Politisches Beben bei den Grünen Chef der Saar-Grünen tritt fünf Tage nach seiner Wahl zurück

Update · Ralph Rouget sah sich als unabhängigen Kandidaten. Am Sonntag wurde er zum Vorsitzenden des zerstrittenen Landesverbandes gewählt. Nun gibt er auf – und nicht nur er.

Ralph Rouget, Chef der Grünen im Saarland tritt nach Wahl zurück
Foto: Oliver Dietze

Der Landesvorsitzende der Grünen, Ralph Rouget, ist nicht einmal eine Woche nach seiner Wahl überraschend zurückgetreten. Das wurde der SZ aus der Partei bestätigt. Hintergrund sind die Querelen nach der Wahl des früheren Landesvorsitzenden Hubert Ulrich zum Spitzenkandidaten. Rouget selbst war für eine Stellungnahme bisher nicht zu erreichen. Er soll seinen Rücktritt kurz vor Mitternacht erklärt haben.

Der 53-Jährige aus Homburg hatte sich bereits beim Parteitag am Sonntag in der Saarlandhalle überrascht davon gezeigt, wie tief die Gräben in der Partei sind. Er hatte sich als unabhängigen Kandidaten präsentiert, der in die Ereignisse der Vergangenheit nicht beteiligt gewesen sei. „Ich habe keine Vergangenheit mit niemandem“, hatte er in seiner Bewerbungsrede erklärt.

Rouget gehört den Grünen erst seit 2017 an. Bei der Wahl zum Landesvorsitzenden war er wie seine Co-Chefin Barbara Meyer-Gluche von Hubert Ulrich und dessen Lager unterstützt worden.

Meyer-Gluche bedauert den Rücktritt Rougets sehr, „mit dem ich zusammen als Team für den Landesvorsitz angetreten war“, wie sie mitteilte. Der Rücktritt stehe „nicht im Zusammenhang mit unserer beider Zusammenarbeit oder unserem persönlichen Verhältnis“, betonte sie. Welche Konsequenzen sie daraus zieht, wird Meyer-Gluche erst am kommenden Montag mitteilen. „Bis dahin nutze ich die Zeit am Wochenende, um weitere parteiinterne Gespräche für eine vernünftige Lösung im Sinne der Grünen im Saarland zu führen.“ Weiter wollte sich Meyer-Gluche am Freitag nicht äußern.

Auch Spitzenkandidat Ulrich bedauert den Rücktritt Rougets sehr, wie er der SZ sagte. „Ich glaube, viele bedauern das.“ Rouget sei angetreten als „wirklich unabhängiger Vorsitzender, was es vor diesem Hintergrund sehr schade macht“. Es werde dadurch deutlich, welcher Druck im Moment öffentlich auf Menschen aufgebaut werde.

  Kurz nach Rouget trat auch die Beisitzerin im Landesvorstand, Ute Kirchhoff, zurück. Sie ist wie Rouget aus Homburg. Kirchhoff beklagte gegenüber der SZ eine „brachiale Machtdemonstration“ des Ulrich-Lagers bei der Wahl des Spitzenkandidaten. „Das geht so nicht.“ Am Ende müsse man immer noch in den Spiegel schauen können.

Dann der nächste Paukenschlag. Die stellvertretende Landesvorsitzende Irina Gaydukova ist ebenfalls zurückgetreten. Gaydukova wurde am Sonntag auch auf den Listenplatz 2 für die Bundestagswahl gewählt, obwohl sie in ihrer Rede kaum überzeugen konnte. Auf die Frage der Delegierten etwa, was sie vom CO2-Emissionshandel hält, schwieg sie erst 27 Sekunden lang und sagt dann: „Gute Frage.“ Darauf folgte in den sozialen Medien ein Shitstorm. „Das ist einfach Mobbing, was man mit ihr gemacht hat“, sagte Ulrich am Freitag hierzu der SZ. „Und zwar brutalster Art.“ Er sei erschüttert, „wie man Menschen zerstört, die sich in der Demokratie einbringen wollen“.

Der Parteitag hatte zunächst die damals amtierende Landesvorsitzende Tina Schöpfer drei Mal durchfallen lassen und dann Hubert Ulrich zum Spitzenkandidaten gewählt. Im Raum steht seither der Vorwurf, dies sei ein Verstoß gegen das Frauenstatut der Partei gewesen. Der Landesvorstand hat dies bisher zurückgewiesen.

„Ich gehe davon aus, dass das Frauenstatut rechtmäßig eingehalten wurde“, teilte Ulrich mit. Das sähen auch viele Parteirechtler so. Ulrich verwies in diesem Zusammenhang auch auf das Bundestagsmandat von Markus Tressel. „Die letzten drei Legislaturperioden saß keine Frau für die Saar-Grünen im Bundestag, sondern ein Mann, Markus Tressel. Mit demselben Bundes-Frauenstatut.“

Ulrichs Wahl, die auf dem Parteitag mit breiter Mehrheit erfolgte, hat in der Partei eine Welle der Empörung ausgelöst. Ein Teil des Landesverbandes will den Wahlkampf für Ulrich boykottieren. Von Ulrich-Kritikern innerhalb der Partei ist zu hören: „Ein Mann führt eine komplette Partei am Gängelband durch die Arena – und findet immer noch 50, die mitmachen.“ Selbst Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock und ihr Co-Bundesvorsitzender Robert Habeck verweigern gemeinsame Auftritte mit Ulrich. „Auf Hubert Ulrich freut sich in Berlin niemand“, hieß es. Sein Comeback sei auch für die Landtagswahl 2022 ein „echtes Problem“.

Ulrich jedoch will an seiner Spitzenkandidatur festhalten. „Ich bin vor fünf Tagen mit einer Zweidrittel-Mehrheit auf einen Spitzenplatz gewählt worden – eine ganz starke, demokratische Legitimation. Aus welchem Grund sollte ich zurücktreten, nur weil ein massiver Druck aufgebaut wird von einer Minderheit des Landesverbandes?“

Bundgeschäftsführer Michael Kellner legt nach SZ-Informationen dem Landesvorstand nahe, die Landesliste rückgängig zu machen. Die Saar-Grünen müssten prüfen, ob die Aufstellung beim Parteitag am Sonntag formal korrekt durchgeführt worden ist. Auch, um das angekündigte Verfahren beim Bundesschiedsgericht der Partei zu vermeiden. Sollten sich Zweifel an an der Listenaufstellung ergeben, müsste erneut eine Aufstellungsversammlung abgehalten werden. Urteilt das Schiedsgericht erstmal darüber, wäre die Aufstellung einer Ersatzliste aufgrund von Fristen nicht mehr möglich.

Der ehemalige Landeschef Markus Tressel sagte der SZ: „Man kann dem Landesvorstand nur empfehlen, im Interesse der Partei in Gänze zurückzutreten und schnell den Weg freizumachen für einen echten Neuanfang mit neuen Personen.“ Einen Weg freimachen, „um noch eine konsensfähige Liste für die Bundestagswahl hinzubekommen“.

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