Liberale und Linke im Streitgespräch zur Europawahl Mehr Binnenmarkt oder mehr Sozialstaat?

Roland König, liberaler Kandidat für das EU-Parlament, traf bei der SZ auf den Linken-Politiker Jochen Flackus.

 Über den Binnenmarkt in Europa sprachen FDP und Linke im SZ-Streitgespräch.

Über den Binnenmarkt in Europa sprachen FDP und Linke im SZ-Streitgespräch.

Foto: dpa/epa CTK Masova

Herr Flackus, eine neue Bertelsmann-Studie betont den Wohlstand, den die EU verspricht. Im Saarland steigere der Binnenmarkt das Pro-Kopf-Einkommen um 1062 Euro jährlich. Auf welche Kennzahlen schauen Sie, wenn es um Europa geht?

FLACKUS Die genannte ist schon eine wichtige Kennzahl, also: Was haben wir ökonomisch vom Binnenmarkt? Wir müssen nur parallel die soziale Lage in Europa beleuchten. Und genau das ist in den letzten Jahren zu kurz gekommen. Eine Armutskennziffer, die gibt es beispielsweise nicht.

Herr König, die FDP will mehr Binnenmarkt, um mehr Europa zu erreichen. Wieso sehen Sie in der Sozialpolitik weniger eine Aufgabe der EU – anders als die Linke?

 SZ Duell mit Jochen Flackus (Linke, l) und Roland König (FDP). 
Im Bild: Jochen Flackus.
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KÖNIG Eine gute Wirtschaftspolitik ist die beste Sozialpolitik. Wir sehen keine Notwendigkeit einer europäischen Verallgemeinerung von Sozialstandards.

 SZ Duell mit Jochen Flackus (Linke, l) und Roland König (FDP). 
Im Bild: Roland König.
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FLACKUS Dass die ökonomische Seite wichtig ist, steht außer Frage. Aber: Wir haben seit 1993, als der Binnenmarkt eingeführt wurde, ein systematisches Auseinanderdriften von Arm und Reich, eine riesige Ungleichheit.

Herr König, auf Ihren Wahlplakaten steht „Europa regional gestalten“. Was stellen Sie sich vor?

KÖNIG Wir leben hier auf der Grenze, man müsste es nur organisieren, dass Kinder schon vor der Grundschule die Sprache des Nachbarn, die Regionalsprache lernen können. In Luxemburg ist der durchschnittlich Gebildete zweisprachig, der etwas Gebildetere dreisprachig. Und wer ein bisschen was auf sich hält, ist viersprachig. Dass es bei uns heißt, die Kinder sollten zuerst mal richtig Deutsch lernen neben dem Saarländischen – dabei habe ich Bauchkribbeln. Wir verpassen die Chance, eine mehrsprachige Region zu werden.

FLACKUS Wir verstehen unter Regionalität auch das Prinzip der Subsidiarität. Und sagen: Mehr Demokratie wagen, auch in Europa. Wichtig ist, dass die regionale Ebene über das entscheidet, was auf der regionalen Ebene stattfindet. Es bieten sich neue Möglichkeiten durch den Aachener Vertrag, in dem steht, dass die Regionen grenzüberschreitend zusammenarbeiten sollen. Die Menschen wollen ein Gefühl von Europa haben. Und das Gefühl entsteht nun mal in der Region.

KÖNIG Linke und Liberale reiben sich immer gerne, aber bei der Subsidiarität sind wir eng beieinander. Im Interesse Europas müssen wir dringend aufpassen, dass wir die Dinge, die wir hier besser entscheiden können, auch hier behalten oder in die Region zurückholen – etwa im Agrarbereich. Was die grenzüberschreitende Zusammenarbeit betrifft: Im ÖPNV steckt viel Geld, das jeder in seinem kleinen Kreis verpulvert, obwohl man es in der Großregion viel effizienter einsetzen könnte.

Bei der Regionalpolitik setzen die Liberalen auf Wachstum und Innovation, die Linke strebt nach sozialem Ausgleich. Was passt besser zum Saarland?

KÖNIG Wir brauchen eine florierende Wirtschaft. Wenn nichts erwirtschaftet wird, gibt es nichts zu verteilen. Die Linken denken zuerst ans Verteilen, die Liberalen immer eher ans Erwirtschaften.

FLACKUS So wichtig die soziale Lage ist, ist es ja nicht so, dass wir uns nur darum kümmern wollen. Innovation, Forschung und Entwicklung – gerade für das Saarland sind das Schlüsselthemen. Wenn wir jetzt die Kurve nicht kriegen, bei der Digitalisierung, der Industrie 4.0, werden wir ökonomisch abgehängt. Damit das nicht passiert, brauchen wir die Beschäftigten. Sie sind ein wichtiger Schlüssel zum ökonomischen Erfolg.

KÖNIG Herr Flackus hat Recht, wir müssen schauen, dass es hier vorangeht. Wir brauchen ganz hohe Ziele, wir sollten fähig sein, einen Quantensprung zu machen. Deutschland als Ganzes war immer das Land der Erfinder, aber die Patentanmeldungen sind rückläufig in den letzten Jahren.

FLACKUS Wir sind ein Land, das richtigerweise nicht nur an Softwareentwicklung und Dienstleistungen glaubt, sondern auch an Produktion. Das Saarland ist ein Autoland, wir leben in einer riesigen grenzüberschreitenden Automobilregion. Im Grunde ist die einzige Chance, die wir haben, Technologie zu entwickeln. Das kann auch grenzüberschreitend passieren. Aber dann müssten wir bereit sein, hier Mechanismen zu entwickeln, um die Programme effizient zu gestalten.

KÖNIG Das können und müssen wir in der Region nicht zuletzt durch den neuen Aachener Vertrag leisten.

Herr König, Bildung nimmt im EU-Wahlprogramm der FDP breiten Raum ein. In Deutschland wird sie bestimmt von Kleinstaaterei. Was soll Europa dagegen ausrichten?

KÖNIG Wir müssen unseren Bildungsföderalismus in Deutschland in der bisherigen Form überdenken. Das Bildungssystem muss vergleichbarer und durchlässiger werden. Wir werden in den nächsten zehn Jahren kein vollkommen durchgängiges Bildungssystem in Europa hinbekommen, doch innerhalb der nächsten 30 Jahre halte ich das für leistbar. Ich sage nicht, dass es überall gleich sein soll – aber vergleichbar, auch bei der Anerkennung von Ausbildungsberufen.

FLACKUS Ich glaube nicht, dass es bald ein egalitäres Bildungssystem in Europa geben wird. Die Bildungssysteme sind in Europa zu unterschiedlich und historisch gewachsen. Schon in der Schule halte ich es für schwierig, in der beruflichen Bildung für noch schwieriger. Das Wissenschaftssystem dagegen ist seit jeher international.

Herr Flackus, die FDP befürwortet eine europäische Verteidigungspolitik, Sie kritisieren diese als Militarisierung der EU. Was befürchten Sie?

FLACKUS Steigende Rüstungsausgaben in Europa bedeuten einen neuen Kalten Krieg. Die Nato, allen voran die USA, verlangt ja von Europa, seine Ausgaben um zig Milliarden zu erhöhen. Für Deutschland sprechen wir da über 30 Milliarden Euro im Jahr. Da sind wir strikt dagegen. Ich möchte mal hören, was los wäre, wenn wir 30 Milliarden jährlich für die Renten fordern würden. Wir haben Frieden in Europa und es bestürzt mich persönlich, dass wir nun wieder über Krieg in Europa reden.

KÖNIG Ich bin überrascht, wie wir aus Fakten ganz unterschiedliche Schlüsse ziehen. Wir haben Tendenzen, die ganz stark an den Kalten Krieg erinnern. Unter diesen Gegebenheiten sehen Liberale die Notwendigkeit, eine Verteidigungsfähigkeit aufrechtzuerhalten. Und da überlegen wir, wie an vielen Stellen, wie geht das effizienter und besser.

FLACKUS Wir reden nicht über Effizienz, sondern über Aufrüstung. Ein Hans-Dietrich Genscher hätte diese Politik nicht gutgeheißen.

Herr König, die Liberalen betrachten den Klimaschutz als Aufgabe der Weltgemeinschaft, Sie setzen zur Reduzierung des CO2-Ausstoßes auf den internationalen Emissionshandel. Lässt sich mit Marktmechanismen die Welt retten?

KÖNIG Es mag sein, dass man sie nicht ausschließlich mit Marktmechanismen retten kann. Aber ich bin mir ganz sicher, dass man sie nicht gezielt gegen Marktmechanismen retten kann. Wir müssen Ökologie und Ökonomie in Einklang bringen.

FLACKUS Natürlich brauchen wir Marktmechanismen, um das Klima zu schützen. Aber wir brauchen auch eine ganz gehörige Portion staatlicher Politik, die das flankiert. Die Politik ist einfach in der Bringschuld, das kann man an der „Fridays for Future“-Bewegung klar sehen. Auch im Saarland.

Herr Flackus, im Saarland gibt es regelmäßig Aufregung um das französische Atomkraftwerk in Cattenom. Die Linke will einen europaweiten Atomausstieg. Halten Sie den für durchsetzbar?

FLACKUS Wenn man das politisch will, natürlich. Ich sehe nur den politischen Willen in Europa derzeit nicht. Das macht die Forderung nicht falsch. Wir haben ja auch Probleme mit unseren französischen Freunden wegen Cattenom. Die Regierungspolitik ist auch nicht sehr kreativ. Wir haben vor ein paar Jahren vorgeschlagen, zu verhandeln und zu fragen: Was wollt ihr dafür haben, Cattenom abzuschalten? Das ist nicht weiter verfolgt worden.

KÖNIG Es ist aus meiner Sicht schändlich, dass das von der Landesregierung nicht verfolgt wird. Da hat Luxemburg konkret für die Abschaltung viel Geld geboten, meinen Informationen nach bis zu einer Milliarde Euro. Das ist eine Menge Geld. Dass man nach dieser Initialzündung nicht die Chance genutzt hat, ist für mich unfassbar, ein großes Versäumnis.

Herr König, mit der „Fridays for Future“-Bewegung drängt eine neue Generation in die Politik. Die Linke würde das Wahlalter gerne auf 16 Jahre absenken, Ihre Partei hält an der Volljährigkeit fest. Wieso?

KÖNIG Jein. Wir sehen durchaus die Möglichkeit, das zu öffnen – bei der Kommunalwahl. Das soll ein Einstieg sein, ganz nah vor Ort. Auf der anderen Seite gibt es eine Verbindung zwischen Rechten und Pflichten. Deshalb plädieren wir von der Landtagswahl aufwärts für die Volljährigkeit.

FLACKUS Unser Argument ist, dass jemand mit 16 Jahren geschäftsfähig ist, einen Ausbildungsvertrag abschließen und Steuern zahlen kann, für sich geradestehen muss, dann aber nicht zur Wahl gehen kann – das ist absurd.

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