Abitur nach neun Jahren im Saarland Rückkehr zu G9: Diese Themen sollten laut Lehrern und Universitäten künftig im Lehrplan stehen
Saarbrücken · Saarländischer Philologenverband und Vertreter des Deutschen Hochschulverbands tauschten sich aus über Hoffnungen und Erwartungen, wie das zusätzliche Schuljahr gestaltet werden soll.
Die neuen Fünftklässler an den Gymnasien im Saarland bilden nach den Sommerferien eine ganz besondere Klassenstufe. Denn sie sind diejenigen, die auf jeden Fall das Abitur wieder nach neun Jahren ablegen werden. Das G8-Turbo-Abi ist damit, zumindest für sie und die Jahrgänge, die danach auf das Gymnasium wechseln, Geschichte. Das hatte die SPD-Landesregierung beschlossen. Doch was bedeutet die Rückkehr zu G9, die, geht es nach der Regierung und Bildungsministerin Christine Streichert-Clivot (SPD), eben keine Reise 20 Jahre zurück in die Vergangenheit sein soll, zum alten G9 von 2001? Vielmehr soll es eine qualitative Weiterentwicklung sein, die auf die heutigen Herausforderungen wie Digitalisierung eingeht.
Viele Fragen sind noch offen, viele Hoffnungen sind mit dem zusätzlichen Schuljahr verbunden. Wird es gelingen, eine qualitative Weiterentwicklung des Gymnasiums anzustoßen? Wie soll die Rolle der Unterrichtsfächer im neunjährigen Gymnasium aussehen? Wie wird sich G 9 auf den Übertritt von Schülern zur Universität und an andere Hochschulen auswirken? Welche Auswirkungen sind in der universitären Lehre zu erwarten – und welche Konsequenzen ergeben sich für die Lehrerbildung? Darüber diskutieren nun Vertreter des Deutschen Hochschulverbands mit Gymnasial-Lehrkräften des Saarländischen Philologenverbands (SPhV).
Eins stellte Universitätsprofessor Volkhard Helms, Landesvorsitzender des Deutschen Hochschulverbands, vorneweg klar. „Aus meiner Sicht sind wir verantwortlich. Wir sind die Eltern und Lehrer, und wenn wir etwas an den Schülern zu meckern haben, sollten wir uns an unseren eigenen Ohren ziehen.“ Gerade im Bereich der Mint-Fächer, vor allem in Mathematik, könnten gewisse Defizite bei den Studierenden festgestellt werden. Schlicht, weil es bei der Vermittlung der Grundkenntnisse in den Schulen hapere. „Und dabei sind gute Mathematik-Kenntnisse doch das A und O in den Mint-Fächern.“ In Übungskurse werde zwar versucht, den Schulstoff aufzufrischen. Das gelinge aber nur, wenn der Stoff zumindest einmal in der Schule durchgenommen wurde. Und das sei eben nicht bei allen der Fall. Letztlich „können wir an der Uni auch nicht alle Defizite aufarbeiten“. Der zweite Knackpunkt: Deutsch. „Auch in diesem Bereich wäre eine Vertiefung in der Schule wünschenswert.“ Rechtschreibung, Grammatik und Ausdrucksweise.
Ein weiterer Bereich, „der uns wichtig ist, ist die Persönlichkeit der Studierenden“, ebenso die Selbstständigkeit, sagte Helms. An den Unis würden einige Studierende zum ersten Mal ein Scheitern erleben, etwa wenn sie durch Klausuren fallen. Nun fehle aber bei der Nacharbeit oder beim Lernen überhaupt „einfach manchmal der Mumm, der Biss, die Hartnäckigkeit“. Helms Plädoyer daher: Die Grundkenntnisse der Schüler stärken und ihnen gleichzeitig eine unbeschwerte Schulzeit mit Freiräumen ermöglichen. So schüre man Begeisterung für das Leben. Gleichzeitig könnte man die jungen Menschen darin bestärken, dass sie sich Ziele setzten und sie sich dann auch anstrengen würden, diese zu erreichen.
Persönlichkeitsbildung stellte auch Marcus Hahn, Vorsitzender des SPhV, in den Vordergrund. „Die Entwicklung des neunjährigen Gymnasiums gibt uns die Chance, den Unterricht an die völlig veränderte Lebenswelt und die Lernvoraussetzung an die Lebensphase der Schüler anzupassen.“ Denn Jugendliche interessierten sich in einem gewissen Alter, während der Pubertät, oft für nichts, erklärte Hahn. Oder aber sie seien sehr interessiert an einem Thema „und wollen es dann ganz genau wissen“. Daher seien Freiräume so wichtig, in denen Schüler sich tiefer in Themen einarbeiten könnten. „Das geht aber natürlich nicht einfach so. Das muss vorbereitet werden.“ Deswegen brauche man eine „grundständig fachliche Vertiefung bereits ab Klasse 5“, sagte Hahn. Damit würde die Persönlichkeit gestärkt, sie erlebten schon früh Erfolge, aber auch ein Scheitern.
Hahn verwies zudem auf das „Gymnasium Plus“. Bereits Ende 2020 hatte der Philologenverband unter diesem Titel ein eigenes Konzept vorlegt. Dazu gehört unter anderem Mehrsprachigkeit, Informatik ab Klasse 5 sowie ein zusätzliches Lernjahr. Es gebe einen immensen Reformstau in der Bildungspolitik, hatte SPhV-Chef Hahn damals erklärt. Um diesen aufzulösen, und den Herausforderungen der Gesellschaft gerecht zu werden, „müssen wir reagieren“. Dieses Plädoyer wiederholte er nun. „Unsere Schüler werden in einer durch Globalisierung, Digitalisierung und Nachhaltigkeit geprägten Welt ihren Weg machen müssen. Wir sehen es deswegen als Chance, im neunjährigen Gymnasium diese Herausforderungen zu verankern.“ Und vieles müsse sehr schnell oder schneller umgesetzt werden. Im Saarland wird ab dem Schuljahr 2023/24 Informatik als Pflichtfach in Klasse 7 eingeführt. Für den Philologenverband ist das zu spät. Würde das Fach bereits ab Klasse 5 „grundständig im Profil verankert“, gebe es genügend Zeit, die Schüler eingehend an dieses in der heutigen Zeit wichtige Thema heranzuführen.

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Abschließend forderte Hahn: „Die Zukunft unserer Schüler hat schon längst begonnen. Deswegen: Lassen Sie uns so viele Jahrgänge so schnell wie möglich vom neunjährigen Gymnasium profitieren.“ Eine Forderung an die Landesregierung und Bildungsministerin Streichert-Clivot, dass auch ältere Jahrgänge an Gymnasien das Abitur nach neun Jahren machen können.