Kulturlandschaft in Gefahr

Saarbrücken/Merzig. Im Volksmund darf sich die Mistel eines guten Rufs erfreuen: Da wäre nicht nur der schöne Weihnachtsbrauch des Küssens unterm Mistelzweig. Auch Heilkräfte werden der immergrünen Pflanze zugeschrieben, die alternative Medizin setzt sie bei der Behandlung von Krebs ein

 Misteln haben sich in den vergangenen Jahren im gesamten Saarland ausgebreitet. Viele Obstbäume wie hier zwischen Brotdorf, Hargarten und Rimlingen sind befallen. Foto: Rolf Ruppenthal

Misteln haben sich in den vergangenen Jahren im gesamten Saarland ausgebreitet. Viele Obstbäume wie hier zwischen Brotdorf, Hargarten und Rimlingen sind befallen. Foto: Rolf Ruppenthal

Saarbrücken/Merzig. Im Volksmund darf sich die Mistel eines guten Rufs erfreuen: Da wäre nicht nur der schöne Weihnachtsbrauch des Küssens unterm Mistelzweig. Auch Heilkräfte werden der immergrünen Pflanze zugeschrieben, die alternative Medizin setzt sie bei der Behandlung von Krebs ein. Und in den Asterix-Comics ist die Mistel vielzitierte Zutat des berühmten Zaubertranks, die der Druide Miraculix mit einer Sichel erntet. Eine wahre Wunderpflanze also, möchte man meinen.Monika Lambert-Debong sieht das allerdings ganz anders. "Katastrophal" sei der Mistelbefall im Saarland, sagt die Geschäftsführerin des Verbandes der Gartenbauvereine im Saarland und Rheinland-Pfalz. Eigentlich fallen die runden Mistelbüsche erst im Herbst und Winter auf, wenn die befallenen Bäume ihre Blätter verloren haben. "Aber hier gibt es Bäume, die fast nur noch aus Misteln bestehen", sagt Lambert-Debong. Das bedeute gleichzeitig den Tod für die Bäume. Der Grund für den starken Befall der Streuobstwiesen ist für sie klar. "Kulturpflanzen werden von A bis Z von Menschenhand gezogen. Es braucht ein gewisses Maß an Pflege." Und die sei bei vielen Besitzern einfach nicht mehr gegeben. Dem stimmt auch Klaus Christian, stellvertretender Direktor der Landwirtschaftskammer des Saarlands, zu. Die Streuobstwiesen machten eine Fläche von 8000 bis 10 000 Hektar aus, schätzt er. Immer weniger davon würden aber bewirtschaftet und entsprechend gepflegt. Das "Bewusstsein zum Obstbauern" sterbe einfach aus.

Das Problem: Von diesen sich selbst überlassenen Streuobstwiesen breite sich die Mistel rapide aus wie eine Infektionskrankheit, sagt Monika Lambert-Debong. "Es gibt zwar spezielle Werkzeuge, mit denen junge Misteln von der Oberfläche der Bäume abgeschabt werden können." Bei weiter fortgeschrittenem Befall reiche das aber nicht mehr aus. "Das Geflecht der Mistel geht dann in den ganzen Ast hinein." Laut Lambert-Debong hilft dagegen nur noch ein starker Rückschnitt.

Eine unkontrollierte Ausbreitung der Misteln bedeutet letztlich auch das Ende für die Streuobstwiesen - und damit auch den Verlust eines wertvollen Biotops, erklärt Rudi Reiter, stellvertretender Landesvorsitzender des Naturschutzbundes (Nabu). "Die Streuobstwiesen sind ein Gegenpart zu den intensiv genutzten Landwirtschaftsflächen." Bis zu 5000 Tierarten bevölkern diesen Lebensraum, sagt Reiter - von der Spinne bis zu seltenen Vogel- und Fledermausarten, die in den Asthöhlen der Obstbäume nisten. Lambert-Debong hebt zusätzlich den ästhetischen Wert der Streuobstwiesen hervor: "Die Bäume geben der Landschaft Struktur." Nicht umsonst schmücke sich beinahe jede Broschüre für Touristen mit Bildern der weitläufigen Streuobstwiesen. Nicht zuletzt deshalb hofft Lambert-Debong auch auf eine engere Zusammenarbeit mit Landkreisen und Kommunen. "Wir streben eine Initiative für einen besseren Pflegezustand an." Dazu hofft sie, dass künftig auch die Besitzer kleinerer Streuobst-Flächen finanziell unterstützt werden. Zwar müsse es eine Untergrenze geben. "Es kann aber nicht sein, dass jemand, der passioniert Streuobstanbau betreibt, durch das Raster fällt." Auch Reiter wünscht sich die "drakonische" Beschneidung der befallenen Bäume. Sonst sagt er den Obstwiesen eine düstere Zukunft voraus: "In zwei, drei Jahren, werden im Raum Merzig ganze Baumbestände verschwunden sein." >Seite A 4: Glosse

Foto: Ruppenthal

Auf einen Blick

Misteln sind Halbschmarotzer: Sie entziehen ihrem Wirt Wasser und Nährsalze, können über ihre Blätter aber auch Fotosynthese betreiben. Häufig treten die immergrünen Pflanzen an Pappeln und einigen Obstsorten auf - möglicherweise, weil deren Holz besonders weich ist. Die Mistel wird in erster Linie von Vögeln wie der Misteldrossel verbreitet. Diese fressen die Früchte und scheiden die klebrigen Samen später an anderen Bäumen wieder aus. stl

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