„Wir sollten der Lage ins Auge blicken“ Anke Rehlinger fordert Impfpflicht in Deutschland – und erntet Widerspruch von Tobias Hans

Die Debatte um eine allgemeine Impfpflicht in Deutschland spitzt sich weiter zu. Jetzt spricht sich auch die saarländische SPD-Vorsitzende Anke Rehlinger dafür aus. Tobias Hans reagierte am Dienstag prompt – er bleibt bei seinem Nein gegen die Impfpflicht.

Anke Rehlinger fordert Impfpflicht in Deutschland – Widerspruch von Tobias Hans
Foto: BeckerBredel

Im Saarland zeigt sich die Regierung uneins über eine allgemeine Impfpflicht. Anders als Wirtschaftsministerin Anke Rehlinger (SPD) spricht sich Ministerpräsident Tobias Hans (CDU) nach wie vor dagegen aus. „Ich will eine gesetzliche Impfpflicht vermeiden“, sagte der Regierungschef am Dienstag in Saarbrücken. Zugleich richtete sich der CDU-Politiker an die Menschen, die sich nicht gegen Covid-19 immunisieren lassen, obwohl sie dies könnten. Er bezifferte diesen Bevölkerungsanteil auf zehn Prozent. „Mein Verständnis für diese zehn Prozent ist aufgebraucht“, sagte Hans. „Ich hoffe, dass sich nun doch die Vernunft durchsetzt.“ Hans sprach von einer bereits bestehenden, einer „moralischen Impfpflicht“.

Der Virologe Jürgen Rissland vom Universitätsklinikum des Saarlandes erklärte am Dienstag, er trage die Festlegung des Ministerpräsidenten „voll und ganz mit“. Eine Impfpflicht könne „nur die Ultima Ratio“ sein, das letzte geeignete Mittel. Zuvor hatte sich auch Gesundheitsministerin Monika Bachmann (CDU) gegen eine Impfpflicht positioniert.

SPD-Landeschefin Anke Rehlinger hatte sich kurz zuvor am Dienstag für eine allgemeine Impfpflicht ausgesprochen. „Weil immer noch zu viele ungeimpft sind, befinden wir uns mitten in einer Jojo-Pandemie. Das wird nur aufhören, wenn die Impflücke geschlossen wird“, sagte die stellvertretende Ministerpräsidentin der Saarbrücker Zeitung.

„Um eine fünfte oder eventuell sechste Welle zu verhindern, sollte Deutschland eine Impfpflicht einführen.“ Diese Debatte müsse jetzt geführt werden. Eine Impfpflicht wie schon bei Masern sei ein harter Eingriff, aber er vermeide zukünftig massive Einschränkungen für die breite Mehrheit der Geimpften. „Impfen ist deshalb nicht nur eine private Entscheidung, sondern auch eine Frage der Solidarität insbesondere gegenüber vulnerablen Personen in der Gesellschaft“, so Rehlinger.

Die Politik in Deutschland habe zwei Jahre lang versucht, dieses Instrument zu vermeiden. „Wir sollten der Lage ins Auge blicken, dass es notwendig sein wird.“

SPD schwenkt bei der Impfpflicht auf breiter Basis um

Der SPD-Bundestagsabgeordnete Esra Limbacher (SPD) unterstützt Rehlinger: „Wir dürfen nicht immer wieder den gleichen Fehler wiederholen, indem wir in der vierten Welle nicht an die fünfte denken. Wir brauchen jetzt eine gesamtgesellschaftliche Entscheidung über eine allgemeine Impfpflicht“, teilte er mit. Eine berufsspezifische Reglung – also eine Impfpflicht etwa nur für Pflegekräfte – führe zu neuen Ungerechtigkeiten, mahnte er.

Auch der gesundheitspolitische Sprecher der SPD-Fraktion im Landtag, Magnus Jung, ist jetzt für die Impfpflicht. „Wir alle wollten eine Impfpflicht vermeiden. Heute müssen wir feststellen, dass wir wohl nicht umhinkommen“, teilte er mit. Der gesellschaftliche Schaden möglicher nächster Wellen sei zu groß, um jetzt nicht zu handeln. „Gute Führung heißt, vor dem Hintergrund sich verändernder Rahmenbedingungen auch die Stärke zu besitzen, seine Haltung zu ändern.“

Tobias Hans hatte sich schon am Sonntag gegen Impfpflicht-Debatte ausgesprochen

Auch am Sonntag hatte Tobias Hans schon seine Ablehnung einer Impfpflicht kundgetan. „Die Impfpflicht ist nicht die Debatte, die wir jetzt brauchen“, sagte der CDU-Politiker in der ARD-Sendung „Anne Will“. „Jetzt bitte ich doch wirklich, alle Kraft darauf zu konzentrieren zu impfen.“ Jetzt sei ein Zeitpunkt, „wo die Zahlen so intensiv steigen, wo ich Menschen überzeugen kann, sich impfen zu lassen, weil sie auch merken, sie verlieren ihre Freiheiten“, führte Hans aus. „Die Anreize waren nie größer als jetzt.“

Hans warnte: „Wenn wir jetzt durch politische Debatten, die zu früh, die zu unausgegoren geführt werden, die nächste Bevölkerungsgruppe auf die Straße bringen, die dann gegen uns demonstriert, glaube ich, werden wir nicht unserem Anspruch gerecht, die jetzt drängenden Probleme zu lösen.“

Oskar Lafontaine: Forderung nach Impfpflicht ist verantwortungslos

Er wollte eigentlich in Politiker-Rente. Ganz schafft es Oskar Lafontaine aber offensichtlich nicht, sich aus der Politik zurückzuziehen. Jedenfalls gab er diesen Dienstagnachmittag bekannt: Die Forderung der stellvertretenden saarländischen Ministerpräsidentin Anke Rehlinger nach einer Corona-Impfpflicht hält er für verantwortungslos. „Ein gesetzlicher Zwang zur Einnahme bedingt zugelassener Impfstoffe, deren Wirkungsweise man massiv überschätzt hat und über deren mögliche Spätfolgen noch zu wenig bekannt ist, ist unverständlich. Auch Geimpfte können sich und andere anstecken und der Impf-Schutz vor einer Infektion mit Krankheitssymptomen hält offenbar deutlich kürzer als gedacht“, so Lafontaine.

Kretschmann und Söder befeuern Debatte

Auch die Ministerpräsidenten von Bayern und Baden-Württemberg, Markus Söder (CSU) und Winfried Kretschmann (Grüne), fordern die Einführung einer allgemeinen Impfpflicht. "Eine Impfpflicht ist kein Verstoß gegen die Freiheitsrechte. Vielmehr ist sie die Voraussetzung dafür, dass wir unsere Freiheit zurückgewinnen", schreiben Söder und Kretschmann in einem Gastbeitrag für die Frankfurter Allgemeine Zeitung (Dienstag). "Denn unser Grundgesetz schützt nicht eine Freiheit der Willkür. Es folgt vielmehr dem Prinzip der Freiheit in Verantwortung. Es verpflichtet uns dazu, die Freiheiten aller Betroffenen zu gewichten und auf dieser Basis zu entscheiden", so die Politiker.

Eine allgemeine Impfpflicht werde die Gesellschaft nicht spalten: "Die Gesellschaft droht nicht dann zu zerbrechen, wenn der Staat die Dinge in die Hand nimmt und eine allgemeine gesetzliche Impfpflicht einführt. Sie droht dann zu zerbrechen, wenn er die Dinge treiben lässt", so die Länderchefs.

Hessens Ministerpräsident:  An Impfpflicht führt kein Weg vorbei

Auch aus Sicht von Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier führt an einer Impfpflicht kein Weg vorbei. "Corona wird bleiben", sagt der CDU-Politiker in Wiesbaden. "Entweder wir gehen von Welle zu Welle, schränken jedes Mal wieder ein oder es gelingt uns, den Impfstatuts zu erhöhen." Alle bisherigen Versuche, die Impfquote zu steigern, seien gescheitert. "Das ist der Hintergrund. Und dann glaube ich ist es richtig, dass man zu einer Impfpflicht kommt." Das sei auch verfassungsrechtlich machbar. Mit Blick auf die wiederholten Aussagen führender Politiker, dass es keine Impfpflicht geben werde, sagt Bouffier: "Da wussten wir auch vieles noch nicht." Wenn man sich geirrt habe, könne man es auch sagen. Er halte die Diskussion um eine Impfpflicht für notwendig. "Ich glaube, dass es so kommen muss, um dauerhaft diese Wellen zu brechen."

 Ist eine Impfpflicht umsetzbar?

Der Präsident des Saar-Verfassungsgerichtshofs, Roland Rixecker, hält eine Impfpflicht für alle juristisch grundsätzlich für denkbar. „Immerhin hat das Bundesverwaltungsgericht vor Jahren die Masernimpfpflicht für verfassungsrechtlich unbedenklich gehalten“, sagte ­Rixecker der SZ. Die Durchsetzung hält er allerdings für schwierig.

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