Zentrales Rechtsdokument des Landes wird heute 73 Jahre alt Landtagspräsident regt zum Jubiläum der Saar-Verfassung eine Revision an

Saarbrücken · Wenn heute die Saarländische Verfassung 73 Jahre alt wird, dann mag sich manch’ einer vielleicht fragen: Was geht das mich an? „Eine ganze Menge“, erklärt Landtagspräsident Stephan Toscani (CDU).

  Auf der letzten Seite der Verfassung mit Datum vom 16. Dezember 1947 erkennt man links unten die Unterschrift von Johannes Hoffmann (CVP).

Auf der letzten Seite der Verfassung mit Datum vom 16. Dezember 1947 erkennt man links unten die Unterschrift von Johannes Hoffmann (CVP).

Foto: Oliver Dietze

Das historische Dokument regelt seit Jahrzehnten die Grundzüge des gesellschaftlichen Zusammenlebens im Saarland, sichert jedem Bürger über das Grundgesetz hinaus handfeste Grundrechte zu (etwa Glaubens- und Gewissensfreiheit) und ermöglicht über dort festgeschriebene Regeln zu Volksbegehren und -entscheiden jedem einzelnen von uns die Teilnahme am politischen Prozess. Außerdem sei diese „Geburtsurkunde des Landes“ im wahrsten Sinne des Wortes „identitätsstiftend“ für das Saarland, ergänzt Toscani. Denn die Verfassung ist wesentliche Grundlage der Eigenstaatlichkeit des Saarlandes innerhalb des föderalen Systems der Bundesrepublik Deutschland und verortet das Saarland zugleich im Herzen Europas, in dem es als erste Landesverfassung überhaupt die europäische Einigung als Staatsziel festgeschrieben hat.

Toscani hat das vergilbte Original-Dokument aus dem Landtags-Archiv geholt, um es unserem Fotografen in die Kamera zu halten und den Saarländern damit ins Bewusstsein zu rücken. Es sieht weit weniger pompös aus als seine Bedeutung vermuten lässt. Ein Bündel mit Schreibmaschine beschriebener Blätter, zusammengehalten in einem Hefter. Auf der letzte Seite die Unterschrift von Johannes Hoffmann (Christliche Volkspartei CVP), Präsident der Verfassungskommission und der gesetzgebenden Versammlung des Saarlands. Er hatte das Dokument am 16. Dezember 1947 unterschrieben, am Folgetag wurde es im Amtsblatt veröffentlicht und trat damit in Kraft. Vier Tage später wurde Hoffmann der erste Saar-Ministerpräsident (im Amt bis 1955).

Die Verfassung hatte ursprünglich eine Präambel, die weit mehr als nur eine feierliche Einleitung war. Sie war seinerzeit das eigentliche Kernstück der Verfassung, denn sie legte den wirtschaftlichen Anschluss an Frankreich und in der Konsequenz damit die politische Loslösung von Deutschland fest. Der Verwaltungsrechtler Rudolph Brosig nennt das gesamte Ursprungsdokument deshalb eine „Protektoratsverfassung“. Das änderte sich erst nach der Volksbefragung über das Saarstatut. Als das Saarland am 1. Januar 1957 offiziell der Bundesrepublik Deutschland beitrat, hatte die Verfassung zwar in weiten Teilen noch denselben Text, aber keine Präambel (und umstrittene Artikel) mehr. Ein gewichtiger Unterschied.

Diese Genese der saarländischen Verfassung zieht gleich mehrere Besonderheiten nach sich. Zum einen haben die Saarländer damit die einzige Landesverfassung in Deutschland, die keine Präambel hat. Andererseits hat die Saar-Verfassung einen eigenständig ausformulierten Grundrechtsteil, was wiederum einige andere Bundesländer nicht haben. Und das hat Konsequenzen: Denn weil die Saarländische Verfassung zeitlich vor dem Grundgesetz (1949) in Kraft trat, kommt dies einer „Verdoppelung“ des Grundrechtsschutzes gleich, erklärt die Landtagsverwaltung. Sehen sich Bürger in ihren Grundrechten verletzt, können sie somit direkt den eigenen Saarländischen Verfassungsgerichtshof anrufen. Diese Möglichkeit haben beispielsweise die Bürger in Schleswig-Holstein, Hamburg oder Niedersachsen nicht.

  Landtagspräsident Stephan Toscani (CDU) mit dem Original der Verfassung, deren Text auch die Wand im Plenarsaal des Landtags hinter ihm schmückt.

Landtagspräsident Stephan Toscani (CDU) mit dem Original der Verfassung, deren Text auch die Wand im Plenarsaal des Landtags hinter ihm schmückt.

Foto: Oliver Dietze

Natürlich sei eine Verfassung auch ein Dokument der Zeitgeschichte, sagt Landtagspräsident Toscani. Deshalb regt er eine Verfassungsrevision in der nächsten Legislaturperiode an. Dann könne man etwa das Thema Nachhaltigkeit aufnehmen, den heute umstrittenen Begriff „Rasse“ streichen – und der Saarländischen Verfassung wieder etwas geben, was ihr 63 Jahre lang fehlte: eine Präambel.

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