Besseres Patienten-Arzt-Verhältnis „Der Patient lässt sich bevormunden“

Saarbrücken · Der Vorstand der Krankenkasse IKK-Südwest Jörg Loth fordert mehr Mitsprache für Patienten. Sie seien oft „Experten für sich selbst“.

 Ein kluger Arzt, so die These von IKK-Vorstand Jörg Loth, sieht den informierten Patienten, der kritische Fragen stellt, als Chance.

Ein kluger Arzt, so die These von IKK-Vorstand Jörg Loth, sieht den informierten Patienten, der kritische Fragen stellt, als Chance.

Foto: dpa/Patrick Pleul

Stürze im Krankenhauszimmer, Infektionen, die falsche Einnahme von Arzneien mit lebensgefährlichen Folgen oder eine unnötige Operation – bis zu 800 000 Krankenhaus-Patienten jährlich erleiden solche unerwünschte Ereignisse, die vermeidbar wären. Denn sie sind zu 80 Prozent auf mangelhafte Kommunikation zurückzuführen. Darauf, dass Patienten nicht genügend in den Behandlungsprozess miteinbezogen werden. Ein Buch, das die Krankenkasse IKK Südwest herausgegeben hat, stellt einen Neuansatz vor: Der Patient soll zum Teampartner für Ärzte und Pflegepersonal werden. Wir sprachen mit einem der Herausgeber, Professor Jörg Loth.

Worin besteht das Hauptproblem?

LOTH In der Vermeidung unerwünschter Ereignisse. Es geht nicht um Behandlungsfehler, es geht um Sorgfaltsregeln, die verletzt werden. Nehmen wir die triviale Situation: Der Patient sieht, dass sein Bettnachbar behandelt wird, und danach behandelt der Arzt ihn, ohne dass er seine Hände desinfiziert. Der Patient weiß, dass das nicht richtig ist, traut sich aber nicht, es zu sagen. Anschließend kommt es bei ihm zu einer Infektion, die durch einen einfachen Hinweis hätte verhindert werden können. Es ist immer noch zu wenig bekannt, dass der Einbezug der Ressource Mensch sehr viel Leid verhindern kann. Wir müssen den Patienten befähigen, dass er gemeinsam mit seinem Behandler Entscheidungen trifft. Oft wird er ja nur informiert, aber Information ist keine Kommunikation, denn die beruht auf einem Dialog. Wir fordern die Patienten auf, Fragen zu stellen. Das ist kein Dürfen, es sollte ein Muss werden. Sieben Prozent  der Patienten erleiden eine unerwünschte Medikamentenwirkung, 62 Prozent dieser Fälle wären vermeidbar. Wenn ich nicht verstehe, warum ich die Tabletten nehmen soll und wie sie wirken, ist die Gefahr groß, dass ich mich nicht Therapie-gerecht verhalte.

Das hört sich nach einem Paradigmenwechsel an?

LOTH Ja. Bisher haben wir ein paternalistisches System, der Arzt sagt, was der Patient tun soll, und der kennt das auch so. Er lässt sich bevormunden. Dieses Denken muss sich ändern. Natürlich gibt es Asymmetrien, und die werden auch bleiben, denn der Arzt wird immer ein vertieftertes Verständnis von der Krankheit haben als der Patient. Aber durch das Internet und über Selbsthilfegruppen und auch die eigenen Erfahrungen sind Kranke oft Experten für sich selbst.

Das neue Modell dürfte bei den Ärzten nicht nur Hurra-Rufe auslösen. Denn sie bekommen einen Mitentscheider, das kann sehr anstrengend sein.

LOTH Ein kluger Arzt wird den informierten Patienten als Chance sehen, die Therapie besser umzusetzen. Der Patient wird für ihn zu einer Quelle an Informationen. Man darf den Ärzten nicht unterstellen, dass sie nicht reden wollen. Sie haben einen Eid geschworen, Menschen bestmöglich zu helfen. Sicher wird es auch Abwehrreaktionen geben, aber die große Zahl der Mediziner, die an dem Buch mitgewirkt haben, zeigt, wie wichtig sie das Thema nehmen. Ein junger Arzt hat seinen Konflikt geschildert, dass er einerseits ökonomisch handeln soll, was das Zeitbudget angeht, andererseits hat er in seiner Ausbildung gelernt, wie wichtig das Patientengespräch ist. Die Debatte wird ihm helfen. Ich fände es wichtig, dass wir das Thema regional in den Fokus stellen, es sollte ein saarländisches Aktionsbündnis Patientensicherheit geben, mit der Ärztekammer, der Kassenärztlichen Vereinigung, der Krankenhausgesellschaft, den Krankenkassen, und auch den Patienten.

Die haben doch noch gar keine Lobby ...

LOTH Das stimmt so nicht. Es gibt Patientenfürsprecher, den VDK oder die Verbraucherzentralen und den Pflegebeauftragten.

Mir scheint das zu unkonkret. Geht es im Grunde nicht darum, die Ärzte und das Pflegepersonal durch Kommunikationstrainings zu schulen, damit sie sich anders verhalten?

LOTH Die Schulung muss erfolgen, aber es sind auch prozessuale Hilfen notwendig, wie Sicherheits-Checklisten oder Dokumentationen, in der Fehler oder Fehler, die beinahe passiert sind, sauber festgehalten werden. Man kann Patientenumfragen machen und muss Schadensanalysen durchführen. Man muss sich einfach mal damit beschäftigen.

Im Buch wird ein Pflegebedürftigenschutzgesetz und die Einführung eines Behandlungslotsens vorgeschlagen. Wie stehen Sie zu solchen Forderungen, die Geld kosten würden?

LOTH Uns geht es nicht um eine stärkere gesetzliche Regulierung. Man kann zusammen mit dem Patienten die Dinge anpacken, ganz konkret, indem man seine Rückmeldungen einbezieht, wenn man ein Krankenhaus neu gestaltet. Oder indem man ihm auf Fachtagungen eine Stimme gibt. Auch in Fachzeitschriften haben Patienten bisher kaum ein Forum.

Müsste sich nicht aber auch das Vergütungssystem ändern?

LOTH Die sprechende Medizin sollte mindestens so gut honoriert werden wie die Apparatemedizin. Und es muss Anreize geben, den Patienten aktiv einzubeziehen. Dafür braucht es aber nicht noch mehr Geld im System, dort kursieren 220 Milliarden Euro, man muss nur andere Schwerpunkte setzen.

 Buch-Herausgeber Professor Jörg Loth, Vorstand der Krankenkasse IKK Südwest

Buch-Herausgeber Professor Jörg Loth, Vorstand der Krankenkasse IKK Südwest

Foto: Robby Lorenz

Loth/Hager (Hg.): Patient & Sicherheit. Neue Chancen durch Kompetenz und Kommunikation im Behandlungsprozess, medhochzwei Verlag 2019.

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