Bericht der Landesregierung Überraschende neue Zahlen – so viele arme und reiche Menschen leben im Saarland
Analyse | Saarbrücken · Forscher haben ausgewertet, wie es um Armut und Reichtum im Saarland bestellt ist. In dem Zahlenwerk finden sich bedenkliche Entwicklungen – und überraschende Zahlen.
Was ist der Armuts- und Reichtumsbericht?
Der im Auftrag des Sozialministeriums von Instituten aus Bayern und Hessen erstellte Bericht soll anhand statistischer Daten die soziale Lage im Saarland erfassen und Hinweise geben, wie Armut bekämpft werden kann. Beim vorliegenden Bericht handelt es sich nach 2015 um den zweiten seiner Art – allerdings endet der Untersuchungszeitraum 2019/20. Soziale Verwerfungen durch die Corona-Krise sind also nicht erfasst, was die Aussagekraft schmälert.
Welche Ziele hat sich die Landesregierung gesetzt?
Die SPD hatte vor der Landtagswahl in ihrem Wahlprogramm als Ziel ausgegeben, Armut „innerhalb der nächsten fünf Jahre zunächst zu halbieren und ihre Folgen zu bekämpfen“. Dies soll mit einem „quartiersbezogenen Ansatz“ geschehen.
Menschen in Vierteln wie Malstatt, Burbach oder bestimmten Stadtteilen Neunkirchens und Völklingens sollen eine neue Perspektive erhalten, in dem die öffentliche Hand ihre Anstrengungen dort bündelt. Sozialminister Magnus Jung schätzt, dass in diesen Quartieren, in denen sich die Armut ballt, 50 000 bis 60 000 Menschen leben.
Welche Aussagen trifft der Bericht zur sozialen Ungleichheit im Saarland?
Die Vermögensungleichheit fällt im Saarland geringer aus als in Westdeutschland. Die Verfasser des Armuts- und Reichtumsberichts führen das zumindest teilweise auf die hohe Wohneigentümerquote zurück.
Auch bei der Einkommensverteilung erweist sich das Saarland als egalitärer als Westdeutschland. Kein Wunder, denn im Saarland fehlen Unternehmenszentralen mit gut bezahlten Management-Jobs.
Wer gilt als arm oder armutsgefährdet?
Menschen mit einem verfügbaren Einkommen, das unter einer gewissen Schwelle liegt. Sozialforscher definieren diese Schwelle als 60 Prozent des mittleren Einkommens (sogenannter Median), das sind im Saarland monatlich 1108 Euro pro Person. Man müsste korrekterweise also von relativer Armut sprechen. Die Gesamtzahl dieser Personen ins Verhältnis gesetzt zur Gesamtbevölkerung ergibt die Armutsrisikoquote.
Wie stark ist das Armutsrisiko im Saarland ausgeprägt?
Die Armutsrisikoquoten – bezogen auf das Einkommen – liegt seit 2005 beständig oberhalb der gesamtdeutschen Quoten. Seit 2005 ist die Quote bis 2020 von 13,6 auf 16,2 Prozent gestiegen. „Eine Zahl, die uns alle betroffen machen muss“, sagt Sozialminister Jung. Generell lässt sich sagen: Frauen sind etwas stärker betroffen als Männer.
Je nach Bezugsgröße (Landes- oder Bundes-Median) galten 2020 im Saarland 159 000 bis 166 000 Menschen als arm oder von Armut bedroht. Berücksichtigt man auch die Vermögen, dann waren laut den Verfassern 100 000 bis 125 000 Menschen einkommens- und vermögensarm oder zumindest gefährdet.
Wer ist besonders stark von Armut bedroht?
Der Bericht bestätigt die Befunde vergangener Jahre. Demnach sind es vor allem Kinder, alte und kranke Menschen, Langzeitarbeitslose, Alleinerziehende und Einwanderer von Armut bedroht. Bei Erwerbslosen sind es zum Beispiel 58 Prozent, bei Ausländern 42 Prozent und bei Alleinerziehenden 40 Prozent.
Jung sagte, insbesondere der Zusammenhang zwischen Armut und Migration werde in der öffentlichen Debatte nicht ausreichend gesehen. Überproportional betroffen sind auch Rentner: Hier lag die Armutsrisikoquote nach einer leichten Verbesserung in den vergangenen Jahren im Jahr 2020 mit 20,3 Prozent wieder etwas über dem Niveau von 2013.
Wie sieht die Entwicklung bei jungen Menschen aus?
Seit dem ersten Bericht 2015 ist die Armutsrisikoquote von Kindern und Jugendlichen überproportional gewachsen, auf über 20 Prozent. Gewarnt wird vor einer Verfestigung von Armut im Lebenslauf und der Weitergabe an die nächste Generation.
Das Armutsrisiko werde wesentlich durch die schulische Ausbildung bestimmt. Eine abgeschlossene Berufsausbildung oder ein Studium trügen erheblich zur Abwendung von Armut bei. Die Förderung und Unterstützung junger Menschen bei der Integration in den Ausbildungs- und Arbeitsmarkt zähle daher zu den wichtigsten Maßnahmen der Armutsbekämpfung.
Welche Aussagen trifft der Bericht zum Reichtum?
Die Autoren bemängeln, dass die verfügbaren Daten zu sehr hohen Einkommen und Vermögen große Lücken aufweisen. Dies führe dazu, dass die tatsächliche Ungleichheit unterschätzt werde. Als einkommensreich gelten laut Bericht Saarländer in Haushalten mit einem verfügbaren Einkommen von monatlich über 3695 Euro pro Person, das waren 6,2 Prozent der Bevölkerung. Als vermögensreich gilt ein Haushalt und die in ihm lebenden Personen ab einer Schwelle von 113 000 Euro (Grund- und Geldvermögen).
In absoluten Zahlen waren 2018 im Saarland, je nach Bezug auf Landes- oder Bundesmedian, 280 000 bis 410 000 Personen vermögensreich – ein Ergebnis der hohen Wohneigentumsquote. Allerdings sei das „teilweise nur ein Scheinvermögen“, sagte Minister Jung. „Wenn eine ältere Dame in einem großen, aber schlecht isolierten Haus auf einem vielleicht auch noch wertvollen Grundstück wohnt, hat sie formal ein ordentliches Vermögen, kann damit im Alltag aber nichts anfangen. Im Gegenteil: Es kann zu erheblichen Kosten führen, die das verfügbare Einkommen sogar noch einschränken.“
Nur 5,8 bis 7,7 Prozent der Saarländer waren 2018 einkommens- und vermögensreich. Laut Einkommensteuerstatistik 2017 – neuere Daten gibt es nicht – leben im Saarland 131 Einkommensmillionäre.