Saar-Koalitionsstreit um Bildungspolitik Werden Brennpunktschüler benachteiligt?
Saarbrücken · Saarbrücker Gemeinschaftsschule erhebt Vorwürfe gegen Minister Commerçon. Der Streit in der Saar-Groko um Lehrerzahlen schwelt weiter.
Kurz vor Schuljahresende in einem Monat sieht sich Saar-Bildungsminister Ulrich Commerçon (SPD) mit schwerer Kritik an seiner Amtsführung konfrontiert. Zum einen besteht beim Koalitionspartner CDU erheblicher Erklärungsbedarf, was Commerçons Entscheidung anbelangt, den Klassenteiler nur an den Eingangsklassen der echten Ganztagsschulen im Saarland zu senken. CDU-Fraktionschef Alexander Funk sah seine Fraktion vom Bildungsminister nicht informiert und hegte auch Zweifel an der Finanzierbarkeit zusätzlicher Lehrerstellen. Zudem sah die CDU-Fraktion angesichts einer um 3000 Schüler geschrumpften Zahl an den Berufsschulen keinen Mehrbedarf an Lehrern. Zudem sei das Konzept für die neue Schule für die Forscherkinder des Helmholtz-Zentrums für Informationssicherheit Cispa zwischen CDU und SPD nicht unumstritten (die SZ berichtete).
Doch nun muss sich Commerçon auch gegenüber der Gemeinschaftsschule Rastbachtal, einer freiwilligen Ganztagsschule in Saarbrücken, erklären. „Die Entscheidung des Bildungsministers, die Klassengröße nur für den gebundenen Ganztag ab dem nächsten Schuljahr auf 23 abzusenken, ist für uns in keiner Weise nachvollziehbar“, heißt es in einer Stellungnahme der Schulleitung, die die SZ erreichte. Die Begründung des Ministers, nämlich höhere Anmeldezahlen bei den echten Ganztagsschulen, sei zumindest für die Gemeinschaftsschulen des Regionalverbands nicht korrekt, hieß es. Nach den Zahlen, die der SZ vorliegen, sind in der Gemeinschaftsschule Rastbachtal zum neuen Schuljahr 2019/20 bisher 147 Schüler für fünf fünfte Klassen angemeldet, was einem Schnitt von knapp 30 Schülern pro Klasse entsprechen würde. In den echten Ganztagsgemeinschaftsschulen Bellevue und Ludwigspark, wo bis 16 Uhr Lehrer unterrichten, sieht das anders aus. An der Bellevue-Gemeinschaftsschule sind demnach bisher 74 Schüler für vier Klassen angemeldet (unter 19 Schüler je Klasse) und an der Ludwigsparkgemeinschaftsschule 63 für drei Klassen (21 Schüler je Klasse). Wenn man diese Anmeldezahlen betrachte, müsste nach Commerçons Argumentation die Klassengröße an der Rastbachtalgemeinschaftsschule gesenkt werden und nicht an den benachbarten Gemeinschaftsschulen Bellevue und Ludwigspark, erklärt die Schulleitung der Rastbachtalschule.
Alle drei Schulen sind so genannte Brennpunktschulen, in denen Schüler aus sozial benachteiligten Elternhäusern und auch viele dort beheimatete Kinder von Geflüchteten unterrichtet werden. Besonders schmerzt die Rastbachtal-Schulleitung, dass Commerçon mit Bezug auf die echten Ganztagsschulen, die er besonders fördern will, gesagt habe, dass dort die individuelle Förderung der Schüler im Vordergrund stehe. „Diese Aussage ist eine Diskreditierung der sehr kompetenten und engagierten Arbeit der Kolleginnen und Kollegen unserer Schule“, erklärte die Schulleitung.
Die Schulleitung hat in Schreiben an die CDU- und die SPD-Fraktion ihre Sorge über die Benachteiligung ausgedrückt. Mehr als zwei Drittel ihrer Schüler stammten aus Familien, die auf staatliche Unterstützung angewiesen seien.
Vize-Ministerpräsidentin Anke Rehlinger (SPD) sagte gestern, im Ministerrat habe es einen „Informationsaustausch“ zum Thema Klassenteiler gegeben. Es könnten jedoch laut der „Papierrechnung“ nicht Lehrerstellen wegfallen, nur weil es weniger Schüler gebe. „Nur weil zum Beispiel 24 statt 27 Schüler in einer Klasse sind, heißt das nicht, dass ein Lehrer weniger gebraucht wird“, sagte Rehlinger. Durch die Lage in den Schulen seien „mehr Bedarfe da“, so Rehlinger.
Die Landesvorsitzende des Saarländischen Lehrerinnen- und Lehrerverbands (SLLV), Lisa Brausch, forderte: „Es werden unbedingt zusätzliche Stellen benötigt, um endlich Entlastung in die Schulen zu bringen und die Unterrichtsqualität zu sichern.“ Die Lehrergewerkschaft GEW begrüßte den Einsatz des Bildungsministers für mehr Planstellen und appellierte an Ministerpräsident Tobias Hans (CDU), seiner Verantwortung als Koalitionspartner gerecht zu werden.