Gastbeitrag Prof. Dr. Michael Jäckel Warum Einsamkeit in der Pandemie der Gesellschaft Sorgen macht

Analyse | Saarbrücken · Viele Menschen erleben in der Pandemie Einsamkeit. Die Suche nach einem Zuhause-Fühlen in der Gesellschaft hält an.

 Prof. Dr. Michael Jäckel

Prof. Dr. Michael Jäckel

Foto: picture alliance / dpa/Universitat Trier/Michal Jackel

Einsamkeit ist kein Modethema der Pandemie. Aber was Einsamkeit ist, haben viele in dieser Ausnahmesituation erleben müssen. Wer dachte, dass sich durch Home Office und andere Bindungen an die heimische Scholle die sozialen Kontakte in die Nahwelt verlagern, vermisst nun vermehrt die Kontakte am Arbeitsplatz; Schülerinnen und Schüler lernen – trotz der unübersichtlichen Gesamtlage – mehr und mehr zu schätzen, was so ein Schulbesuch alles mit sich bringt.

Mit dem Hoffnungslabyrinth, durch das wir seit dem Beginn der Pandemie irren, sind unsere inneren Monologe, das Hadern mit dieser Welt und ihrer Steuerbarkeit, zwar immer noch ein Gesprächsthema mit Anschlussgarantie, aber zunehmend auch nur noch resignative Restkommunikation im Sinne von: „Ich weiß wirklich nicht mehr, was ich noch sagen soll!“

Die Gedanken drehen sich im Kreis, das Virus belässt den gesellschaftlichen Motor in einem Stadium der Fehlzündungen. In dieser Einsamkeit sind wir zwar bereits geübt. Wir haben den Corona-Tagen eine Struktur gegeben, Hobbys wieder- oder neu entdeckt und suchen allenthalben nach einem Kontrastprogramm zu den talking heads dieser Bildschirmwelt. Wir würden dennoch gerne wieder andere Stufen des Daseins erklimmen.

Mit der Maskenpflicht in vielen Bereichen des öffentlichen Raums wird zwar einerseits eine gegenseitige Bestätigung von Regelkonformität gewährleistet, aber das reduzierte Gegenüber verstärkt das Fremdsein in einer vormals vertrauten Welt. Die Maske reduziert den Gesichtsausdruck, so, als würden sich die Blicke nicht mehr finden, ja: fast gemieden werden. Auch auf diese Weise erleben wir eine groteske Form des Alleinseins im Beisein Dritter.

 Was einst „Mönchskrankheit“ genannt wurde, legt sich nun wie ein melancholischer Teppich über die Gesellschaft. Wer – darauf verweist die Bezeichnung – zu sehr mit sich selbst befasst war, musste die Einsamkeit des Klosterlebens durch eine aktivere Gestaltung des Alltags überwinden. Der Teufel schlich sich sozusagen in Selbstgespräche über die Sinnhaftigkeit dieser Lebensführung. Aktuell übernimmt ein unsichtbarer Gegner die Regie über die Gedankengänge.

 Was einst den Philosophen vorbehalten war und auch von Schriftstellern sehr geschätzt wird, ist nun vermehrt zu einer üblichen Beschäftigung geworden: Kontemplation in Verbindung mit Spaziergang. Die Erkundung des Nahraums, fotografische Augenblicks-Dokumentationen, Distanz und Nähe in einem: All dies kommt nun in unterschiedlichen Mischformen zum Einsatz. Wer schon immer gerne las, der machte sich nun mit dem Eintauchen in fiktionale Welten noch mehr „unsichtbar für die Welt“.

 Auch in dieser Pandemie langer Dauer sind es die forcierten Formen der Isolation, die der Gesellschaft als Ganzes Sorgen bereiten und, so wiederum die berechtigte und nachvollziehbare Lesart, den Einzelnen vor noch größere Probleme stellen. Besuchsverbote, Quarantänesituationen, kein Konzertbesuch, keine Theateraufführung, kein gemeinsames Kinoerlebnis usw., überhaupt die Abwesenheit täglicher Formen der Zusammenkunft, das Fehlen von Geselligkeit. Kurzum: Die Suche nach einem Zuhause-Fühlen in der Gesellschaft hält an.

Professor Dr. Michael Jäckel, Professor für Konsum- und Kommunikationsforschung, ist Präsident der Universität Trier und der Universität der Großregion.

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