Annika Gebhard im Interview „Kinderreiche Familien brauchen eine Lobby“

Saarbrücken · Die Mutter von drei Kindern hat gerade den Landesverband kinderreicher Familien im Saarland gegründet und sucht Mitstreiter.

  Familien mit gleich einem Dutzend Kindern (wie hier die Leipziger Familie Reinhard/Rübenack) sind eine absolute Ausnahme in Deutschland, aber schon Familien mit drei Kindern werden immer rarer. Im Saarland macht sich jetzt der Landesverband des KRFD für die Interessen der Großfamilien stark. Just kinderreiche Familien aus der Mittelschicht haben es schwer, weil sie von den staatlichen Förderungen für Einkommensschwache oft nicht profitieren.

Familien mit gleich einem Dutzend Kindern (wie hier die Leipziger Familie Reinhard/Rübenack) sind eine absolute Ausnahme in Deutschland, aber schon Familien mit drei Kindern werden immer rarer. Im Saarland macht sich jetzt der Landesverband des KRFD für die Interessen der Großfamilien stark. Just kinderreiche Familien aus der Mittelschicht haben es schwer, weil sie von den staatlichen Förderungen für Einkommensschwache oft nicht profitieren.

Foto: dpa/Waltraud Grubitzsch

In Deutschland fehlt offenbar der Mut zum Kind. Zurzeit gibt es laut Statistischem Bundesamt rund 865 000 (10,8 Prozent) Familien mit drei oder mehr Kindern. 1975 hatten noch 19 Prozent der Familien drei oder mehr Kinder. Der Grund: Kinder sind teuer, und durchschnittlich verdienende Großfamilien werden vom Staat nicht genügend entlastet und gefördert. So sieht es jedenfalls der Verband kinderreicher Familien Deutschland e.V. (KRFD), der seit 2011 Lobbyarbeit für diese Familien betreibt. Nun wurde auch im Saarland ein Landesverband gegründet. Die SZ sprach mit der Vorsitzenden Annika Gebhard. Die Lehrerin und Mutter dreier Kinder hat den Landesableger initiiert.

Was hat Sie bewogen, jetzt einen Landesverband zu gründen?

GEBHARD Ich habe das aus persönlichen Gründen heraus initiiert. Mein Mann und ich haben beide relativ gute Einkommen und hätten eigentlich gerne noch ein viertes Kind. Wir kamen dann aber zu dem Schluss, dass wir ein weiteres Kind nur schwer stemmen könnten, sowohl finanziell als auch organisatorisch. So geht es vielen. Auch darum sinkt die Geburtenrate.

Warum ist gerade das dritte Kind eine so große Hürde?

GEBHARD Alles ist ausgelegt auf Mutter und Vater mit zwei Kindern. Man sieht das bei den Autos, bei Reiseangeboten oder auch Eintrittskarten für den Zoo. Mit drei Kindern gilt man als ‚subsozial’, ab vier schon als ‚asozial’. Zudem fehlt es an Netzwerken. Wir müssten uns als Familien mit mehreren Kindern gegenseitig unterstützen und Lobbyarbeit betreiben, damit Familien nicht aus solchen Gründen vor der Entscheidung für ein weiteres Kind zurückschrecken. Da gibt es großen Bedarf.

Welche Ziele hat der Verband?

GEBHARD Für kinderreiche Familien ab dem dritten Kind kommen viele andere Themen hinzu. Zum Beispiel die Möglichkeit der Hebammengeburt, bezahlte Haushaltshilfen nach der Geburt eines dritten oder weiteren Kindes. Speziell im Saarland sind der öffentliche Personennahverkehr und dessen enorme Kosten für kinderreiche Familien ein großes Thema. Brauchen mehrere Kinder Bustickets, dann wird das schnell sehr teuer. Für zwei Kinder geht es oft noch, aber für mehrere nicht.

Aber es gibt doch Hilfen für einkommensschwache Familien....

GEBHARD Ja, aber die Familien der Mittelschicht fallen oft durch diese Hilfsnetze, können sich etwa die Tickets für mehrere Kinder kaum leisten.

Das Programm des Verbandes zielt also sehr auf die klassische Mittelstandsfamilie ab....

GEBHARD Ja, denn der fehlt eine Lobby. Weil viele Hilfen, zum Beispiel das Schülerförderungsgesetz oder das Bildungs- und Teilhabe-Paket, nur für einkommensschwache Familien gelten. Klassenfahrten, Schulbücher, Schulessen und Transport werden dann bezuschusst. Aber sobald man ein bisschen mehr verdient, fällt man da raus. Das wollen wir ändern.

Wie arbeiten Sie im Verband, haben Sie bereits Kontakte geknüpft?

GEBHARD Bisher gibt es erst 24 Mitgliedsfamilien im Saarland. Wir sind gerade dabei, die Strukturen aufzubauen und die konkreten Bedürfnisse der Familien abzufragen. Vielen brennt das Thema Beförderung unter den Nägeln, aber auch das fehlende Angebot an Kita-Plätzen. Einer Mutter von sieben Kindern zum Beispiel wurde gesagt, es gebe keinen Platz für ihr Jüngstes, was aber nicht so schlimm sei, denn sie sei ja eh zuhause und brauche keinen.

Was planen Sie konkret?

GEBHARD Wir müssen uns untereinander vernetzen. Ich habe die Idee einer Art Dienstleistungstauschbörse: Man bietet eigene Fähigkeiten wie zum Beispiel handwerkliche Hilfe an und bekommt dafür vielleicht Hilfe bei der Kinderbetreuung als Nachbarschaftshilfe. Auch Kleidertausch- oder Babysitterbörsen sind eine Möglichkeit, die der Verband in anderen Bundesländern bereits umgesetzt hat. Es gibt kaum Babysitter, die bereit sind auf mehr als zwei Kinder aufzupassen. Oft sind die wenigen verfügbaren Babysitter übrigens Kinder aus kinderreichen Familien, die sich das eben auch zutrauen. Mich beschäftigt, wie wir den Familien mehr Familienzeit ermöglichen können. Warum sind Schließtage in Kitas und Schulen nicht landesweit synchronisiert? Bei Familien mit vielen Kindern in verschiedenen Schulen und Einrichtungen macht das Betreuungsprobleme. Daran denkt niemand.

Wie klappt das bei Ihnen selbst mit der Vereinbarkeit von Familie, Beruf und Ehrenamt?

GEBHARD Netzwerke sind dafür sehr wichtig. Gerade, wenn man keine Großeltern um die Ecke hat, was bei vielen der Fall ist. Ich bin Lehrerin in Teilzeit und bin meistens zuhause wenn meine beiden Großen aus der Schule kommen. Der Kleine geht in die Kita. Mehr als eine halbe Stelle kann ich mir nicht vorstellen, denn ich persönlich habe ansonsten das Gefühl, man wird beidem nicht in vollem Maße gerecht. Wenn ich aber an meine Rente denke mit drei Elternzeiten und Teilzeit, dann kriege ich graue Haare. Eltern, speziell Mütter, haben hier das Nachsehen. Deshalb hat sich der Verband für die Mütterrente stark gemacht. Auch gerade in meinem Beruf als Pädagogin werden mir die Elternzeiten nicht positiv angerechnet, obwohl meine Erfahrungen als erziehende Mutter von Kindern für meinen Job eigentlich unbezahlbar sind. Ich verdiene aber inzwischen viel weniger als meine gleichaltrigen, kinderlosen Kolleginnen. Das hat natürlich Auswirkungen auf die Rente. Frauen mit mehreren Kindern sind oft von Altersarmut bedroht.

Der Trend geht mittlerweile dahin, dass Frauen nach der Geburt möglichst früh wieder in den Beruf einsteigen. Sieht der Verband das kritisch? Es heißt letztendlich ja, dass Familienarbeit und Erwerbsarbeit nicht gleichwertig sind und erstere eben auch nicht bezahlt wird....

GEBHARD Familienarbeit muss wertgeschätzt werden. Wir wollen, dass die Familien ihr Modell wählen können, ohne finanziell in ein Loch zu fallen. Und auch nicht stigmatisiert werden, wenn ein Partner länger zuhause bleibt für die Kinder.

Politisch spräche das für das bedingungslose Grundeinkommen, das zurzeit viel diskutiert wird...

GEBHARD Dafür spricht sich der Verband nicht dezidiert aus, vielleicht gibt es da auch andere Möglichkeiten. Gerade Mütter, die zuhause sind oder Teilzeit arbeiten, leisten oft viel ehrenamtliche Arbeit, ohne die so manches nicht funktionieren würde.

Es scheint, als hätte die Wirtschaft die kinderreichen Familien als Zielgruppe noch gar nicht richtig entdeckt...

GEBHARD Kinder kosten viel Geld, sie konsumieren sehr viel. Kinderreiche Familien haben spezielle Bedürfnisse. Deshalb macht sich der Verband beispielsweise dafür stark, die Mehrwertsteuer auf Kinder- und Babyartikel wie zum Beispiel Windeln oder Babynahrung zu senken oder abzuschaffen.

 Annika Gebhard

Annika Gebhard

Foto: Annika Gebhard

Ein Fünftel der Frauen in Deutschland ist kinderlos, immer mehr wollen keine Kinder kriegen, um das Klima zu schützen, so eine ganz neue Diskussion...

GEBHARD Global gesehen haben wir Überbevölkerung, aber hierzulande fehlen die Kinder. Großfamilien, die Dinge zusammen nutzen, leben übrigens klimafreundlicher als Single-Haushalte. Bildungsnahe Familien, deren Kinder gut ausgebildet werden, geben der Gesellschaft viel zurück, zahlen später mehr Steuern und Abgaben, als sie den Staat in den ersten Jahren kosten. Das hat eine Studie des Wirtschaftsinstituts in Köln gezeigt. Kinder mit vielen Geschwistern sind zudem sozial oft sehr kompetent. Es ist die bildungsnahe Mittelschicht, die für Stabilität sorgt. Deshalb sollte der Staat sie fördern.

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