Offener Brief gegen Maskenpflicht und Sonderregelungen Behindertenwerkstätten im Saarland: Corona-Regeln „sind diskriminierend“

Saarbrücken · Die Landesarbeitsgemeinschaft der Werkstätten für behinderte Menschen sieht Menschen mit Behinderung durch das neue Infektionsschutzgesetz benachteiligt. Minister Magnus Jung unterstützt sie dabei.

 Cora Jantzen verpackt und sortiert Schrauben in den Bübinger Werken in Saarbrücken. Dort arbeiten 300 Menschen mit überwiegend geistiger Behinderung - zum Teil schon seit Jahrzehnten. (Archivbild)

Cora Jantzen verpackt und sortiert Schrauben in den Bübinger Werken in Saarbrücken. Dort arbeiten 300 Menschen mit überwiegend geistiger Behinderung - zum Teil schon seit Jahrzehnten. (Archivbild)

Foto: dpa/Katja Sponholz

Die Landesarbeitsgemeinschaft Werkstatträte Saarland (LAG WR) fordert gemeinsam mit der Landesarbeitsgemeinschaft der Werkstätten für behinderte Menschen im Saarland (LAG WfbM) die Politik in einem Offenen Brief auf, noch vor Inkrafttreten des Infektionsschutzgesetzes am 1. Oktober eine Anpassung der gesetzlichen Regelungen vorzunehmen. Komme die Änderung so wie geplant, käme es zu gravierenden Fehlentwicklungen in den insgesamt elf saarländischen Werkstätten.

Was ab Oktober in Behindertenwerkstätten gilt

Knapp 4000 Menschen arbeiten dort, erklärt Michael Schmaus, Geschäftsführer der LAG WfbM. Und die müssten laut Infektionsschutzgesetz vom kommenden Montag an alle wieder FFP2-Masken bei der Arbeit tragen, selbst in Einzelbüros oder an Einzelarbeitsplätzen müsse durchgehend eine solche Schutzmaske getragen werden. Für Arbeitnehmer in „normalen“ Betrieben gilt hingegen keine Maskenpflicht. „Die Regelungen sind unwürdig und diskriminierend, zudem widersprechen sie vielen Normen zur Gleichbehandlung von Menschen mit Behinderung. Das Bundesteilhabegesetz wird konterkariert und ad absurdum geführt“, schreiben daher die LAGs in ihrem Brief.

Die Regelungen seien „den Menschen in den Werkstätten auch nur schwer vermittelbar“, erklärt Schmaus. Darüber hinaus seien sie „im Alltag der Organisationen nicht umsetzbar, ohne dass Rechte von Menschen mit Behinderung permanent verletzt werden, ohne den Regelbetrieb von WfbM nicht gänzlich einzustellen und nur noch Infektionsschutz zu betreiben.“ Neben der Diskriminierung der Beschäftigten würden sich die Regelungen auch auf „den wirtschaftlichen Erfolg der Werkstätten negativ auswirken“.

FFP2-Maskenpflicht soll sogar im Wohnzimmer gelten

Auch „vertreibt man Fachkräfte mit dem neuen IfSG aus den Werkstätten: In solchen Verhältnissen will niemand professionell arbeiten“, schreiben sie im Brief. Und: Menschen mit Behinderung, die in Werkstätten arbeiten, leben auch oft in „besonderen“ Wohnformen. Auch hier soll in Gemeinschaftsräumen die FFP2-Maskenpflicht gelten. „Niemand außer den in besonderen Wohnformen lebenden Menschen muss im Wohnzimmer der eigenen Wohnung eine Maske tragen“, kommentieren die LAGs.

Der Gesetzgeber regelt die Maskenpflicht in Werkstätten für Menschen mit Behinderung im Infektionsschutzgesetz gemäß § 28a Absatz 7 Satz 1 Nummer 1 Buchstabe a. Darunter fallen auch Arztpraxen; Krankenhäuser; Einrichtungen für ambulantes Operieren; Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtungen; Dialyseeinrichtungen; Tageskliniken; ambulante Pflegedienste, Wohngruppen, Rettungsdienste. Und eben die Werkstätten. Alles Bereiche, in den es „vulnerable Gruppen“ gibt, Menschen, die nicht (gut) selbst für ihren Schutz sorgen können.

Kritik an “Sonderstellung von Menschen mit Behinderung“

Das aber sehen die LAGs in den Werkstätten anders. „Seit über zwei Jahren, seit Beginn der Corona-Pandemie, hat sich gezeigt, dass Werkstattbeschäftigte nicht grundsätzlich zum vulnerablen Personenkreis gehören“, erklärt Schmaus. Bisher hätten die Mitarbeiter Masken getragen, wenn nicht genügend Abstand gewährleistet werden konnte. Auch hätten die Werkstätten unzählige Hygieneschutzmaßnahmen wie Trennwände aus Plastik umgesetzt, die einen ausreichenden Schutz gewährleisten würden. Das Infektionsgeschehen sei „völlig normal“, berichtet Schmaus. „Daher fordern wir eine neuerliche Beratung des IfSG und eine schnellstmögliche Beseitigung der Sonderstellung von Menschen mit Behinderung“, steht im Brief.

Adressaten der Forderung sind unter Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), Hubertus Heil, Bundesminister für Arbeit und Soziales (SPD), Marco Buschmann (FDP), Bundesminister der Justiz, und Karl Lauterbach (SPD), Bundesminister für Gesundheit. „Das Gesetz muss der Bund umschrieben“, erklärt Schmaus.

Dass dies bis zum 1. Oktober gelingen wird, bezweifelt eine Sprecherin des saarländischen Ministeriums für Arbeit, Soziales, Frauen und Gesundheit. Dennoch unterstütze Minister Magnus Jung (SPD) die Forderungen. Auch bereits vor der Novellierung des Gesetzes. „Als Gesundheits- und Arbeitsminister des Saarlandes habe ich wiederholt darauf hingewiesen, dass dies nicht gewollt sein kann“, sagt er. Genutzt hat es bisher offenbar nichts. „Die das Gesetz so gemacht haben, müssen sicher nicht unter solchen Bedingungen arbeiten“, sagt Schmaus. Jung verspricht: „Es ist mir ein wichtiges Anliegen, weiterhin auf die entsprechende Änderung im Gesetz zu drängen. Daher unterstütze ich auch die Interessenvertretungen der Behinderten bei der Durchsetzung ihrer diesbezüglichen Forderung.“

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