Jost kämpft gegen Lebensmittelverschwendung Genießbares Essen soll nicht mehr in die Tonne

Saarbrücken · Der Umweltminister will das Mindesthaltbarkeits­datum abschaffen. Sein Ziel ist es, genießbare Lebensmittel vor der Mülltonne zu retten.

  Ein Blick in diese gelbe Tonne in Frankfurt beweist: Viele gute Lebensmittel werden weggeworfen, obwohl sie noch essbar sind.

Ein Blick in diese gelbe Tonne in Frankfurt beweist: Viele gute Lebensmittel werden weggeworfen, obwohl sie noch essbar sind.

Foto: dpa/Frank May

Umweltminister Reinhold Jost (SPD) hat am Dienstag, seinem 53. Geburtstag, in der Staatskanzlei den versammelten Journalisten eine Geschichte aus seiner Kindheit erzählt. Der Bäcker in seinem Heimatort habe ihm, wenn er um halb zwölf an einem Samstag in den Laden gekommen sei, um acht Doppelweck zu kaufen, gesagt: „Da musst Du früher aufstehen!“ Die Doppelweck seien zu diesem Zeitpunkt längst verkauft gewesen. Heute jedoch, beklagt Jost, habe jeder Backshop an den Baumärkten auch abends um sieben noch Doppelweck im Angebot. „Das ist die Erwartungshaltung der Verbraucher selbst, da können wir nichts vorschreiben“, sagt Jost.

Wie viele der Backwaren nach Geschäftsschluss in Müllcontainern landen, kann Jost auf das Saarland bezogen nicht sagen. Er zitiert jedoch eine bundesweite Studie der Gesellschaft für Konsumforschung, wonach die deutschen Privathaushalte jährlich 4,4 Millionen Tonnen Lebensmittel wegwerfen, Handel und Industrie sogar etwa elf Millionen Tonnen. Jost meint, dass bei den Privathaushalten etwa die Hälfte der Abfallmenge vermeidbar wäre. „Ich oute mich: Ich habe früher Fruchtsaft, der das Mindesthaltbarkeitsdatum (MHD) überschritten hatte, einfach weggekippt“, sagt Jost. Doch inzwischen habe er gelernt, dass das MHD im Grunde unwichtig sei. Er rufe die Verbraucher auf, ihren eigenen Sinnen zu trauen und die Lebensmittel, deren MHD abgelaufen seien, sensorisch zu prüfen. So ließen sich viele Lebensmittel retten. „Es wird zu viel gekauft, gekocht, aufgetischt. Reste werden nicht mehr verwertet“, beklagt Jost.

„Ein Mindesthaltbarkeitsdatum auf Salzpackungen ist beknackt“, sagt Jost, der auch SPD-Ortsvorsteher von Siersburg ist. Deshalb kämpfe er in Berlin für die Abschaffung des Mindesthaltbarkeitsdatums. Ebenso will er in der Konferenz der Verbraucherschutzminister die Initiative des Stadtstaates Hamburg, die die Strafbarkeit des „Containerns“ abschaffen will, „positiv begleiten“. In den großen deutschen Städten gibt es einige Gruppen, die abends und nachts die Müll-Container der Supermärkte nach essbaren Lebensmitteln untersuchen und diese auch mitnehmen. Das ist in Deutschland bis heute strafbar. In Frankreich dagegen ist es für die Supermärkte strafbar, wenn sie brauchbare Lebensmittel in den Müll werfen, nur weil das MHD abgelaufen ist.

Jost wirbt für die am Montag angelaufene zweite „Aktionswoche im Kampf gegen Lebensmittelverschwendung“ im Saarland (Programm unter www.saarland.de/248007.htm im Internet). Dabei benutzt er in der Staatskanzlei mehrfach das Wort „Wertschätzung“ für Lebensmittel. „1,99 Euro für ein Kotelett geht gar nicht!“, betonte der Minister. Er las dabei jenen Verbrauchern die Leviten, die lieber 20 Euro für einen Viertelliter Spezialmotoröl für ihr Auto ausgeben würden als für gutes und gesundes Essen. „Das Saarland hat mit 17 Prozent den höchsten Anteil ökologisch bebauter Flächen“, erklärt Jost und brach eine Lanze für die Biobauern und die regionalen Landwirtschaftsprodukte.

Harald Kreutzer vom Verein Weltveränderer, der am Samstag um 16.30 Uhr bei der Abschlussveranstaltung der Aktionswoche (ab 9 Uhr auf dem St. Johanner Markt Saarbrücken) mit auf dem Podium sitzt, sagt der SZ: „Die Leute müssen bei sich selbst anfangen, um die Lebensmittelverschwendung zu stoppen.“ Gleichzeitig müsse die Politik etwas tun. „Dass sich jemand mit den großen Handelsketten anlegt, sehe ich nicht. Diesen Konflikt hat noch niemand auf sich genommen“, so Kreutzer. Zudem müssten die Subventionen der EU an die industriellen Agrarproduktevermarkter gestrichen werden. „Da muss es eine Größengrenze für Zuschüsse geben“, betonte Kreutzer mit Verweis etwa auf die riesigen Lebensmittelanbaugebiete der Mittelmeerstaaten, wo Geflüchtete aus Afrika für „’n Appel und ’n Ei“ schufteten.

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