Schulöffnungen im Saarland Doch kein Wechselunterricht für alle Saar-Schüler ab Montag
Update · Saar-Bildungsministerin Christine Streichert-Clivot (SPD) muss nach der Ministerratssitzung zurückrudern. Der Frust in den Schulen über das Kommunikationschaos ist groß.
Es kommt doch anders als Saar-Bildungsministerin Christine Streichert-Clivot (SPD) zuvor verkündet hatte. Nicht alle Schüler der weiterführenden Schulen dürfen ab kommenden Montag, 8. März, wieder in die Schule zurückkehren. Obwohl Streichert-Clivot in den vergangenen Wochen immer wieder betont hatte, dass sie die Bildungseinrichtungen für alle Klassen außerhalb der gymnasialen Oberstufe öffnen wird, bleiben viele Schüler eine Woche länger zu Hause.
Demnach startet der Wechsel zwischen verpflichtendem Präsenzunterricht an der Schule und Lernen von zu Hause nur für die Klassen 5 und 6. Die Schüler, die die 2022 ihr Abitur abgelegen, werden komplett in der Schule unterrichtet. Die restlichen Schüler werden eine Woche später, am 15. März, folgen.
„Die jetzige Verständigung weicht in Teilen leider von meinem bisherigen Plan ab, auf den sich alle Beteiligten vorbereitet haben. Das bedeutet weniger Präsenzunterricht für viele Schülerinnen und Schüler, als ursprünglich vorgesehen.“, sagt Streichert-Clivot. Alle Entscheidungen seien jedoch immer auch von den Beschlüssen der Länderschefs mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) abhängig, schreibt die Ministerin am Donnerstag in einem Brief an Eltern und Schüler. „Dennoch ist es eine wirklich gute Nachricht, dass wir voraussichtlich ab dem 15. März für alle Schülerinnen und Schüler wieder Präsenzunterricht – überwiegend im Wechselbetrieb – haben werden.“ Die Schulen seien bestmöglich auf Öffnungen vorbereitet. „Wir haben verstärkte Hygiene- und Infektionsschutzmaßnahmen, die wissenschaftlich fundiert sind, die von den Fachleuten auch mit Blick auf Corona-Mutationen als wirksam erachtet werden und einen sicheren Schulbetrieb in der Pandemie ermöglichen“, so die Ministerin.
„Einige Aussagen der vergangenen Woche waren verfrüht“, kritisiert Frank Wagner, bildungspolitischer Sprecher der CDU-Fraktion im Saar-Landtag. „Es ist wichtig, dass wir uns an Rheinland-Pfalz orientieren und an der stufenweisen Rückkehr zum Wechselunterricht und dem Zeitplan festhalten.“ Die Kommunikation bei Lehrkräften, Eltern und Schülern müsse vom Bildungsministerium „geradegerückt werden“ und der „Schülertransport vorbereitet sowie die Teststrategie verfeinert werden“. Der Einstieg der Klassen 5 und 6 sei eine Lockerungsstufe, der am 15. März eine weitere folgt. „Uns war es zudem wichtig, dass der Abiturjahrgang 2022 am Montag in den Präsenzunterricht startet.“
Die SPD-Fraktion begrüßt die schrittweise Rückkehr. Das Öffnungsmodell sei ein „Fortschritt gegenüber der bisherigen Situation“, sagt Jürgen Renner, der bildungspolitische Sprecher. Wichtig sei, dass es jetzt eine verbindliche Perspektive in Richtung mehr Normilität für die Kinder und Jugendlichen gebe. Die Rückkehr erfolge nach klaren Strategien. „Bildungsministerin Christine Streichert-Clivot schafft über die bestehenden Hygiene- und Schutzkonzepte hinaus mit einem pragmatischen und bundesweit vorbildlichen Testkonzept zusätzliche Sicherheit. Die ersten Erfahrungen an den Schulen stimmen uns zuversichtlich.“ Darüber, was und wie Streichert-Clivot dieser Tage über die Schulöffnungen kommuniziert hatte, äußert sich die SPD nicht. Außer: „Dass es für einige Klassenstufen erst später losgeht, geht auf das Konto des Koalitionspartners“, sagt Renner.
Vor der Sitzung der Ministerpräsidenten mit Bundeskanzlerin Angelas Merkel (CDU) krachte es zwischen der Saar-Koalition aus CDU und SPD. Streichert-Clivot irritierte mit ihrer Aussage, wonach der Ministerrat eine Öffnung für alle Klassen beschlossen hätte. Das verwunderte die CDU, da es einen solchen Beschluss nicht gegeben hatte. Die Ministerin ruderte kurz darauf zurück und sprach von einer „Verständigung“ innerhalb der Regierung. Laut Staatskanzlei darauf, die Schulöffnung ab 8. März lediglich „in Aussicht stellen“ zu wollen.
Am vergangenen Dienstag blieb Streichert-Clivot bei ihrer Position. Im Bildungsausschuss des Landtages sagte sie: Alle Schüler kehren ab Montag in die Schulen zurück. Tausende Schüler und Eltern sowie die Schulen erhielten bereits zwei Wochen zuvor einen Brief aus dem Bildungsministerium, mit Plänen, wie der Schulstart ablaufen werde. Die Ministerin begründete das Vorpreschen mit dringend notwendigen „Vorbereitungen, Planungen und Koordination“. Die SPD-Fraktion im Saar-Landtag stellte sich hinter die Ministerin. „Konkrete Voraussetzungen, die dem vorgeschlagenen Weg der Ministerin entgegenstehen, wurden am Dienstag keine vorgetragen“, sagte Jürgen Renner noch nach der Ausschusssitzung.
Die CDU-Fraktion sah das anders. Zwar sei man sich einig, dass die Schulen geöffnet werden müssen. Nur auf das Wie konnte man sich nicht einigen. Zumal das letzte Wort mit Blick auf die Bund-Länder-Beratungen und die anschließende Ministerratssitzung noch nicht gesprochen war. CDU-Bildungspolitiker Frank Wagner forderte den Einstieg in den Wechselunterricht zuerst für die Klassen 5 und 6 - wie es auch im Nachbarland Rheinland-Pfalz geplant ist. Die SPD konterte, dass auch Saar-Ministerpräsident Tobias Hans (CDU) immer wieder dafür plädiert habe, zuerst bei den Schulen zu lockern. „Unnötige Auseinandersetzungen und parteipolitische Scharmützel werden dem besonderen Stellenwert von Bildung vor Ort für die Entwicklung der Kinder nicht gerecht. Sie sorgen nur für Unverständnis bei den Betroffenen und schaden der Landespolitik in ihrer Gesamtheit“, kritisierte Jürgen Renner.
Die Saar-Jusos warfen der CDU und Ministerpräsident Hans am Donnerstag eine „Blockadehaltung“ vor. „Die Verschiebung des Starts für alle Schülerinnen und Schüler ist eine böse Egonummer der Saar-CDU auf dem Rücken der Kinder. Christine Streichert-Clivot hat einen konkreten Öffnungsplan vorgelegt und bis zum heutigen Tage konnte kein CDU-Politiker einen konkreten Vorschlag machen, was anders organisiert werden soll“, sagte der Landesvorsitzende der Saar-Jusos, Jan Eric Rippel.
Die Junge Union Saar wiederum behauptet, die Ministerin hätte mit ihrem Vorpreschen keine Verantwortung gezeigt. „Sie hätte bei einer Entscheidung von derartiger Tragweite schlicht die Entscheidung des Ministerrats abwarten müssen. Es ist unredlich, die Verantwortung nun der CDU in die Schuhe zu schieben. Ihr war bewusst, dass die CDU eine komplette Öffnung der Schulen unter Berücksichtigung des derzeitigen Infektionsgeschehens zurecht als unverantwortlich erachtet und dennoch hat sie diese komplette Öffnung vorangetrieben“, sagt Johannes Schäfer JU-Landesvorsitzender.
Für wie viel Unverständnis sorgt das Hin und Her innerhalb der Regierungskoalition bei den Lehrern, Schüler und Eltern?
Die Vorsitzende des Saarländischen Lehrerinnen- und Lehrerverband (SLLV), Lisa Brausch, wird deutlich: Alle an Schulen Beteiligte seien verärgert über die große Koalition. „Das war eine ganz schlechte Kommunikation. Sehr schädlich.“ Drei Tage vor dem geplanten Schulbeginn die Räder zurückzudrehen, sei schwierig. Das alles komme sehr kurzfristig für die Schüler, Eltern und Lehrer, die sich auf einen Präsenzunterricht ab kommenden Montag bereits vorbereitet hätten. Obgleich Brausch die stufenweise Öffnung für den richtigen, den verantwortungsvolleren Weg hält. Die Infektionszahlen seien hoch, die Gefahren der Mutationen ebenfalls. Es gebe bislang kin Impfangebot für Lehrkräfte der weiterführenden Schulen, nicht in allen Schulen gebe es ausreichend Luftfilter, das Testangebot müsse deutlich erweitert werden.
Frustration und Ärger bei den Lehrkräften – das Ergebnis des politischen Hickhacks, sagt Marcus Hahn, Vorsitzender des Saarländischen Philologenverbands. Die Lehrer und Schulleitungen hätten vom Bildungsministerium den Auftrag gehabt, nicht nur die Unterrichts- und Hygieneorganisation, sondern vor allem auch den Unterricht im Wechselmodell vorzubereiten. „Das haben die Lehrkräfte und die Schulleitungen an Gymnasien in den letzten Tagen unter extrem hohem Aufwand getan.“ Weil nun aber die politische Grundlage dafür fehle, „verlieren Lehrerinnen und Lehrer das Vertrauen in die Bildungspolitik. Es ist der Eindruck entstanden, dass man sich auf keine Anordnung wirklich verlassen kann“. Offenbar fehle es an einem klaren Konzept. „Wir brauchen besonnenes, planvolles und gut abgestimmtes Handeln in der Bildungspolitik. Davon sind wir im Moment meilenweit entfernt“, so Marcus Hahn weiter.
Entsetzt ist die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) im Saarland über den „kurzfristig“ geänderten Öffnungsplan für die Schulen. Viele Arbeitsstunden, insbesondere der Schulleitungen, seien bereits in den jetzt nicht mehr gültigen Plan investiert. „Bereits seit Wochen bereiten sich die Schulen auf den Wechselunterricht vor. Es wurden neue Raumpläne gemacht, Gruppen eingeteilt, Dienstbesprechungen vereinbart, Stundenpläne neu geschrieben und mit Eltern und Schülern kommuniziert. Das alles neben der Mammutaufgabe der Testungen vor Ort,“ sagen die GEW-Landesvositzende und ihr Vize, Birgit Jenni und Max Hewer.
Grünen-Landeschef Markus Tressel kritisiert, die große Koalition würde einen „Machtkampf auf dem Rücken der Schüler“ austragen. „Mal wieder sorgt die Landesregierung für völliges Chaos. Heute so, morgen anders. Scheinbar dauert der Machtkampf zwischen SPD und CDU weiter an. Die Leidtragenden sind die Schülerinnen und Schüler, Lehrkräfte und Eltern.“ Tressel fordert, mehr Verlässlichkeit und eine einheitliche Linie der Landesregierung. „Der Ministerpräsident sollte das jetzt endlich ordnen.“
Von einem „blanken Chaos“ sprechen die Jungen Liberalen Saar. Das Bildungsministerium sei „von seiner eigenen Untätigkeit“ überrascht worden. Wir haben mehrfach explizit auf eine frühzeitige Planungssicherheit hingewiesen. „Zwar begrüßen wir es, dass man die fünften und sechsten Klassen bevorzugt, wie wir es bereits gefordert hatten. Doch jeder zeitliche Vorsprung für die Schaffung von klaren Strukturen wurde versäumt“, sagt der Landesvorsitzende der Jungen Liberalen Saar, Julien François Simons.
Seit 22. Februar sind alle Grundschüler wieder im Wechselunterricht. Abschlussklassen sind seit 11. Januar wieder im Präsenzunterricht. Die reguläre Unterrichtszeit der Abiturienten endet am 12. März.