Sommerinterview mit Tressel und Schöpfer „Der Klimawandel macht keine Pause“

Gerlfangen · Tina Schöpfer und Markus Tressel (Grüne) über die Zukunft des Saarlands als Wirtschaftsstandort und eine Vision der Gesellschaft nach Corona.

 Als Ort für das SZ-Sommerinterview haben sich die Grünen-Landesvorsitzenden Tina Schöpfer und Markus Tressel den Marienhof in Gerlfangen ausgesucht. Ein Bio-Bauernhof, der auf Nachhaltigkeit setzt – und für die beiden beispielhaft ist.

Als Ort für das SZ-Sommerinterview haben sich die Grünen-Landesvorsitzenden Tina Schöpfer und Markus Tressel den Marienhof in Gerlfangen ausgesucht. Ein Bio-Bauernhof, der auf Nachhaltigkeit setzt – und für die beiden beispielhaft ist.

Foto: Dominik Dix

Die Landesregierung investiere zwar viel Geld in der Corona-Krise, aber ohne Gestaltungswillen und Innovationsbereitschaft, kritisieren die beiden Landesvorsitzenden der Grünen, Tina Schöpfer und Markus Tressel. Das Geld müsse auch zugunsten nachfolgender Generationen genutzt werden, fordern die beiden Grünen-Politiker.

Frau Schöpfer, Herr Tressel, das Wichtigste gleich zu Beginn: Schottergärten, ja oder nein?

SCHÖPFER Man muss für dieses Thema ein Bewusstsein schaffen. Letztes Jahr haben wir das auf einer Veranstaltungsreihe thematisiert. Es ist schwierig, in bereits bestehende Vorgärten einzugreifen. Allerdings könnte ich mir vorstellen, das über eine Gestaltungssatzung für Neubaugebiete zu regeln.

Derzeit gibt es eine Flaute in Sachen Ausbau von Windkraftanlagen. 2019 wurden genau zwei davon im Saarland gebaut. Was tun?

TRESSEL Wir brauchen die Windkraft, um die Ziele bei den erneuerbaren Energien zu erreichen. Die gesellschaftliche Debatte ist leider ein wenig unter die Räder gekommen, zum Teil auch gezielt vergiftet worden. Aus meiner Sicht muss man Überzeugungsarbeit leisten. In die Planung muss einfließen, dass es vor Ort mögliche Widerstände geben könnte. Man muss stärker im Dialog an die Sache herangehen, Akzeptanz schaffen. Der Klimawandel macht keine Pause, das merken wir jedes Jahr mehr. Deshalb brauchen wir mehr Investitionen in erneuerbare Energien.

SCHÖPFER Gerade wird ja unglaublich viel investiert. Man muss die Klimakrise und die Coronakrise ein Stück weit zusammen betrachten. Ständig kommen neue Nachrichten über Trockenheit, Hitze und Waldbrände rein. Und gegen die Klimakrise wird es keinen Impfstoff geben. Deshalb ist das die Krise, die uns noch ganz lange begleiten wird. Die Frage ist, wie man darauf reagiert: Baut man immer weiter neue Straßen, so wie man das seit Jahrzehnten macht und trägt zur Neuversiegelung von Böden bei, oder investiert man das Geld in nachhaltige und klimaschonende Projekte?

Kann eine Verkehrswende gelingen, wenn man gleichzeitig auf fossile Energieträger und Stahl- sowie Autoindustrie setzt? Wie kann man das sinnvoll vereinen?

SCHÖPFER Mit den 2,1 Milliarden Euro, die vom Land bereitgestellt werden, könnte man sinnvolle Investitionen tätigen, etwa in die Produktion von „grünem Stahl“. Stahl ist ein Identitätsmerkmal im Saarland, die Produktion kann man aber auch umweltfreundlicher gestalten. Außerdem könnte man Teile des Geldes in den ÖPNV investieren – anstatt Bahnverbindungen weiter auszudünnen. Das passiert aber gerade.

TRESSEL Die Verkehrswende kann man nicht isoliert betrachten. Insgesamt muss man zu einer Ökologisierung kommen, nicht nur beim Verkehr, sondern in der gesamten Wirtschaft. Der Verbrennungsmotor ist ein Auslaufmodell, diesen Wandel wird das Saarland nicht aufhalten. Deshalb wären wir hier gut beraten, wenn wir die Wende gestalten würden. Wir haben ein Riesenkapital in den Facharbeitern hier im Land, die in der Lage sind, moderne Motoren zu bauen. Durch unsere Forschungseinrichtungen und Unternehmen wie Bosch, ZF, Ford und unsere hohe Kompetenz etwa bei der Materialforschung an der Uni haben wir einen Standortvorteil, den wir aber nicht ausreichend nutzen. Wir könnten Vorreiter bei moderner Mobilität und moderner Industrie werden, aber dafür müsste das Land die richtigen Weichen stellen. Wir haben lange am Verbrennungsmotor festgehalten, aber die Realität wird uns da überholen. Und auch hier hat Corona gezeigt, wie schnell so ein Innovationsschub kommen kann.

Sie sprechen von digitalem Unterricht und Homeoffice...

TRESSEL Genau. Es wird zukünftig einen schnelleren Technologiewechsel geben, nicht nur bei Verbrennungsmotoren, auch bei der Digitalisierung. Für viele Leute, die nicht viel Platz zu Hause haben, ist das natürlich schwieriger zu organisieren. Trotzdem hoffe ich, dass sich für die Menschen mit der Digitalisierung der Arbeit ein Tor zur Zukunft geöffnet hat, auch ökonomisch. Das wird vor allem für den ländlichen Raum wichtig, der ja häufig leider immer noch ein Problem mit der digitalen Anbindung hat. Corona kann eine Chance sein, jetzt könnte ein entscheidender Schub kommen, der den ländlichen Raum nicht nur als Wohn-, sondern auch wieder als Arbeitsort attraktiv macht. Grundstücke sind hier oft billiger, die dörflichen Gemeinschaften erleichtern Kinderbetreuung und so weiter. So kann man dem ländlichen Raum eine Perspektive geben – wenn die Investitionen von Land und Bund stimmig sind. Dazu muss alles auf den Nachhaltigkeits-Prüfstand. Der Klimawandel gewährt uns keinen Corona-Rabatt. Mit dem Geld muss etwas getan werden, was den nachfolgenden Generationen auch zugute kommt.

Was halten Sie vor diesem Hintergrund von einer Absenkung des Wahlalters?

SCHÖPFER Wir fordern das schon lange. Wenn sich junge Menschen einbringen, auch jenseits vom Thema Klimaschutz, zum Beispiel bei der MeToo-Bewegung oder der Antirassismus-Bewegung, dann sollten diese auch Gehör finden.

Es geht also darum, dass Parteien Zukunft wieder aktiv gestalten. Was bedeutet für Sie in dem Zusammenhang der Begriff der politischen Utopie?

SCHÖPFER Eine Utopie ist ein Gesellschaftsentwurf. Wir müssen einen neuen Gesellschaftsvertrag aushandeln, um festzulegen, wie wir nach Corona leben wollen. Die Menschen fangen jetzt an, grundsätzliche Fragen zu stellen. Bei einer solchen Krise, einer Sache, vor der jeder Angst hat, entsteht Solidarität. Das sieht man daran, dass Teile der Gesellschaft trotz Corona auf die Straße gehen, um gegen Rassismus zu demonstrieren. Meine Utopie ist nach wie vor eine gleichberechtigte Gesellschaft, an der jeder teilhaben kann. Dazu gehört auch, schonend mit unseren Ressourcen umzugehen, damit wir nicht unsere eigene Lebensgrundlage zerstören.

Stichwort: positive Zukunftsvision.

TRESSEL Genau. Man braucht ein Ziel, auf das man hinarbeiten kann. Was wir in den letzen Monaten erleben, ist, dass Dinge, die vor kurzem noch utopisch erschienen, plötzlich möglich sind. Hätte mir jemand am 15. Februar gesagt, dass wir vier Wochen später alle von zu Hause aus per Videokonferenz arbeiten, hätte ich ihn ausgelacht. Manchmal muss man utopisch denken. Wer hätte bei der Gründung unserer Partei gedacht, dass die Atomkraft irgendwann tatsächlich abgeschafft wird? Das war ein Milliardengeschäft. Trotzdem ist es Wirklichkeit geworden. Wenn man keine Utopien, Visionen oder Träume hat, dann hat man auch keine Chance, ein großes Ziel zu erreichen. Meine Vision wäre ein Saarland, das mit einer zukunftsfähigen Wirtschaftsstruktur ausgestattet ist. Dafür muss man die Weichen richtig stellen und konstruktiv zusammenarbeiten. Dafür müssen Ideen unabhängig von ihrem Ursprung ausprobiert werden. Nur so können Utopien Wirklichkeit werden. Bei der Landesregierung fehlen mir häufig der Gestaltungswille und die Innovationsbereitschaft. Das Saarland hat so gute Anlagen, lasst uns doch mal einen großen gesellschaftlichen Prozess anstoßen.

SCHÖPFER Da denke ich auch an die Ausrichtung der Uni in Saarbrücken. Es kursieren so viele Verschwörungstheorien und es herrscht so ein rauer Ton im Internet. Große gesellschaftliche Prozesse darf man nicht nur technologisch begleiten, man muss sie auch geistes- und sozialwissenschaftlich aufarbeiten, um die Gesellschaft zusammenzubringen. Deshalb braucht es eine deutliche Stärkung der Sozialwissenschaften an der Uni, dazu gehört auch die Wiedereinrichtung eines festen Lehrstuhls für Politikwissenschaft.

Also nicht nur Quantifizierung, sondern auch Qualifizierung?

TRESSEL Genau. Der rein ökonomische Blick ist nicht ausreichend. Es bleibt zu hoffen, dass in die saarländische Stahlbranche richtig Geld reingesteckt wird, um sie nicht nur ökonomisch, sondern auch ökologisch wettbewerbsfähig zu halten. Dillinger Stahl ist ein hochspezialisiertes Produkt, das man nicht einfach so billig woanders herstellen kann. Deshalb ist das wichtig für die Zukunft des Standorts. Nicht nur, um Arbeitsplätze zu erhalten, sondern auch, um den technologischen Fortschritt weiter mitzugestalten. Man braucht solche Produkte, damit man zum Beispiel Windräder herstellen kann. Da gehen die Dinge Hand in Hand. Der ökologische Fortschritt braucht Beständigkeit im Wirtschaftsstandort.

Wagen wir einen kurzen Blick in die Zukunft. Wer steht bei der Landtagswahl für Ihre Partei 2022 in der ersten Reihe?

TRESSEL Das ist noch nicht entschieden. Wir arbeiten hervorragend im Team zusammen und klären das zu gegebener Zeit, irgendwann im Laufe des nächsten Jahres.

SCHÖPFER Unser Fokus liegt auf den Inhalten. Man sieht das im Übrigen an der AfD und der Linken, die sich wegen Personalfragen ständig selbst zerfleischen. Unsere Stärke ist, dass wir ein gutes Team sind. Deshalb übernehmen wir auch die Rolle der Opposition in diesem Land und legen den Finger so gut es geht in die Wunde.

TRESSEL Im Moment ist das Parlament völlig dysfunktional. Es gibt im Landtag keine echte Opposition. Die AfD und die Linken sind mit sich selbst beschäftigt und wir leisten derzeit auf ehrenamtlicher Basis Oppositionsarbeit gegen eine übermächtige Mehrheit aus CDU und SPD. Deshalb führen wir heute keine Personaldebatten.

 Im Landtag fehle eine echte Opposition, kritisieren Tina Schöpfer und Markus Tressel.

Im Landtag fehle eine echte Opposition, kritisieren Tina Schöpfer und Markus Tressel.

Foto: Dominik Dix

Das vollständige Interview finden Sie unter www.saarbruecker-zeitung.de/sommerinterview-gruene

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort