Forderungen ignoriert? Lehrerverband wirft Commerçon Untätigkeit vor

Saarbrücken · Laut Verband Reale Bildung gibt es immer noch keine multiprofessionellen Teams an saarländischen Schulen. Außerdem arbeiteten zu viele Lehrer in Befristung. Das Bildungsministerium hält mit Zahlen dagegen.

 Bereits im Oktober 2018 erhielt Bildungsminister Commerçon (SPD) einen Forderungskatalog von einem breiten Lehrerbündnis.

Bereits im Oktober 2018 erhielt Bildungsminister Commerçon (SPD) einen Forderungskatalog von einem breiten Lehrerbündnis.

Foto: BeckerBredel

Die Kritik am saarländischen Bildungsministerium seitens der Lehrergewerkschaften reißt nicht ab. Der Verband Reale Bildung (VRB), der Lehrer an Gemeinschafts- und Förderschulen vertritt, wirft Bildungsminister Ulrich Commerçon (SPD) vor, seit Jahren immer wieder gestellte Forderungen zu ignorieren. Wieder sei ein Schuljahr vergangen und wieder seien keine Maßnahmen ergriffen worden, sagt VRB-Landeschefin Karen Claassen. Im Oktober 2018 hatte das Bündnis Gemeinschaftsschulen Commerçon ein Papier mit zehn konkreten Forderungen übergeben. 1600 Lehrerinnen und Lehrer von 57 saarländischen Schulen hatten die Forderungen des Bündnisses aus Eltern- und Schülervertretungen, Personalräten, der Gewerkschaft GEW und den Verbänden VRB und Saarländischer Lehrer und Lehrerinnen Verband (SLLV) unterschrieben. Darin enthalten war unter anderem der Ruf nach mehr Ressourcen. So sollten im Landeshaushalt mehr Planstellen berücksichtigt werden. Das sei allerdings während der Haushaltsverhandlungen vom Kultusminister wiederholt abgelehnt worden, sagt Claassen.

Multiprofessionelle Teams aus Psychologen, Ärzten, Krankenschwestern, Therapeuten und Lehrern, die laut einer Aussage Commerçons aus dem vorigen Jahr im Aufbau seien, seien immer noch nicht im Einsatz. „Bisher gibt es in der Praxis keine einzige entsprechende Teamstruktur“, kritisiert Claassen. Das saarländische Bildungsministerium allerdings sagt auf SZ-Anfrage: „Da verkennt der VRB, dass an saarländischen Schulen schon seit Jahren über unterschiedliche Programme und Projekte multiprofessionell gearbeitet wird.“ So seien über das Schoolworker-Programm, Programme des Europäischen Sozialfonds und Programme der örtlichen Jugendhilfeträger Sozialarbeiter an den Schulen tätig, sagt Pressesprecher Fabian Bosse. Aktuell seien 112 Schoolworker eingesetzt. Über das Projekt „Schule stark machen“ finanziere das Bildungsministerium zudem an 18 besonders belasteten Schulen zusätzlich Schulsozialarbeiter, Erzieher und Sprachmittler beziehungsweise Dolmetscher. Jeder Landkreis unterhalte einen schulpsychologischen Dienst zur besonderen Unterstützung der Schüler. Derzeit werde das sogenannte Kollegium der Zukunft weiter ausgebaut. Dafür wurden im Landeshaushalt 500 000 Euro für 2019 und zwei Millionen Euro für 2020 bereitgestellt. Hierzu werde zurzeit ein gemeinsames Konzept erarbeitet. Der Fokus liege dabei zu Beginn besonders im Ausbau der Schulsozialarbeit und soll in Abstimmung mit Schul- und Jugendhilfeträgern und den anderen beteiligten Ministerien (Sozialministerium und Wirtschaftsministerium) erfolgen.

 Die VRB-Vorsitzende Karen Claassen sieht die Forderungen der saarländischen Lehrer ignoriert.  Foto: Christian Wollscheid

Die VRB-Vorsitzende Karen Claassen sieht die Forderungen der saarländischen Lehrer ignoriert. Foto: Christian Wollscheid

Foto: Christian Wollscheid, VRB

Eine gelungene Inklusion sehe nach Ansicht der VRB-Landeschefin aber anders aus. 2016 schon sagte der Verband, dass es mehr Ressourcen bedürfe, um „nicht genau das zu riskieren, was immer sichtbarer wird: Immer mehr Schülerinnen und Schülern kann nicht die nötige Förderung zukommen, um die Anschlussfähigkeit zu erlangen“. Es fehle eine Diagnostik, sagt Claassen. Nur beim Besuch einer Förderschule würde genau durch Ärzte, Psychologen und Lehrer erörtert, welchen Förderbedarf das Kind hat. Bei Regelschulen werde keine Diagnose erstellt. Die im Projekt „Schule stark machen“ erarbeiteten Konzepte würden am Ende nicht oder kaum umgesetzt. Denn mehr Personal durch mehr Planstellen gebe es schließlich nicht. Unterstützung gebe es lediglich an Brennpunktschulen, nach deren Hilferufe das Projekt ins Leben gerufen wurde.

Ein weiterer Kritikpunkt des VRB ist die fehlende Transparenz beim Einstellungsprozess. Vor allem bei den Wartelisten. Junge Kollegen und Referendare wüssten nicht, wie lange sie auf eine Stelle warten müssten. Abhilfe könnte nach Ansicht Claassens eine einsehbare Warteliste mit Nummern geben – „aus datenschutzrechtlichen Gründen natürlich ohne Namen“. Wenn angehende Lehrer wüssten, in welchem Zeitraum sie ungefähr eine Stelle antreten könnten, gebe das zumindest etwas Planungssicherheit. Eine solche anonyme Rangliste hält das Bildungsministerium aber für nicht „praktikabel“. Weil Noten für die Einstellung in den Schuldienst nicht alleine ausschlaggebend seien, müsste vielmehr für jede Fächerkombination und jede Lehramtsbefähigung eine eigene Liste angefertigt werden. „Zudem kommt es auf die Fächerkombinationen an, die von den Schulen angefordert werden; diese Anforderungen der Schulen sind in den Ranglisten nicht transparent abzubilden“, heißt es aus dem Ministerium. Für den Vorbereitungsdienst eine Liste zu erstellen sei schlicht nicht möglich, weil Bewerber in der Regel zwei Fächer „mitbringen“, die freien Plätze aber nach einzelnen Fächern gegliedert sind. Das bedeutet, dass im ersten Fach freie Plätze zur Verfügung stehen könnten, im zweiten Fach aber nicht. „Bewerber für die Einstellung in den Schuldienst bzw. Vorbereitungsdienst können jedoch jederzeit im Ministerium für Bildung und Kultur nachfragen, wie ihre Einstellungschancen sind“, sagt Pressesprecher Bosse.

Nach der Ersteinstellung gebe es für junge Lehrer im Saarland dennoch keine Planungssicherheit, weil sie von „einer Befristung in die nächste rutschen“, sagt Claassen. Zehn befristete Stellen bis zur Festanstellung seien laut VRB eher die Regel denn die Ausnahme. Auch hier widerspricht das Ministerium: Von den 9247 saarländischen Lehrern arbeiten 377, also 4,1 Prozent in einem befristeten Arbeitsverhältnis. Oft übernehmen sie die Vertretung für Kollegen, die in Mutterschutz oder Elternzeit sind, weil sie erkrankt sind oder sich eine Auszeit (Sabbatjahrmodell) nehmen. „In der Regel wird ein Großteil der zunächst befristeten Beschäftigten auch nach einer Dauer von ein bis zwei Jahren unbefristet übernommen und oftmals – im Gegensatz zu anderen Bundesländern – verbeamtet.“ Aktuell seien nur neun der über 9000 Lehrern im Saarland zehn befristete Verträge hintereinander angeboten worden.

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