Corona-Debatte im Bundestag AfD-Politiker benutzt Bouillons Erkrankung, um gegen Impfungen zu hetzen – und blamiert sich

Berlin · Bei einer heftigen Debatte um die aktuelle Corona-Lage in Deutschland hat sich im Bundestag am Donnerstag auch ein Abgeordneter der AfD zu Wort gemeldet. Martin Sichert behauptete unter anderem, dass mehr Jugendliche an der Impfung als an Corona sterben. Und benutzte auch Saar-Innenminister Klaus Bouillon (CDU) als Beispiel für seine Thesen. Ein Faktencheck.

Bouillon hat Corona trotz Impfung - AfD-Politiker hetzt und blamiert sich
Foto: BeckerBredel

Seit vergangenem Samstag ist die Corona-Erkrankung des saarländischen Innenministers Klaus Bouillon bekannt. Ein am Freitag durchgeführter Test des Ministers, der heute 74 Jahre alt geworden ist, fiel am Samstag positiv aus. Unter der Woche klagte Bouillon lediglich über Erkältungssymptome. Dass es ihm nicht schlechter gehe, verdanke er auch der Impfung, teilte er unter der Woche in einem längeren Facebook-Post mit.

Da der Innenminister bereits dreifach geimpft ist, hatte es gerade auf sozialen Medien etliche Diskussionen darüber gegeben, wie verlässlich die Impfung sei, wenn sich auch eine vollständig geimpfte Person wie Bouillon anstecken könne.

Durch die AfD fand die gleiche Diskussion am Donnerstag jetzt sogar Einzug in den Bundestag in Berlin. Dort benutzte der AfD-Bundestagsabgeordnete Martin Sichert Bouillon als Beispiel, um die Corona-Impfung zu kritisieren. „Was haben der saarländische Innenminister, der Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes und der Bundestagsabgeordnete Sepp Müller gemeinsam? Sie waren alle dreifach geimpft und haben sich mit Corona infiziert“, sagte Sichert in seiner Rede.

Kritik von der CDU folgt direkt

Schon letzte Woche hatte der Innenminister derartige Argumente selbst auf Facebook kritisiert: „Von Beginn der Schutzimpfungen an war klar, dass uns die Impfung nicht zu 100 Prozent vor einer Ansteckung oder deren Weitergabe schützt“, postete Bouillon. „Sie verringert jedoch das Risiko und bewahrt uns vor einem schweren Krankheitsverlauf, bei dem unter Umständen auch eine Behandlung auf einer Intensivstation notwendig werden kann.“ Auch das Robert Koch-Institut (RKI) sowie etliche Mediziner hatten immer wieder betont, dass eine Ansteckung auch geimpft weiter möglich sei. Ein schwerer Krankheitsverlauf werde aber deutlich unwahrscheinlicher. Aussagen wie die von Sichert würden „wütend“ und „sprachlos“ machen, kommentierte Bouillon selbst diverse Posts in sozialen Medien mit gleicher Aussage.

Auch der CDU-Bundestagsabgeordnete Sepp Müller, den Sichert in seiner Rede erwähnt hatte, widersprach dem AfD-Abgeordneten am Donnerstag. Dessen Zahlen „entbehren jeglicher Grundlage“ hielt der Abgeordnete aus einem Wahlkreis aus Sachsen-Anhalt fest und erntete dafür Applaus. Ihm sei während seiner Corona-Erkrankung lediglich für fünf Tage die Nase gelaufen. „Gott sei Dank war ich geimpft“, betonte Müller. „Liebe Leute da draußen: Lasst euch endlich impfen. Das ist der Weg aus der Pandemie“, betonte der CDU-Abgeordnete abschließend.

Faktencheck: Sichert liefert falsche Zahlen

Sichert verbreitete im Bundestag darüber hinaus einige falsche Zahlen zum Thema Corona. Seit Februar seien mehr Jugendliche infolge der Impfung gestorben als an Corona. Diese Aussage ist faktisch falsch. Das Robert Koch-Institut führt Covid-19-Todesfälle gestaffelt nach Altersgruppen und Kalenderwochen auf. Seit Februar hat es unter den 10- bis 19-Jährigen tatsächlich sehr wenige solcher Todesfälle gegeben.

Das RKI merkt an, dass es aus Datenschutzgründen die Werte 1, 2 und 3 in einer Kalenderwoche einheitlich als „<4“, also „kleiner 4“, angibt. Wenn man hier jeweils den kleinsten möglichen Wert annimmt, also einen Fall, kommt man bei den 10- bis 19-Jährigen auf mindestens zwölf Covid-19-Todesfälle zwischen 1. Februar und 24. Oktober 2021.

Mögliche Nebenwirkungen nach Covid-19-Impfungen werden in Deutschland dem Paul-Ehrlich-Institut (PEI) gemeldet. Es veröffentlicht regelmäßig Berichte dazu. Laut dem jüngsten Report gab es für den Zeitraum bis zum 30. September 2021 fünf Verdachtsmeldungen zu einem tödlichen Ausgang bei Jugendlichen. Aber: In keinem dieser Verdachtsfälle habe das PEI einen ursächlichen Zusammenhang mit der Impfung als möglich oder wahrscheinlich eingeschätzt, teilte PEI-Präsident Klaus Cichutek am Donnerstag mit.

Bei einem im Oktober kurz nach der zweiten Impfung verstorbenen Jugendlichen bestand nach Angaben des PEI eine besonders schwere, impfunabhängige Vorerkrankung des Herzens. Die Impfung sei nicht als alleiniger Auslöser des tödlichen Ausgangs zu sehen, so das Institut. Dem PEI sei bisher kein vergleichbarer Fall berichtet worden. Nach Angaben des RKI sind mittlerweile zwei Millionen Jugendliche im Alter von 12 bis 17 Jahren vollständig geimpft.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort