Gesetzesinitiative Kinder und Jugendliche im Saarland sollen mehr politische Macht bekommen – doch über das Wie wird noch gestritten

Saarbrücken · Kinder und Jugendliche im Saarland sollen künftig mehr – und verpflichtend – an politischen Entscheidungen beteiligt werden. Aber warum braucht es das überhaupt, und wie soll diese Beteiligung auf Landes- und kommunaler Ebene aussehen? Darüber gehen die Meinungen in den Fraktionen auseinander.

Im Landtag man sich einig: Kinder und Jugendliche müssen im Saarland stärker an Entscheidungen in der Landespolitik sowie in den Städten und Dörfern beteiligt werden.

Im Landtag man sich einig: Kinder und Jugendliche müssen im Saarland stärker an Entscheidungen in der Landespolitik sowie in den Städten und Dörfern beteiligt werden.

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Im Landtag des Saarlandes spricht man von einer „Zeitenwende“, und alle politischen Akteure, Minister, Abgeordnete und Kommunalvertreter sind sich ausnahmsweise (fast) einig: Kinder und Jugendliche müssen im Saarland an Entscheidungen in der Landespolitik sowie in den Städten und Dörfern vor Ort stärker beteiligt werden. Der Landtag arbeitet aktuell an einer Gesetzesänderung, die Kindern und jungen Menschen mehr Macht, Einfluss und Beteiligung zusprechen soll.

Doch warum ist das überhaupt nötig? Wurden Kinder und Jugendliche in der Vergangenheit zu wenig repräsentiert? Wurde sie zu wenig an Entscheidungen beteiligt? Fragt man Menschen im Alter von 14 bis 24 Jahren selbst, so ist die Antwort „Ja“. Das zeigen die Ergebnisse der deutschlandweiten „Vodafone Jugendstudie“ aus 2022.

Weniger als ein Drittel der in diesem Alter befragten (29 Prozent) hat noch das Gefühl, Politik überhaupt beeinflussen zu können. Drei Viertel (75 Prozent) erleben die deutsche Demokratie als zu schwerfällig, um aktuelle und zukünftige Herausforderungen zu lösen. Entsprechend pessimistisch blicken junge Menschen nach vorne: 86 Prozent machen sich Sorgen um ihre Zukunft.

„Kinder und Jugendliche habe nur eine kleine Lobby“

Im ländlich geprägten Saarland kommt noch ein anderes Problem hinzu: die Demografie. „Kinder und Jugendliche habe nur eine kleine Lobby“, so André Piro, Vorstand im saarländischen Landesjugendring. Die Zahl der jungen Saarländerinnen und Saarländer ist schon jetzt im Vergleich zu älteren Bevölkerungsgruppen, insbesondere im Vergleich zur Gruppe der über 60 Jährigen, gering und nimmt nach amtlichen Prognosen weiter ab.

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In Zahlen: Ende 2021 lebten rund 92 000 Menschen im Alter von 15 bis 24 Jahren im Saarland. Über 60 Jahre waren 325 500 Personen. Als politische Zielgruppe macht der geringe Bevölkerungsanteil junge Menschen weniger relevant. Zudem haben Menschen unter 18 Jahren kein Wahlrecht.

„Wir hören oft die Frage: ‚Warum sollen jungen Menschen mehr beteiligt werden?‘, sagt Piro vom Landesjugendring. „Es geht nicht um wollen! Teilhabe ist ein Menschenrecht! Da Kinder und Jugendliche von Wahlen ausgeschlossen sind und aktuell kein Instrument zur Teilhabe haben, ist die Politik verpflichtet, diese zu schaffen“, so der Landesjugendring.

Alle Fraktionen wollen mehr Beteiligung von Jugendlichen – aber auf unterschiedliche Art

Ein Appell, den die saarländische Politik ernst nimmt. Alle Landtagsfraktionen haben Anträge für mehr Kinder und Jugendbeteiligung eingebracht. Während die AfD-Frakion den Hauptort für Beteiligung in der Schule sieht, wo Jugendlichen mehr Recht und Verantwortung zugesprochen werden soll, wollen SPD und CDU junge Saarländerinnen und Saarländer umfassend in allen Lebensbereichen auf Landes- und kommunaler Ebene mehr Einfluss geben. Beim Weg dorthin gibt es aber in Teilen Dissens und gerade bei der Art der Beteiligung auf Landesebene zwei konkurrierende Konzepte.

„Wir sprechen uns für ein Landesjugendparlament aus“, so Jonas Reiter, jugendpolitischer Sprecher der CDU-Fraktion. „Das Gremium sollte sich an vorhandenen Strukturen orientieren. Ein Teil davon könnten die Schülervertreter sein, die aus allen Schulen, Gemeinden und Kreisen kommen. Damit würde man schon ein gewisses Altersspektrum abbilden“, so Reiter. Ergänzend könnten dann noch andere Interessensvertreter, zum Beispiel aus den Studierendenparlamenten und weiteren Jugendverbänden und dem Landesjugendring hinzukommen. Das vorgeschlagene Landesjugendparlament soll dann aus Sicht der CDU-Fraktion Landtag und Landesregierung beraten und zu jugendspezifischen Themen nicht nur gehört werden, sondern auch Beschlussempfehlungen abgeben, welche vom Landtag beraten werden müssen.

„Der Vorteil einer festgelegten Struktur eines Landesjugendparlaments wäre der verbindliche Charakter der Beschlüsse“, so Reiter. „Spricht sich das Jugendparlament mit Mehrheit für ein Thema aus, wäre das ein klares Statement.“ Zudem fordert die CDU einen Jugendcheck für neue Gesetze, der „als Prüf- und Sensibilisierungsinstrument für Jugendtauglichkeit und Generationengerechtigkeit“ in einem Gesetzgebungsverfahrenverbindlich etabliert sein soll.

SPD bevorzugt offene Beteiligungsformen gegenüber Jugendparlament

Die SPD im Landtag kann einem Landesjugendparlament nur wenig abgewinnen. „Wir wollen kein Landesjugendparlament aus Schülersprechern“, sagt Martina Holzner, jugendpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion. „Wir wollen nicht nur junge Menschen erreichen, die bereits organisiert sind, sondern wollen uns breit öffnen“, so Holzner.

Die Idee der SPD: offene Beteiligungsformen auf Landesebene. Wie diese genau aussehen sollen, will die SPD nicht vorgeben, sondern zusammen mit Kindern und Jugendlichen in einem großen Landesjugendforum ausarbeiten. Mit Unterstützung von Sozialminister Magnus Jung (SPD). Dieser hat ein Landesjugendforum für den Herbst dieses Jahres angekündigt. „Wir wollen ein offenes Gremium haben, inklusiv denken, verschiedene Menschen zusammenbringen, um ein breites Spektrum von Kindern und Jugendlichen abzubilden“, so Martina Holzner. Einen Jugendcheck für neue Gesetze unterstützt auch die SPD.

Doch auch direkt vor Ort, in den 52 Städten und Gemeinden des Saarlandes, sollen junge Menschen künftig mehr zu sagen haben. Im KSVG, dem Kommunalen Selbstverwaltungsgesetz, ist aktuell festgelegt, dass Kinder und Jugendliche an Entscheidungen beteiligt werden können – wenn das den Kommunen sinnvoll erscheint. Künftig sollen die Kommunen das verbindlich tun müssen, so SPD und CDU im Saar-Landtag.

Und die Städte und Gemeinden wollen das auch: „Die Bereitschaft junger Menschen, sich in der Politik, im Gemeinwesen und für die Gesellschaft einzubringen, trägt wesentlich zur Zukunftsfähigkeit der Demokratie und der kommunalen Selbstverwaltung bei. Daher ist die Beteiligung und Einbindung von Kindern und Jugendlichen in Diskussionen und Entscheidungsprozesse auf kommunaler Ebene ein wichtiges Anliegen der saarländischen Städte und Gemeinden“, so Stefan Spaniol, Geschäftsführer des Saarländischen Städte und Gemeindetages (SSGT).

Fixe Strukturen wie Jugendgemeinderäte wirken abschreckend

Mit fixen Strukturen wie gewählten Jugendgemeinderäten haben aber viele (wenn auch nicht alle) keine guten Erfahrungen gemacht, was auch der Landesjugendring bestätigt. „Feste Strukturen wie Jugendgemeinderäte können funktionieren und haben ihre Berechtigung. Auf viele Jugendliche wirken sie aber abschreckend“, so Jugendring-Vorstand André Piro. Warum? Eine Verpflichtung für einen Rat über eine gesamte Legislatur passt oft nicht ins Lebensbild von jungen Menschen. Parteien, Kommunen und der Landesjugendring sprechen sich deshalb für offene, projektbezogene, aber verbindliche Beteiligungsformen auf kommunaler Ebene aus. Das könnten zum Beispiel Jugendanhörungen und -Foren, Podiumsdiskussionen oder Veranstaltungen zu Gemeinde-Projekten in der Planung sein.

Aber werden alle Wünsche und Anregungen von jungen Menschen am Ende dann auch vor Ort verwirklicht? Der im Saarland und gerade in den Kommunen immer limitierende Faktor Geld wird das wohl nicht zulassen. „Wenn wir Beteiligungsformen schaffen, müssen die auch ernst genommen werden“, so SPD-Frau Martina Holzner, „aber es wird nicht immer alles gehen. Aber auch das macht ehrliche Kommunikation und Beteiligung aus.“ Mit einem „Fonds für junge Ideen“ will die SPD aber dafür Sorgen, dass Jugendprojekte umgesetzt werden können. Wie viel Geld bereitgestellt wird, ist aber noch nicht klar.

Der SSGT hofft auf eine gute finanzielle Unterstützung der Jugendbeteiligung, die aus Sicht der Kommunen tatsächlich mithelfen könnte, die saarländischen Städte und Dörfer für junge Menschen attraktiver zu machen. „Hierzu braucht es neue finanzielle Spielräume, um insbesondere Jugendarbeit attraktiv zu machen, Vereine zu fördern, Jugendräume zu schaffen, Spielplätze zu erneuern oder das Dorfgemeinschaftshaus zu erneuern. Hiervon sind die saarländischen Städte und Gemeinden leider weit entfernt, weil immer neue Aufgaben von Bund und Land auf die Kommunen treffen, ohne diese finanziell auskömmlich auszustatten“, so Stefan Spaniol vom SSGT. „Über Beteiligungsmöglichkeiten von Jugendlichen zu reden, ist das eine, echte Gestaltungsmöglichkeiten für die kommenden Generationen zu eröffnen, ist aber das andere“, so der Städte- und Gemeindetag.

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