Frau Schöpfer, Herr Tressel, im Juni gab es im Saarland neue Hitzerekorde. Können Sie die Temperaturen genießen, ohne an den Klimawandel zu denken?
SZ-Sommerinterview „Wir haben ein breiteres Wurzelwerk ins Land“
Saarbrücken · Die Grünen-Landeschefs Tina Schöpfer und Markus Tressel zeigen sich nach ihren Wahlerfolgen selbstbewusst und angriffslustig.
Die Saar-Grünen haben zum Sommerinterview ins Grüne eingeladen. An den Furpacher Weiher in Neunkirchen, einer Stadt, die landesweit für ihre Industrie bekannt ist. Grünen-Landeschefin Tina Schöpfer kandidierte hier als Oberbürgermeisterin, holte 11,9 Prozent. Mit ihrem Co-Vorsitzenden, dem Bundestagsabgeordneten Markus Tressel, spricht sie über die Themen und die neue Stärke ihrer Partei.
TRESSEL Schwierig. Ich kann die Hitze schon mal genießen, aber wir sehen natürlich auch, dass ein Rekord den nächsten jagt. Und am Ende des Tages bedeutet das ein Riesenproblem für die Menschen, für die Natur und auch für die Landwirtschaft.
SCHÖPFER Der Klimawandel ist auch im Saarland angekommen, das kann man nicht mehr schönreden oder wegdiskutieren.
Die Schülerdemos von „Fridays for Future“ haben den Klimaschutz über Monate in den Schlagzeilen gehalten. Was erwarten Sie, wenn die Ferien vorbei sind?
SCHÖPFER So wie die jungen Leute drauf sind, glaube ich, dass das weitergeht wie vorher. Aber das Ziel sollte eigentlich sein, dass es nicht mehr so weitergehen muss, sondern dass die Forderungen auch mal gehört und ernstgenommen werden.
Können Klimaaktivisten in Urlaub fliegen, ohne Glaubwürdigkeit einzubüßen?
TRESSEL Wir müssen das nicht auf die Person bezogen diskutieren, sondern einen Systemwechsel. Es geht nicht um eine Verbotsdebatte, sondern eine Angebotsdebatte. Alternativangebote zum Fliegen sind gefragt. Da muss die Bahn liefern, da muss die Politik liefern. Dass die Menschen Urlaub machen, ist völlig legitim. Die Frage ist aber auch: Muss ein Flugticket 19 Euro kosten? Oder muss es den ökologischen Preis mehr abbilden?
Auf Antrag der Grünen hat der neue Saarbrücker Stadtrat den Klimanotstand ausgerufen. Was erwarten Sie sich von diesem Schritt?
SCHÖPFER Dass auf Klimaschutz mehr geachtet wird, auch auf kommunaler Ebene. Die Landesebene hat sich noch nicht zu einem Klimaschutzgesetz durchringen können.
TRESSEL Die Kommunen haben Stellschrauben, als kleinste politische Ebene haben sie auch Wirkungsmacht, was den Klimaschutz angeht. Sie sind große Landeigentümer und organisieren in vielen Städten die Nahverkehre. Der Klimanotstand ist zum einen ein wichtiger symbolischer und aufrüttelnder Schritt, zum anderen ein Realitätstest.
Was können Sie über die Kommunen in der Landespolitik erreichen?
SCHÖPFER Was kommunal die Menschen beschäftigt, beschäftigt sie auch teilweise auf Landesebene. Wir sind momentan ja leider nicht im Landtag. Über die Kommunen können wir gerade für 2022, wenn die nächste Landtagswahl kommt, eine große Sichtbarkeit für verschiedene Themen erreichen.
TRESSEL Man kann auch Trendsetter sein von kommunaler Ebene. Der Druck wächst, insbesondere auf die beiden größeren Parteien, die wir im Land haben. Es wird jetzt nicht einfacher für die, bestimmte Dinge auf Landesebene nicht zu tun.
Die Grünen haben bei der Kommunalwahl enorm zugelegt, vor allem in der Landeshauptstadt. Wo werden Sie in Zukunft mitregieren?
SCHÖPFER Das entscheiden wir ja nicht alleine. Wir sind in Koalitionsgesprächen, wir merken aber zum Beispiel in Saarbrücken-Mitte, dass da Koalitionen gegen uns gebildet werden, obwohl wir dort die stärkste Kraft waren.
TRESSEL Wir sehen landesweit, dass sich jetzt Stillstandskoalitionen zusammenfinden. Die zwei großen Wahlverlierer gehen den Weg des geringsten Widerstands, in Koalitionen, in denen sie wenig verändern müssen. CDU und SPD kuscheln sich aneinander und hoffen, dass das schnell wieder vorübergeht. Uns ist klar, nur weil man irgendwo stärkste oder zweitstärkste Kraft ist, gibt es keinen Anspruch mitzuregieren. Aber gerade vor dem Hintergrund der Klimakrise und der dezidierten Vorschläge, die wir gemacht haben, wäre es nicht unklug, an der ein oder anderen Stelle wirklich Fortschrittskoalitionen zu bilden.
Der Landtag hat vor der Sommerpause mehrfach über den Klimawandel debattiert. Wie sehr hat es Sie geschmerzt, als Grüne im Plenum nicht mitreden zu können?
SCHÖPFER Das ist natürlich schmerzlich, weil der Klimaschutz unsere Herzensangelegenheit ist. Wir werden das Thema jetzt in die Kommunalparlamente einbringen.
TRESSEL Wenn ich mir anschaue, dass da vier Parteien im Landtag sitzen und nicht in der Lage sind, zum Beispiel ein Klimaschutzgesetz für dieses Land zu verabschieden, dann muss man sich fragen: Was haben diese vier Parteien in diesem Landtag verloren?
Was haben die Debatten im Landtag aus Ihrer Sicht gebracht?
TRESSEL Gar nichts, verschwendete Lebenszeit. Es ist ja ein Irrwitz der Geschichte, dass Anke Rehlinger jetzt die neue Beauftragte für Mobilität der Bundes-SPD ist, die gleiche Anke Rehlinger, die es nicht hinkriegt, den ÖPNV im Saarland zu verbessern.
Die Grünen sind deutschlandweit die Partei der Stunde. Was fehlt Ihnen im Saarland zu den Zustimmungswerten einer Volkspartei?
SCHÖPFER Im Saarland haben wir ordentlich zugelegt, bei den Kommunalwahlen unser bestes Ergebnis erreicht mit elf Prozent bei den Gemeinderatswahlen, 12,6 Prozent bei den Kreistagswahlen, zwischen 8,4 und 27,3 Prozent bei den OB- und Bürgermeisterwahlen. Nachdem wir mit vier Prozent aus dem Landtag geflogen sind.
Sind die Umfragewerte der Grünen im Bund nur Momentaufnahme – oder schwimmen Sie auf dieser Euphoriewelle bis in den Landtag?
TRESSEL Wir sehen eine Veränderung in der Gesellschaft, die offener geworden ist für unsere Themen, auch im Saarland. Dinge, die vor fünf Jahren noch der Chancentod gewesen wären, sind es heute nicht mehr. Ob das auf dem Niveau trägt, das weiß ich nicht. Aber wir haben die Zahl der Mandatsträger mehr als verdoppelt, haben ein viel breiteres Wurzelwerk ins Land, viel mehr Multiplikatoren.
Sie haben bei Europa- und Kommunalwahl ihren grünen Markenkern zur Geltung gebracht. Womit können Sie punkten, wenn sich der Fokus wieder verschiebt?
TRESSEL Unser Ansatz ist mittlerweile breit genug, man traut den Grünen heute zu, dass sie Innenpolitik machen können, Wirtschaftspolitik, Verkehrspolitik. Wir haben den Markenkern deutlich erweitert.
SCHÖPFER Wir haben in der Partei viele verschiedene Menschen aus unterschiedlichen Berufen, die man einfach anrufen kann. Ich habe vor Podiumsdiskussionen, bei denen es um Sicherheit ging, unsere Bundespolizisten angerufen – die wir auch haben.
Wo steht das Saarland bei der Verkehrswende?
TRESSEL Ich sehe keinen Innovationsansatz in der Politik dieser Landesregierung. Es wird das gemacht, was man immer gemacht hat. Die Verkehrspolitik ist zukunftsvergessen, in vielen Teilen peinlich.
Die Minister Jost und Bouillon beackern oft gemeinsam das Politikfeld des ländlichen Raums. Wo bewegt sich das Saarland hier im Bundesvergleich?
TRESSEL Wir haben zwei Minister, die mit den großen Herausforderungen des ländlichen Raums völlig überfordert sind. Es gibt keine Landesplanung, keine Ideen. Deswegen sind diese beiden Herren nicht nur im Hinblick auf die Entwicklung des ländlichen Raums völlige Totalausfälle. Und ich glaube, sie werden nach einer Kabinettsumbildung der Regierung nicht mehr angehören – wenn der Ministerpräsident schlau ist.