Demonstration gegen Abtreibung im Saarland Marsch für das Leben abgesagt – banger Blick nach Polen

Saarbrücken · Für diesen Samstag war ein Demonstrationszug von Abtreibungsgegnern, ein „Marsch für das Leben“ in Saarbrücken geplant. Coronabedingt wurde er abgesagt.

  Eine Abtreibungsgegner-Demo in Saarbrücken ist abgesagt. In Polen aber demonstrieren derzeit Hunderttausende gegen verschärfte Abtreibungsverbote.

Eine Abtreibungsgegner-Demo in Saarbrücken ist abgesagt. In Polen aber demonstrieren derzeit Hunderttausende gegen verschärfte Abtreibungsverbote.

Foto: dpa/Czarek Sokolowski

Immer wieder stehen sich Abtreibungsgegner und -befürworter gegenüber. Christlich-fundamentalistische Organisationen wie die „Aktion Leben e.V.“ und die „Piusbrüder“ setzen einen Abbruch mit Mord gleich. Beratungsstellen sind für sie „qualifizierte Tötungsberater“. Sie vergleichen Schwangerschaftsabbrüche mit eugenischen Maßnahmen im Nationalsozialismus. Ihnen gegenüber stehen Menschenrechtsaktivisten. So fordert das Bündnis „My body, my choice“ (Mein Körper, meine Entscheidung) das Recht auf körperliche Selbstbestimmung von Frauen und verteilt regelmäßig Plakate und Flyer.

Für diesen Samstag war ein Demonstrationszug von Abtreibungsgegnern, ein „Marsch für das Leben“ in Saarbrücken geplant. Coronabedingt wurde er abgesagt. Die Piusbrüder kommen trotzdem am Vormittag vor der Beratungsstelle der Pro Familia in der Landeshauptstadt zu einer Kundgebung zusammen – nicht zum ersten Mal. Jedes Jahr gehen sie auf die Straßen, um gegen Schwangerschaftsabbrüche zu demonstrieren. Und die Pro Familia? Eine Gegen-Kundgebung plant sie nicht. Sie steht aber „rund um die Uhr, das ganze Jahr, für ihre Arbeit und das Recht aller Menschen auf reproduktive Gerechtigkeit ein“, sagt die Leiterin der Beratungsstelle, Eva Szalontai.

Für die Rechte der Frauen kämpfen derzeit auch hunderttausende Menschen in Polen. „Wir brauchen Unterstützung. Wir brauchen ein internationales Bewusstsein“, sagt Anna Kowalczyk. Sie ist eine polnische Bloggerin und Journalistin. In erster Linie ist sie aber Frauenrechtlerin. Die Pro Familia hatte sie am Freitag zu einer Gesprächsrunde geladen, zugeschaltet aus Polen über das Internet. Ende Oktober hatte das Verfassungsgericht in Polen eine Verschärfung des Abtreibungsrechts auf den Weg gebracht. Künftig sollen Abtreibungen im Falle einer schwerwiegenden Fehlbildung des Fötus illegal sein. Erlaubt sind sie demnach nur noch, wenn das Leben der Mutter bedroht ist oder die Frau durch eine Vergewaltigung oder Inzest schwanger geworden ist.

Was auf das Urteil folgte, sei enorm, sagt Kowalczyk. Eine Revolution, in großen und kleinen Städten. „Hunderttausende Menschen, Frauen und Männer, gehen auf die Straßen. Manche sagen, es seien die größten Proteste auf polnischen Straßen in der Geschichte des Landes.“ Ein Ausdruck „purer Wut“ gegen die Regierung. Die Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) verfolgt seit Jahren das Ziel, das Abtreibungsrecht in Polen zu verschärfen. Mit dem kontroversen Urteil scheint sie dem Ziel ein Stück näher. Noch ist es aber nicht veröffentlicht und nicht in Kraft.

„Die Verschärfung führt zu einem Quasi-Verbot“, sagt Psychotherapeutin Nartan Zemelko. Sie ist in Polen geboren und lebt in Saarbrücken. Im vergangenen Jahr hätten rund 1100 Frauen in Polen abgetrieben. Die Dunkelziffer liege weit darüber. In 98 Prozent der Fälle entschieden sich Frauen für einen Abbruch, weil der Fötus stark fehlgebildet war. Durch die Änderung des Gesetzes würden die Frauen in den Untergrund getrieben, sagt Zemelko.

Oft steckten religiös-fundamentalistische Gesinnungen hinter den Abtreibungsgegnern. In einem Land wie Polen, in dem Religion und die katholische Kirche tief verwurzelt sind. Das scheint sich jedoch zu ändern. Die Proteste seien auch Ausdruck „kultureller und geistiger Veränderung“, sagt Kowalczyk. Sie berichtet von Demonstranten, die sich in Sonntagsmessen Gehör verschaffen, die Priester, die Kirche offen kritisieren. „Bislang galt die Kirche als unantastbar.“

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