Saartalk Corona-Politik im Superwahljahr „Das Vertrauen in die CDU ist erschüttert“

Saarbrücken · „Corona-Politik im Superwahljahr – wo geht’s hin?“ war das Thema des Saartalks von SR und SZ.

 Die Gesprächsrunde von links: SZ-Chefredakteur Peter Stefan Herbst, Journalistin Yasmine M'Barek,  Armgard Müller-Adams, SR-Chefredakteurin, Politikwissenschaftlerin Julia Reuschenbach und Peter Dausend, Korrespondent „Die Zeit“. Im Hintergrund SR-Reporter Jonas Degen.

Die Gesprächsrunde von links: SZ-Chefredakteur Peter Stefan Herbst, Journalistin Yasmine M'Barek,  Armgard Müller-Adams, SR-Chefredakteurin, Politikwissenschaftlerin Julia Reuschenbach und Peter Dausend, Korrespondent „Die Zeit“. Im Hintergrund SR-Reporter Jonas Degen.

Foto: Oliver Dietze

Die Wahlsiege der SPD und der Grünen auf Landesebene seien keine Erfolge der Parteien gewesen, sondern Erfolge der amtierenden Ministerpräsidenten. Das sagt Peter Dausend, politischer Korrespondent für „Die Zeit“. Die rheinland-pfälzische SPD-Regierungschefin Malu Dreyer und ihr grüner baden-württembergischer Kollege Winfried Kretschmann stünden für Vertrauen. Das honorierten Wähler. Solche Persönlichkeiten sieht Dausend, der aus dem Saarland stammt, auf Bundesebene nicht.

Mit den Landtagswahlen in Nachbarland Rheinland-Pfalz und in Baden-Württemberg hat am vergangenen Sonntag das Superwahljahr begonnen. Vier weitere Bundesländer werden eine neue Regierung wählen. Höhepunkt ist die Bundestagswahl im September. Es wird spannend. Zum einen endet die Ära Angela Merkels (CDU). Zum anderen prägt seit über einem Jahr Corona das politische Management. Wie wird sich die Pandemie auf den Wahlkampf auswirken? Wessen Politik beeinflusst die Wähler? „Corona-Politik im Superwahljahr – wo geht’s hin?“ war das die Leitfrage im Saartalk. Die Gastgeber, SR-Chefredakteurin Armgard Müller-Adams und SZ-Chefredakteur Peter Stefan Herbst, diskutierten neben Dausend mit der Politikwissenschaftlerin Julia Reuschenbach und der Journalistin und Polit-Bloggerin Yasmin M’Barek.

Reuschenbach warnte davor, von den Landtagswahlen vorschnell auf die Bundestagswahlen zu schließen. Ein Deutungsnarrativ gebe es dennoch: „Es gibt Mehrheiten jenseits der Union“, sagte sie. Zumal die Union bislang „keine Linie, kein Regierungsprogramm und keinen Kanzlerkandidaten“ vorgestellt hat, ergänzte M‘Barek. „Was ist zukunftsweisend für nach der Pandemie?“ Das spiele bei den Wählern derzeit auch eine Rolle, wenn auch unterbewusst. Großer Verlierer der vergangenen Woche sei die CDU.

Die Pannen auf Bundesebene mitunter sind ausschlaggebend: Das Corona-Impf-Chaos ginge auf das Konto von Gesundheitsminister Jens Spahn. Wirtschaftsminister Peter Altmaier müsse sich dafür verantworten, dass die Wirtschaftshilfen lange Zeit nicht flossen. Dann kam die Maskenaffäre. „Versagen im Krisen-Management“, sagte Dausend. Das Vertrauen in die CDU, dem „Stabilitätsanker“ über Jahre, sei erschüttert. Nicht verwunderlich, habe die Union doch ein strukturelles Problem. Mehr als die Hälfte der Bundestagsabgeordneten von CDU/CSU hätten Nebeneinkünfte – wobei die Abgeordneten der FDP ihnen in nichts nachstünden. „Es gibt eine sehr große Nähe vieler Unions-Abgeordneter zur Wirtschaft“, so Dausend. Dadurch werde man verführbar, der Einfluss der Lobbyisten sei stark. Jahrelang habe sich die Union auch gegen ein Lobby-Register gestellt. Jetzt stimmt sie auf einmal zu.

Die „Ehrenerklärung“ nach der Maskenaffäre hält Politikwissenschaftlerin Reuschenbach für reichlich dürftig. Da müsse schon mehr kommen, vor allem mehr Transparenz bei den Nebeneinkünften. Sie glaubt auch, dass das nicht der letzte Skandal gewesen sein wird. So kurz vor der Bundestagswahl werde nochmal richtig „gebuddelt und gegraben“. Will die Union ihre Rolle als Regierungspartei in die Zeit nach Bundeskanzlerin Merkel retten, „muss sie auch politisch handeln“. Die Schuldfrage werde eine „große Rolle“ spielen, ist sich M‘Barek sicher.

Steckt hinter der Aussicht auf baldigen Lockerungen der Corona-Maßnahmen trotz noch hoher infektionszahlen schon der Wahlkampf? SR-Reporter Jonas Degen hatte vor dem Saartalk eine nicht repräsentative Umfrage gestartet. „Angesichts der Entwicklung kann die Frage nur mit ja beantwortet werden“, lautete eine Antwort. Eine weitere: „Die Politiker haben keine andere Wahl, die Leute drehen sonst durch.“ Und: „Lockerungen bei diesen Zahlen ist unverständlich, aber es ist schwer, einen Mittelweg zu finden. Vieles hängt zusammen, es geht um Arbeitsplätze.“

In der ersten Welle sei die Zustimmung für das Handeln der Regierung noch groß gewesen, sagte Dausend. Mittlerweile sei sie zusehends verschwunden. „Das macht es spannend, aber auch erschreckend“ Diese Anti-Stimmung könnte dafür sorgen, dass derzeit schwächere Kräfte zulegen. „Es gab in der Geschichte keine Bundestagswahl, bei der es je so ungewiss war.“ Dass die AfD davon profitieren könnte, glaubt Reuschenbach nicht. Grundsätzlich sei es der Partei auf Bundes- und Landesebene nicht gelungen, in Sachen Corona eine Anti-Position einzunehmen wie bei der Integrationspolitik. Außerdem herrsche durch Querelen sei zwei Jahren eine Krise innerhalb der AfD. Hinzu komme, dass sie seit kurzem vom Verfassungsschutz beobachtet wird.

Die anderen Parteien dürfen sich aber darauf nicht ausruhen. Stichpunkt: Erstwähler. Zu schnell generalisiere man sie auf die Klima-Jugend, die Aktivisten. Das Feld sei aber sehr viel breiter. Es gebe auch viele Konservative. „Gerade die SPD hat versäumt, Leute, die sie vielleicht wählen würden, inhaltlich abzuholen“, sagte M’Barek. Bei den jüngsten Wahlen hätten die Sozialdemokraten auch nicht vom Stimmenverlust der CDU profitiert. Diese Stimmen „gingen an die Grünen und die FDP“, betonte Dausend. „Vielleicht gibt es ja am Ende einen grünen Kanzler. Dann wäre die SPD wieder nur Juniorpartner. Dafür müssten die Grünen aber erst „ein realistisches Profil“ aufbauen. Sie sind oft zu utopisch, sagte M‘Barek. Reuschenbach hält auch Grün-Schwarz für eine ernstzunehmende Möglichkeit. Dafür müsste aber die Union erstmal bereit sein, was die Politikwissenschaftlerin bei einigen Parteimitgliedern bezweifelt. „Von Rot-Rot-Grün kann man sich eher verabschieden.“

Der Kanzlerkandidat müsse eine „Kombination aus Vertrauen, Verlässlichkeit, Fähigkeit die Gegenwart und die Zukunft zu gestalten“ mitbringen. Daran werde nun auch SPD-Kandidat Olaf Scholz gemessen. Dausend ist sich sicher: Die CDU wird ihren Parteichef Armin Laschet aufstellen. Bei den Grünen steht wohl Parteichefin Annalena Baerbrock in der Gunst der Parteimitglieder. Sie wäre allerdings gut beraten, ihrem Kollegen Robert Habeck das Feld zu überlassen, sind sich Dausend und M‘Bareck einig. Baerbrock habe schlicht keine Regierungserfahrung.

Am Ende der Sendung wurden die Gäste gebeten, die aktuelle Regierung einem Tier zuzuordnen. „Ein Pferd, ein Kaltblüter“, sagte Reuschenbach. „Das vor sich hinarbeitet, fleißig ist, aber nicht innovativ auffällt.“ Für Dausend ist sie eine Schnecke. Merkel habe Stärken in einigen Krisen bewiesen. „Aber die großen eigenen Idee, Veränderungsschübe etwa bei Klimawandel und Digitalisierung habe ich nicht gesehen.“ M'Barek entschied sich für eine Grille: „Zirpt in der Ecke und dann stagniert es. Das nötigste wurde gemacht.“

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