Serie Saartalk „Das ist eine ungeheure Chance für das Saarland“

Saarbrücken · Die Europa-Experten Isabelle Maras und Pascal Hector sprechen über den Aachener Vertrag, die Zukunft Europas und Notre Dame.

 Der Chefredakteur der Saarbrücker Zeitung, Peter Stefan Herbst (rechts), und der Chefredakteur des saarländischen Rundfunks, Norbert Klein (Zweiter von rechts), im Gespräch mit den Europa-Experten Isabelle Maras (links) und Pascal Hector.

Der Chefredakteur der Saarbrücker Zeitung, Peter Stefan Herbst (rechts), und der Chefredakteur des saarländischen Rundfunks, Norbert Klein (Zweiter von rechts), im Gespräch mit den Europa-Experten Isabelle Maras (links) und Pascal Hector.

Foto: Oliver Dietze

Der Saartalk ist ein gemeinsames Format von SR und SZ. Diesmal stellten sich die Europa-Experten Isabelle Maras und Pascal Hector den Fragen der Chefredakteure Norbert Klein (SR) und Peter Stefan Herbst (SZ). SZ-Redakteur Johannes Schleuning hat das Gespräch in Auszügen dokumentiert.

KLEIN Herr Professor Hector, nach dem Brand der Kathedrale Notre Dame gab es Kritik an den Millionären in Frankreich, die lautete: Die haben ein Herz für Steine, aber  nicht für uns Menschen.

HECTOR Ich glaube, dass man nicht die verschiedenen Projekte gegeneinander ausspielen darf. Erinnern wir uns nur daran, dass es Notre Dame gar nicht gäbe, wenn die Menschen des Mittelalters, die ja viel weniger reich waren als wir heute, nicht bereit gewesen wären, einen wesentlichen Teil ihrer geringen Mittel in den Bau dieser Kathedrale zu investieren. Dann wäre diese Kathedrale nie gebaut worden. Insofern stehen wir heute in der Verantwortung, diese Kathedrale wieder auszubauen. (...)

HERBST Einige von den reichen  französischen Familien haben teilweise 100 Millionen oder sogar 200 Millionen Euro für den Wiederaufbau gespendet. Das sind ja gewaltige Summen, auch daran hat sich die Kritik entzündet. Können Sie die Kritik verstehen, gibt’s da auch eine Unmoral?

MARAS Ich kann es schon verstehen. In Frankreich hat das für enorme Reaktionen gesorgt. Und das ist zum Teil auch begründet, wegen des Kontextes: Wir sind seit Monaten in einer schwierigen politischen  Situation, die sich in der Bewegung der Gelbwesten widerspiegelt. Die Spenden der reichen Familien (...) sind überraschend, wenn man sieht, wie wenig Geld Frankreich hat für Investitionen in soziale Bereiche. (...) Auf der anderen Seite haben diese Familien immer gespendet, auch für soziale Bereiche. Begründeter finde ich die Kritik an der Art dieser Spenden, für die es Steuervorteile gibt. (...)

HERBST Stellen Sie sich vor, Deutschland und Frankreich wären ein Ehepaar. Dann wäre das Ehepaar sicher nicht mehr frisch verliebt, aber auch nicht auf dem Weg zum Scheidungsrichter. Aber wo wäre es heute – in einer Krise?

MARAS Das wäre ein Paar, das  miteinander verhandeln würde über wichtige Fragen der Zukunft.

HERBST Also Streit ums Geld? Streit darum, wer wie viel zu sagen hat?

MARAS Auch, aber vor allem ums Geld, wenn es etwa um Rüstungsexporte oder die Reform der Eurozone geht. (...)

KLEIN Was muss anders werden, damit das Verhältnis besser wird – und so gut, wie es mal war?

HECTOR Dem möchte ich widersprechen, dass das Verhältnis nicht so gut ist, wie es mal war. Ich glaube ganz im Gegenteil, dass das deutsch-französische Verhältnis genauso ist, wie es eigentlich immer war und wie es auch sein soll. Um das Beispiel des Ehepaares zu nehmen: Das Verhältnis ist jetzt in den Mühen der Ebene, im ganz normalen Alltag. Nicht mehr und nicht weniger. Ich will ihnen das Geheimnis der deutsch-französischen Beziehung verraten: Es ist keinesfalls, wie man vielleicht denken könnte, dass Deutschland und Frankreich sich besonders nahe wären (...). Sondern es ist im Gegenteil, dass Deutschland und Frankreich eigentlich die Exponenten entgegengesetzter Traditionslinien innerhalb Europas sind. (...) Deswegen ist es ganz natürlich, das Deutschland und Frankreich bei fast allen Fragen immer von unterschiedlichen, manchmal und sehr oft auch von entgegengesetzten Positionen kommen. Die Kraft und Stärke des deutsch-französischen Verhältnisses besteht darin, dass man es immer angeht mit dem Willen zum Kompromiss. (...)

HERBST Annegret Kramp-Karrenbauers Zeitungsbeitrag „Europa besser machen“ beinhaltete ja auch ein Infragestellen zum Beispiel des prestigeträchtigen Sitzes des Europaparlaments in Straßburg. Wie ist der Vorstoß angekommen?

MARAS Ziemlich schlecht. Aber es gibt da auch verschiedene Wahrnehmungen – nämlich die der Behörden und Entscheidungsträger in Paris, der Bewohner Straßburgs und der Bevölkerung. Und die Bevölkerung ignoriert zum großen Teil das Geschäft des Europäischen Parlaments. (...)

KLEIN Was bringt der kürzlich geschlossene Aachener Vertrag konkret an Verbesserungen für das Saarland?

HECTOR Das Saarland und andere Grenzregionen werden hier gute, zusätzliche Möglichkeiten bekommen. Zum Beispiel grenzüberschreitende Projekte, für die dann auch eine einheitliche Rechtsgrundlage geschaffen wird. Dass sich dann nämlich nicht an der Landesgrenze das Recht vollständig ändert. (...) Im Aachener Vertrag werden zum Beispiel auch grenzüberschreitende Schienenprojekte genannt (...), auch die Strecke Paris-Saarbrücken, die weiter gefördert werden soll.

HERBST Würden Sie das als eine Art Garantie interpretieren?

HECTOR Also eine Garantie ist es im engeren Sinne natürlich nicht. Aber es ist wichtig, dass es erwähnt worden ist, weil es einen Berufungsgrund dafür schafft, auf dieser Basis weiter zu arbeiten. Das ist eine ungeheure Chance für das Saarland, diese Verbindung nach Paris. (...)

KLEIN Wie kann nochmal ein bisschen Power in die deutsch-französische Beziehung, aber auch in die europäische Politik kommen, damit da mehr Emotion reinkommt?

MARAS Mein Vorschlag wäre, mit den Leuten, der Bevölkerung zu sprechen. (...) Macron macht das schon mit den Bürger-Dialogen. Es sind wichtige Versuche, näher an den Bürger, an die Bevölkerung zu kommen. (...) Das heißt, es gilt Orte und Strukturen zu schaffen, wo die Bürger miteinander reden und sich an den Entscheidungsprozessen beteiligen können. (...) Eine weitere, wichtige Komponente ist zudem die Sprache: Man muss die Sprache des Nachbarn lernen, um die Leute besser zu verstehen. (...) Und da sind wir – Deutschland und Frankreich – nicht so gut. (...)

KLEIN Warum ist es so schwierig, dass man klar macht: Wer gegen die EU ist, der stellt die Zukunftsfähigkeit von uns allen infrage? Das ist ja evident angesichts von China und den Entwicklungen, die sich aus den USA ergeben haben.

HECTOR Ich glaube, weil bei vielen Menschen aufgrund der historischen Erfahrungen der Nationalstaat noch als das Schutzdach in Erinnerung ist. Der Nationalstaat ist ja auch wichtig, und er bleibt auch wichtig. Aber er reicht eben heute nicht mehr aus, weil die einzelnen Staaten europäischen Zuschnitts in der Welt des 21. Jahrhunderts nicht mehr effektiv die Interessen der Menschen verteidigen können. (...) Deswegen brauchen  wir die Europäische Union – zusätzlich zu den Nationalstaaten. Das ist ja auch das, was Präsident Macron immer wieder betont mit seinem Gedanken der europäischen Souveränität. (...)

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