Land voller Licht und Nebel

Gérardmer · Das Städtchen Gérardmer gehört zu den Top-Zielen der Vogesen. Geschätzt im Sommer wie im Winter. Es gibt kaum Sehenswürdigkeiten, doch die Lage und Umgebung überzeugen.

 An der Uferpromenade von Gérardmer fühlt man sich fast wie in der Schweiz. Fotos: Georg Bense

An der Uferpromenade von Gérardmer fühlt man sich fast wie in der Schweiz. Fotos: Georg Bense

Schon die Anfahrt ist reizvoll. Von Osten kommend hat man das Kristallglas von Baccarat berührt und hat schnell über Saint-Dié-des-Vosges sein Ziel erreicht. Von Westen ist man über Colmar dem Münstertal zum Col de la Schlucht (1400 Meter) gefolgt. Hat die Vogesenkammstrasse gekreuzt. Die karge, windige Landschaft der Hochvogesen im Rücken, hat man Richtung Gérardmer die Grenze zwischen Elsass und Lothringen überschritten. Kurz danach blitzt das Ziel, das Highlight der Region, "Perle der Vogesen" genannt, immer wieder zwischen Bäumen und hinter Kurven auf: Der See von Gérardmer ist der größte der Vogesen. 2,2 Kilometer lang, 750 Meter breit. Die tiefste Stelle bei 38 Metern.

Seine Lage macht ihn seit Urzeiten berühmt. Sogar Karl der Große soll schon an seinen Ufern entlang geritten sein. Vor über tausend Jahren. Die eigentliche Geburtsstunde von Gérardmer liegt etwa 500 Jahre näher an unserer Zeit: 1285 war die erste urkundliche Erwähnung unter dem Namen Geramer. Ein Name, der sich im Lauf seiner Geschichte, die eng mit dem Herzogtum Lothringen verbunden ist, häufig geändert hat. Erst im 18. Jahrhundert einigte man sich auf Gérardmer (deutsch Gerdsee).

Als sich 1944 alliierte Streitkräfte den Vogesen näherten, zerstörten deutsche Truppen die kleine Stadt zu 85 Prozent. Architektur und Flair des ehemaligen Luftkurortes mit klassischer Eleganz gediegener Hotel- und Flanier-Atmosphäre blieben ebenso unter einer Trümmerlandschaft auf der Strecke, wie die Fabriken einheimischer Textilindustrie. Es war der See mit seiner romantischen Wasseridylle, die Gérardmer am Leben hielt. Sie wollte man erleben, genießen.

Weit entfernt vom Charme einstiger Hotelherrlichkeit, öffneten neue Hotels und Restaurants. Wieder gab es die begehrten Zimmer mit Seeblick - im Ambiente moderner Zweckmäßigkeit. Spaziergänge auf der eleganten Uferpromenade wie sie der Dichter André Gide 1882 als Teenager über sich ergehen lassen musste, als seine Mutter ihm mit einer Kur kalter Duschbäder die pubertären Flausen austreiben wollte, gab es nicht mehr.

Der Schriftsteller Kasimir Edschmid schwärmte 1913 von der verträumten Schönheit des Ortes in einem Wortgemälde: "Eine klare Oktobersonne mit festlichem Orange rinnt über die verschlossenen Läden der großen und ländlichen Hotels und über den Park mit den Villen und Chalets. (…) Das Land ist voller Licht, in dem schwanke Nebel erzittern."

Die Chalets sind geblieben. Zu Hunderten drängen sie in ungeordnetem Neben- und Übereinander die Hänge rund um den See hinauf. Eine Ferienlandschaft moderner Zeiten, deren Wurzeln im 19. Jahrhundert zu treiben begannen. Damals 1875, wurde in Gérardmer das erste Touristenbüro Frankreichs eröffnet und Monsieur Chanony, einer der ersten Kunden, der auf Grund einer Behinderung nicht rudern konnte, erfand das Pédalo (Tretboot).

 Das Grand Hotel in Gérardmer vor dem Krieg – eine historische Postkartenansicht.

Das Grand Hotel in Gérardmer vor dem Krieg – eine historische Postkartenansicht.

Zwei Mal im Jahr gerät der See in den Hintergrund. Dann lockt das Städtchen mit Events besonderer Art: Im Januar treffen sich die Freaks des fantastischen Films auf einem Internationalen Festival. Wenig später, wenn im April die kalten Winterwinde von den Vogesenhöhen lauer herunter kommen, feiern Tausende Besucher den späten Frühling mit dem Narzissenfest (Fête des Jonquilles) und stimmen sich mit einem Blumenkorso auf den Sommer ein, in dem die "Vogesenperle" die Schönheit ihrer Natur entfaltet, die alte und neue Liebhaber begeistert.

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