bis zu 40 Prozent der Nicht-Infizierten klagen über solche Symptome.

Auch Menschen, die nie an Covid-19 erkrankt waren, aber glauben, dass sie infiziert waren, leiden unter Beschwerden, die Post Covid zugeordnet werden. Vor allem sind es Abgeschlagenheit und Konzentrationsschwächen. Bis zu 40 Prozent der Nicht-Infizierten klagen über solche Symptome.

Foto: TÜV Rheinland AG

In einer aufwendigen Studie haben sich fünf Mediziner des Winterberg-Krankenhauses mit den Spätfolgen einer überstandenen Corona-Infektion befasst, mit Post Covid. Der Begriff bezeichnet Beschwerden, die  mindestens zwölf Wochen nach der Infektion noch bestehen. Mit Long Covid sind hingegen Symptome gemeint, die auch vier Wochen nach der Infektion noch andauern.

Die Studie zeigt, dass weit über ein Drittel der ehemaligen Corona-Patienten, die die Infektion überlebt haben, unter Post-Covid-Symptomen leidet: körperliche Erschöpfung, Konzentrations- und Gedächtnisprobleme, Atemnot, Muskel- und Gelenkschmerzen sowie Kopfschmerzen. „62 Patienten oder ihre Angehörige, also 38,3 Prozent der kontaktierten Überlebenden, haben über Symptome berichtet, die vor Covid-19 nicht bestanden und seit der akuten Infektion anhalten würden“, sagt Sektionsleiter Prof. Dr. Winfried Häuser von der Klinik für Gastroenterologie, Hepatologie, Diabetologie, Endokrinologie, Infektiologie, Sektion Psychosomatik. Er  verweist auf eine Studie aus Wuhan in China, in der Corona-Patienten ein Jahr nach der Infektion auch medizinisch untersucht wurden. „Der Prozentsatz von anhaltenden Beschwerden nach Covid-19, welche nicht auf eine andere Krankheit zurückgeführt werden konnten, ist vergleichbar der Rate in unserer Studie“, berichtet der Arzt.

„Dass es Langzeitschäden durch Covid-19 gibt, ist wissenschaftlich nicht umstritten“, sagt Häuser. „Doch einige Symptome, die Post Covid zugeschrieben werden, haben damit nichts zu tun.“ Die Winterberg-Ärzte kommen zu dem Ergebnis, dass beispielsweise Abgeschlagenheit und Konzentrationsprobleme häufig unabhängig von einer vorherigen Sars-CoV-2-Infektion auftreten. „Da kann alles Mögliche dahinterstecken“, sagt Häuser. Weiterhin lasse sich nicht bei allen Patienten ausschließen, dass anhaltende Beschwerden bereits vor ihrer Corona-Erkrankung vorhanden waren. Und nicht zuletzt würden Symptome, die nach einer Corona-Infektion neu auftreten, zu Unrecht auf das Sars-CoV-2-Virus zurückgeführt.

 Professor Dr. Winfried Häuser ist Sprecher der Autoren der Winterberg-Studie.

Professor Dr. Winfried Häuser ist Sprecher der Autoren der Winterberg-Studie.

Foto: Klinikum Winterberg/Winterberg-Klinik

Auch französische Ärzte wollten wissen, ob andauernde Beschwerden wie Müdigkeit, Atemnot oder Aufmerksamkeitsstörungen tatsächlich die Spätfolgen einer überstandenen Corona-Infektion sind. Bei einer Befragung von 13 731 Frauen und 13 092 Männern gaben 914 der Teilnehmer an, dass sie bereits an Covid-19 erkrankt waren. Darunter waren auch Personen, die nur glaubten, sie hätten die Erkrankung durchlaufen. Denn nicht bei allen hatten Ärzte oder Tests die Infektion bestätigt. Bei allen 914 Personen wurde ein Bluttest gemacht, um Antikörper nachzuweisen. Diese sind ein Beleg dafür, dass die Teilnehmer tatsächlich an Corona erkrankt waren. Aber nur bei 453 Personen wurden Antikörper gefunden. Somit glaubten 461 Studienteilnehmer, unter Post-Covid-Beschwerden zu leiden, obwohl sie nicht mit Covid-19 infiziert waren.

Zu ähnlichen Ergebnissen ist eine Studie der Universitätsklinik Mainz gekommen. Allen 10 250 Teilnehmern wurden Blutproben entnommen. Anhand der nachweisbaren Antikörper hatten sich 502 Personen mit Sars CoV-2 infiziert. Doch nur 62 Prozent wussten von ihrer Infektion. Von den Patienten, die an Covid-19 erkrankt waren, klagten 40 Prozent auch sechs Monate nach der akuten Erkrankung über Beschwerden, die auf Post Covid hinweisen. Die Beschwerden traten unabhängig davon auf, ob die Betroffenen ihre Infektion bemerkt hatten oder nicht. Doch auch mehr als 40 Prozent der Personen, die gar nicht mit dem Corona-Virus infiziert waren, litten unter ähnlichen Symptomen, die über mindestens sechs Monate anhielten.

Die Mediziner vom Saarbrücker Winterberg raten dazu, Symptome wie Müdigkeit und kognitive Probleme interdisziplinär, also von mehreren spezialisierten Ärzten, beurteilen zu lassen. „Depressionen sind nicht in jedem Fall Post-Covid-Beschwerden, sondern können durch die Lockdown-Maßnahmen und Kontaktsperren verursacht worden sein“, erklärt Häuser. Bereits vor einer Corona-Erkrankung bestehende depressive und Angststörungen erhöhen das Risiko für Post Covid, vor allem für anhaltende Müdigkeit und Antriebslosigkeit. „Eine schwere Sars-CoV-2-Infektion steigert das Risiko für posttraumatische Belastungsstörungen. Das ist bei zwei Patientinnen unserer Studie der Fall“, sagt Häuser.

Winfried Häuser hatte frühestens zwölf Monate nach Entlassung der ehemaligen Covid-Patienten der Winterberg-Klinik wieder Kontakt zu ihnen aufgenommen. Durch die persönlichen Gespräche wollte er das Risiko reduzieren, „dass Symptome fälschlicherweise als Post Covid eingestuft werden, obwohl es sich um später entstandene Infekte oder bereits vor der Corona-Erkrankung vorhandene Beschwerden handelt, die mit Covid-19 gar nichts zu tun haben“, erläutert er.

In den Telefoninterviews hat der Mediziner die Überlebenden gefragt, ob sie sich vollständig von Covid-19 erholt haben oder ob sie noch unter anhaltenden Beschwerden leiden, welche sie vor der akuten Infektion noch nicht hatten. Waren die Patienten nicht in der Lage, ein Gespräch zu führen, weil sie zum Beispiel dement waren oder ihr Sprachzentrum gestört war, wurden die Frage nahen Angehörigen beziehungsweise den Pflegern in den Pflegeheimen gestellt.

Es stellte sich heraus, dass 28 von 297 Patienten (9,4 Prozent) innerhalb eines Jahres nach der Entlassung aus der Klinik gestorben waren. Den Angaben der Angehörigen zufolge waren 27 ihren Grunderkrankungen, zum Beispiel Demenz oder Krebs, erlegen. Ein 70 Jahre alter Patient hatte sich umgebracht, weil er den anhaltenden Geruchs- und Geschmacksverlust nicht ertragen konnte. 44 Überlebende waren trotz mehrfacher Kontaktversuche nicht zu erreichen, sodass Häuser letztlich 123 Überlebenden persönlich und bei 39 Überlebenden die Angehörigen beziehungsweise Mitarbeiter des Pflegeheims befragen konnte. Nur einer der ehemaligen Winterberg-Patienten verweigerte das Interview.

Von den ehemaligen Corona-Patienten, die über Post-Covid-Symptome klagen, haben 43 Prozent angegeben, dass sie deswegen gar nicht oder nur oberflächlich medizinisch untersucht worden seien. 32 hatten einen Facharzt aufgesucht, bei Luftnot zum Beispiel einen Lungen-Spezialisten. Patienten, die trotz andauernder Symptome keinen Facharzt in Anspruch genommen haben, nannten dafür Zeitmangel wegen ihrer Berufstätigkeit oder fehlenden Leidensdruck. „Die modere Medizin ist sehr wohl imstande, zu klären, ob Beschwerden auf Post Covid oder aber andere Ursachen zurückzuführen sind“, sagt Häuser. „Allerdings müssen betroffene Personen oft viele Monate auf einen Termin beim Facharzt warten. Und die Ärzte müssen sich besser austauschen, um schnell helfen zu können. Post Covid braucht oft eine interdisziplinäre Abklärung.“

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