Lehrkäfte für Sekundarstufe 1 Inspirieren statt abschrecken – Neuer Informatik-Studiengang für Lehrer
Saarbrücken · Im Saarland wird ab dem Schuljahr 2023/24 Informatik als Pflichtfach in Klasse 7 eingeführt. Damit es langfristig auch genügend geeignete Lehrkräfte gibt, startet an der Saar-Uni ein neuer Studiengang. Die Online Bewerbung ist noch bis zum 15. Juli möglich.
Je früher die informatorische Bildung beginnt, umso besser, meint Informatik-Professorin Verena Wolf. „Schließlich bewegen sich schon Grundschulkinder in der digitalen Welt und haben Fragen!“ Ihr Sohn habe schon mit sieben Jahren wissen wollen, wie der Wetterbericht ins Handy kommt. „Ich kann das erklären“, gibt die 43-Jährige zu. „Andere Eltern vielleicht nicht.“
Damit Kinder trotzdem eine „digitale Mündigkeit“ erlangen können, wird im kommenden Jahr an Gemeinschaftsschulen und Gymnasien das Fach Informatik zweistündig verpflichtend eingeführt – zunächst in Klasse 7. Nicht nur im Bildungsministerium und an den Schulen laufen dafür Vorbereitungen, auch die Universität des Saarlandes stellt sich darauf ein: Sie führt im Wintersemester den neuen Studiengang „Lehramt Informatik in der Sekundarstufe 1“ ein, der sich auf das Unterrichten in der fünften bis zehnten Klasse konzentriert.
Denn der Bedarf an qualifizierten Lehrkräften ist groß – und nicht jeder Informatiker mit Bachelor-Abschluss ist automatisch ein guter Pädagoge. Oder fühlt sich dazu berufen, sein Wissen mit Kindern und Jugendlichen zu teilen. Bei Lukas Grünewald (22) ist das anders: Nach zwei Semestern „Cybersicherheit“ an der Saar-Uni wechselt er in den neuen Studiengang. „Ich fand es schon immer toll, über die Themen zu referieren, die ich selbst am spannendsten fand“, gibt er zu. „Und ich finde es sehr gut, um Leute wie mich schon früh für das Fach zu interessieren und zu inspirieren.“ Denn als Gemeinschaftsschüler habe er selbst keinerlei Berührungspunkte mit Informatik gehabt – das sei erst an einem beruflichen Oberstufengymnasium passiert. „Hätte ich dort nicht Abitur gemacht, hätte ich diesen Bereich praktisch nie erkunden können“, bilanziert er.
In dem neuen Lehramtsstudiengang eignen sich die Studierenden zunächst informatisches Grundwissen an – beispielsweise wie ein Computer aufgebaut ist, wie das Internet funktioniert. Darauf folgen neu entwickelte Kurse zur Einführung in die Programmierung. „Die anderen Bundesländer blicken mit großem Neid auf das Saarland“, sagt Professorin Wolf. Sehr wenige würden einen derartigen Studiengang überhaupt anbieten. Und wenn, hätten sie oft Probleme, weil es große Überlappung mit dem Bachelor-Informatik-Studiengang gebe. „Viele wechseln dann aus dem Lehramt“, weiß Wolf.
Dabei sei die Zielgruppe für das neue Fach an der Saar-Uni eine ganz andere: „Beim Bachelor bilden wir für die Spitzenforschung aus – das passt nicht so sehr zu den praktischen Anforderungen, die man als Lehrkraft im Informatikunterricht hat.“ Sie hofft daher, mit dem neuen Angebot, für das man sich noch bis zum 15. Juli bewerben kann, auch Studenten zu erreichen, „die Informatik vielleicht noch gar nicht so sehr auf dem Schirm haben.“ In dem neuen Studiengang könnten alle Studienfächer mit Informatik kombiniert werden – Ethik genauso wie künstlerische Fächer oder Sport.
Lukas Grünewald zum Beispiel hat als Zweitfach Geschichte gewählt – und freut sich darauf, neben dem fachlichen auch pädagogisches Wissen zu erlangen. Der 22-Jährige weiß schon genau, was der größte Fehler wäre, den er als Lehrer machen könnte: „Wenn ich in dem Fach eine negative Assoziation schaffe würde und die Schüler später sagen würden, mit dem Thema möchten sie nichts zu tun haben, das hätten sie schon in der Schule gehasst. Das wäre wirklich das Schlimmste, wenn man da verbrannte Erde hinterlässt!“. Auch Verena Wolf hat eine Vorstellung davon, wie Informatikunterricht sein beziehungsweise nicht sein sollte: „Wenn man es schlecht macht, macht man es einseitig. Das muss aber nicht sein. Es gibt eine große Bandbreite bei diesem Fach, das müssen die Lehrkräfte wiedergeben.“
Ziel sei es hierbei keineswegs, eine „digitale Elite“ zu schaffen, sondern allen Schülern das Wissen und die Kompetenz zu vermitteln, um reflektiert handeln und kritisch über digitale Phänomene urteilen zu können. „Die Schule hat die Aufgabe, die Kinder auf das Leben vorzubereiten – und das wird immer mehr geprägt von den digitalen Bereichen.“ Deshalb sei es wichtig, dass Schüler die Hintergründe verständen. „Damit sie nicht nur mündige Nutzer werden, die sicher sehr gut mit ihren Tablets und Smartphones umgehen können, aber nicht wissen, wie das grundlegend funktioniert.“ Deshalb sollte ihrer Ansicht nach jedes Kind wissen, wie ein Algorithmus funktioniert und selbst mal etwas programmiert haben.
Auch der Aspekt der Bildungsgerechtigkeit spiele bei der Einführung des Pflichtfaches eine Rolle. „Gerade Kinder aus bildungsfernen Haushalten, die keinen eigenen Computer haben oder nicht wie andere von ihren Eltern zu zusätzlichen Kursen gebracht werden, werden sonst komplett abgehängt.“ Nicht zuletzt erhofft sich die Professorin, dass vor allem Mädchen einen anderen Zugang zur Informatik erhalten, auch mit Blick auf ein späteres Berufsfeld. Aktuell läge der Frauenanteil in Informatik, Cybersicherheit oder DSAI (Data Science and Artificial Intelligence) bei durchschnittlich 12,3 Prozent. „Das finde ich einfach erschreckend wenig.“ Das Problem sei ihrer Ansicht nach, dass sich Mädchen nicht kompetent in dem Fach fühlen und eine völlig falsche Vorstellung haben. „Die glauben, Informatiker lösen Alltagsprobleme mit Windows und dem Internetzugang und haben einfach kein realitätsnahes Bild von der vielseitigen Arbeit im IT-Bereich. Das muss man ihnen näherbringen.“
Hauptziel des Pflichtfaches sei der allgemeinbildende Ansatz. „Es geht nicht darum, dass jeder am Ende Informatik studiert, sondern, dass die jungen Menschen mehr Kenntnisse bekommen“, sagt Verena Wolf. „Aber wenn danach doch viele ein solches Studium beginnen würden, freut uns das natürlich besonders.“
Weitere Informationen unter https://saarland-informatics-campus.de/lehramt-informatik