Saar-Kripo und Justiz vor Herausforderung Schockierende Zunahme von Kinderpornografie im Saarland: Wie können Kinder geschützt werden?

Saarbrücken/Sulzbach · Kripo und Justiz im Saarland sehen sich aktuell mit einer immer größer werdenden Flut an Fällen von Verbreitung und Besitz von Kinderpornografie konfrontiert. Ermittlungen und Sichtungen sind nicht nur komplex, sondern belasten die Ermittler auch psychisch. Bei einer Fachtagung diskutierten Experten jetzt, wie man in Zukunft mit dem Thema umgehen muss.

Eine Kriminaloberkommissarin beim Polizeipräsidium Mittelhessen sitzt in einem Büro vor einem Auswertungscomputer auf der Suche nach Kinderpornografie und Fällen von sexuellem Missbrauch.

Eine Kriminaloberkommissarin beim Polizeipräsidium Mittelhessen sitzt in einem Büro vor einem Auswertungscomputer auf der Suche nach Kinderpornografie und Fällen von sexuellem Missbrauch.

Foto: dpa/Arne Dedert

Schüler verschicken Sexbildchen angeblich aus Jux unter sich auf dem Smartphone, Teilnehmer von Whats App-Gruppen werden plötzlich mit Pornos konfrontiert und als angebliche Ärzte auftretende Pädophile fordern Minderjährige zum Absenden von Nacktfotos auf: Eine immer größer werdende Flut von Fällen der Verbreitung, des Erwerbs, Besitzes und der Herstellung von Kinderpornografie im Netz hält derzeit Polizei und Staatsanwaltschaft im Saarland in Atem, wie gerade eine Fachtagung des Landesverbandes Saar des Bundes Deutscher Kriminalbeamter (BDK) in Sulzbach verdeutlichte.

Saarland: Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung steigen um 40 Prozent an

Ihr höchst spannendes Tabu-Thema, moderiert vom ehemaligen SZ-Chefreporter Michael Jungmann vor rund hundert anwesenden hundert Polizisten, verunsicherten Eltern, Lehrern und Pädagogen: „Missbrauch im Netz: Können wir unsere Kinder noch schützen?“ Fest steht: Tätern drohen nach einer Gesetzesänderung von 2021 inzwischen drastische Freiheitsstrafen bis zu zehn Jahren – doch es kommt immer auf den einzelnen Fall an.

Alleine im vergangenen Jahr stiegen im Saarland laut polizeilicher Kriminalstatistik Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung um über 40 Prozent auf knapp 1400 Fälle, wobei es etwa jedes zweite Mal um die Verbreitung meist kinderpornografischer Erzeugnisse ging. Dunkelziffer hoch, Tendenz weiter steigend, hieß es dazu von der Leiterin des saarländischen Landeskriminalamtes, Steffi Dumont, und dem Saarbrücker Staatsanwalt Johannes Adams von der Abteilung Cybercrime.

US-Internetprovider geben Fälle nach Deutschland weiter

Seitdem US-amerikanische Internetprovider verpflichtet sind, bekannt gewordene, strafrechtlich relevante Kinderpornografie-Sachverhalte im Netz weiterzuleiten und das Bundeskriminalamt (BKA) dann diese Fälle an die jeweiligen Bundesländer abgibt, steigen die zu bearbeitenden Fallzahlen auch im Saarland rapide an. Hinzu kommt: Mit einer bundeseinheitlichen Gesetzesänderung von 2021 werden Verbreitung, Erwerb und Besitz kinderpornografischer Inhalte laut Paragraph 184 b Strafgesetzbuch (StGb) als Verbrechenstatbestand behandelt. Tätern drohen Freiheitsstrafen zwischen einem und zehn Jahren.

Eine im Februar 2021 eigens gebildete polizeiliche „Ermittlungsgruppe Halde“ (wegen der auf Halde liegenden vielen Ermittlungsfälle) hat laut ihrem Leiter Ruwen Dümont schon etliche Haus-Durchsuchungen vorgenommen.

Ermittler sollen mehr Geld und Urlaub bekommen

Immer schwieriger wird es für die Ermittler, zwischen vielleicht nicht ganz so schlimmen und besonders gravierenden Fällen zu unterscheiden: Oft müssen Stunden oder Tage lang Bilder auf sichergestellten Computern und Smartphones auf kinderpornografische Inhalte und Folgetaten hin ausgewertet werden, bis hin zu vielen Überstunden und dabei erheblicher eigener psychischer Belastung der Polizisten und Juristen. Minister Jost kündigte in lobender Anerkennung dieser schwierigen Arbeit auf der Tagung an, den Kinderpornografie-Ermittlern eine sogenannte KiPo-Zulage von 150 Euro monatlich plus drei Tage Sonderurlaub zu gewähren. Dafür hatte sich einen Tag zuvor auch Saarlands CDU-Fraktionsvize Anja Wagner-Scheid in einer Presseerklärung stark gemacht.

Die Praxis, so das Ergebnis der kriminalpolizeilichen Expertentagung, zeigt: Kinder und Jugendliche sind oftmals Opfer, aber auch Täter, wenn sie - wie sie meinen - einfach aus Spaß Nacktbilder unter sich oder per Foto und Video Sexdarstellungen versenden. Für Eltern, die etwas bei ihren Kindern entdecken, stellt sich die schwierige Frage, wie sie sich im Konfliktfeld von Strafverfolgung und Freiheit des Einzelnen bei der berechtigten oder unberechtigten Smartphone-Verlaufskontrolle richtig verhalten können.

Hier bedarf es nach übereinstimmender Auffassung der Tagungsteilnehmer dringend mehr Prävention und Aufklärung. Innenminister Reinhold Jost (SPD), Nicole Frank vom Landespolizeipräsidium und Marco Flatau von Beratungsstelle Phoenix der AWO Saarland kündigten dazu neue Informationskampagnen auch in Zusammenarbeit mit der Landesmedienanstalt und Opferorganisationen wie dem Weißen Ring an. Nacktfoto- oder gar Pornobildertausch Jugendlicher im Internet nach dem Motto „Das macht doch jeder“, seien jedenfalls der falsche Weg, hieß es auf der Tagung - auch wenn Marco Flatau von der AWO-Beratungstelle verkündete, es gebe heutzutage kaum noch 13- bis 15-jährige Schülerinnen in einer Klasse, die keine pornografischen „Dick-Pics“ auf dem Smartphone erhielten. „Die drücken das einfach weg“, sagte er.

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