Interview mit Martin Junkernheinrich „Ich würde den Erfolg nicht kleinreden“

Finanzwissenschaftler Martin Junkernheinrich sieht derzeit keine Chance auf eine Entschuldung durch den Bund.

  Junkernheinrich ist Inhaber des Lehrstuhls für Stadt-, Regional- und Umweltökonomie der TU Kaiserslautern .

Junkernheinrich ist Inhaber des Lehrstuhls für Stadt-, Regional- und Umweltökonomie der TU Kaiserslautern .

Foto: BeckerBredel/WIB

Sie haben sich in Berlin selbst dafür eingesetzt, dass der Bund den Kommunen stärker hilft. Warum?

JUNKERNHEINRICH Aus finanzwissenschaftlicher Sicht war der Bund über Jahrzehnte Mitverursacher der hohen Kassenkredite. Die hohen Soziallasten sind ja alles Bundesgesetze. Dass man seit einigen Jahren nachsteuert, heilt ja nicht, dass es viele Jahrzehnte anders war.

Waren Sie trotzdem enttäuscht, dass die Entschuldung nicht zustande gekommen ist?

JUNKERNHEINRICH Ja, mit dem Vorschlag des Bundesfinanzministers, das Kassenkreditproblem endgültig zu lösen und bei den Kosten der Unterkunft zu helfen, war in den letzten Wochen ein hochinteressantes Möglichkeitsfenster geöffnet. Nachdem die Lösung für das Altschuldenproblem nicht umgesetzt wurde, liegt diese nun bei den Ländern, das Saarland hat das angegangen, bei Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen, wo die Kommunen noch sehr hohe Kassenkredite haben, steigt der politische Druck, das Problem ebenfalls umzusetzen.

Glauben Sie, dass eine Entschuldung durch den Bund noch eine Chance hat?

JUNKERNHEINRICH Aktuell sehe ich da keine Möglichkeiten. Aber bei solchen Themen ist man immer Langstreckenläufer. Für Entlastungen im Sozialbereich kämpfen die Kommunen seit über 30 Jahren.

Der Bund übernimmt stattdessen einen größeren Teil der Unterkunftskosten von Arbeitslosen. Stellt Sie das Gesamtpaket des Bundes zufrieden?

JUNKERNHEINRICH Es sind große Summen bewegt worden – mehr, als viele Beobachter erwartet haben. Deshalb würde ich den Erfolg nicht kleinreden. Die Länder sind nun gefordert, diese Maßnahmen landesspezifisch zu ergänzen.

Ist das Ziel, dass alle Saar-Kommunen ab 2024 eine schwarze Null schreiben sollen, überhaupt noch realistisch?

JUNKERNHEINRICH Da muss man sehen, wie sich die wirtschaftliche Situation entwickelt. Ich gehe mal davon aus, dass mit den Hilfen eine gewisse Chance besteht. Man muss allerdings sehen: Der Überschuss der Kommunen 2019 war im Saarland unter allen Bundesländern der geringste. Das zeigt, dass die dauer­hafte Erzielung von Überschüssen noch kein Selbstläufer ist.

Rächt sich jetzt, dass man in den letzten Jahren, in denen es wirtschaftlich gut lief, Reformen unterlassen hat? Die interkommunale Zusammenarbeit kommt kaum voran, die vom Land seit Jahren geplante Funktionalreform gibt es bis heute nicht.

JUNKERNHEINRICH In den fiskalischen Honeymoon-Zeiten, in denen die Einnahmen stärker steigen als erwartet, war man mit Strukturreformen in vielen Ländern und Staaten sehr zurückhaltend. Ich habe wahrgenommen, dass interkommunale Kooperation auch im Saarland sehr singulär geblieben ist.

Die große Diskussion über die Kommunalfinanzen im Saarland begann 2015 mit Ihrem Gutachten. Sind Sie zufrieden mit der Umsetzung Ihrer Ratschläge?

JUNKERNHEINRICH Als Gutachter braucht man eine gewisse Enttäuschungsfestigkeit. Dieses Gutachten hat allerdings einen Meinungswandel herbeigeführt. Am Anfang waren Kassenkredite im Saarland eine Selbstverständlichkeit. Als wir deutlich gemacht hatten, dass darin ein gewisses Problem liegen könnte, hat man uns angeschaut und gesagt: „Aber Herr Junkernheinrich, die Kassenkredite sind bei uns ein normales Instrument der Finanzierung!“ Von da bis zu einem Entschuldungsprogramm ist ein langer Weg. Da hat das Gutachten sicherlich zu einem Umdenken geführt. Es hat sich bei den Hebesätzen der kommunalen Steuern etwas getan, man hat versucht, den Haushaltsausgleich zu erreichen. Dass so etwas nicht immer eins zu eins umgesetzt wird, ist klar.

Ein großes Problem in den Kommunen bleibt der Sanierungsstau bei Schulen, Hallen, Straßen oder Bädern. Sehen Sie dafür irgendeine Lösung?

JUNKERNHEINRICH Wir müssen die kommunalen Investitionen erhöhen und verstetigen. Mancher Haushaltsausgleich ist auch damit erkauft worden, dass man weniger investiert hat. Das ist eines der großen Themen der nächsten zehn Jahre. Da ist es nicht mit einem Konjunkturpaket getan.

Und wo soll das Geld dafür herkommen?

 Im Januar hatten Bürgermeister aus dem Saarland in Berlin für eine bessere Zukunft der saarländischen Kommunen demonstriert. Junkernheinrich glaubt, dass die Botschaft inzwischen angekommen ist.

Im Januar hatten Bürgermeister aus dem Saarland in Berlin für eine bessere Zukunft der saarländischen Kommunen demonstriert. Junkernheinrich glaubt, dass die Botschaft inzwischen angekommen ist.

Foto: dpa/Carsten Koall

JUNKERNHEINRICH Das Problem ist auch in Berlin angekommen. Wir werden eine längere Diskussion bekommen, wie wir die Kommunen insbesondere in den finanzschwächeren Ländern so ausstatten können, dass sie mehr investieren können. Gerade in den Ländern mit hohen Kassenkrediten sind auch die Investitionskredite sehr hoch.

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