Komasaufen ist ein Massenproblem

Saarbrücken. Helmut Kuntz hat eine beunruhigende Nachricht für alle Eltern, für wirklich alle Eltern, wie er betont: "Derzeit kann keine Mutter, kein Vater davor sicher sein, dass nicht die Polizei nachts an der Haustür klingelt und sagt, dass der Sohn oder die Tochter mit Alkoholvergiftung ins Krankenhaus gebracht worden ist." Kunz weiß, wovon er redet

Saarbrücken. Helmut Kuntz hat eine beunruhigende Nachricht für alle Eltern, für wirklich alle Eltern, wie er betont: "Derzeit kann keine Mutter, kein Vater davor sicher sein, dass nicht die Polizei nachts an der Haustür klingelt und sagt, dass der Sohn oder die Tochter mit Alkoholvergiftung ins Krankenhaus gebracht worden ist." Kunz weiß, wovon er redet. Er ist Familien- und Suchttherapeut, hat einige Bücher dazu geschrieben und arbeitet unter anderem in der Fachstelle für Suchtprävention in Saarbrücken. "Etwa 20 Prozent der Jungen und Mädchen ab 14 Jahren betrinken sich regelmäßig wenigstens einmal die Woche. Die notfallmäßig behandelten Alkoholvergiftungen steigen sprunghaft an. ,Wer nicht kotzt, trinkt nicht am Limit', ist zum jugendkulturellen Leitspruch geworden. Sich wegtrinken ist gängiger Freizeitsport", sagt Kuntz. Das ist keine Theorie, sondern kommt in der wirklichen Welt vor - auch in Saarbrücken. In einer Saarbrücker Schule sei neulich ein 13-Jähriger vom Notarzt abgeholt worden, erzählt Kuntz. Wie sich im Nachhinein herausstellte, kam der Junge bereits mit hohem Alkoholpegel in die Schule und hat sich dann auf der Toilette den Rest gegeben. Anderer Stadtteil, ähnliche Situation: Auf dem Rotenbühl sei er vier Jugendlichen begegnet, die einen fünften getragen haben, erzählt Kuntz. Alle fünf waren betrunken, der, der getragen werden musste, stammelte nur noch, dass er ins Krankenhaus wolle. Davon wollten seine Kumpels nichts wissen. Krankenhaus, das bedeutet Ärger. Also hatte man sich entschieden, ihn in einer Wohnung den Rausch ausschlafen zu lassen. Eine gefährliche Entscheidung. Kuntz überzeugte die Jungs, doch den Notarzt zu rufen. Der hat den Komatrinker direkt in die Klinik bringen lassen. Das sei oft das Problem Nummer zwei bei dieser Art der "Freizeitbeschäftigung": Da liege dann einer oder eine betrunken auf dem Boden und seine Freundinnen und Freunde "stehen dumm rum". Diese Ratlosigkeit kann lebensgefährlich sein, warnt Kuntz. Problem Nummer eins ist das Trinken selbst. Da gebe es zum einen die, die sich ganz bewusst "wegbeamen", also möglichst viel Alkohol in sich hineinschütten, um sich nicht mehr zu spüren. Das muss kein stupides Saufen sein. Es gibt unter Jugendlichen - Jungs ebenso wie Mädchen - beliebte Trinkspiele. Flunkyball zum Beispiel. Das geht so: Zwei Mannschaften stellen sich auf, in der Mitte eine Flasche mit Wasser. Die Flasche muss mit einem Ball umgeworfen werden. Fällt sie um, dann dürfen die Mitglieder der Mannschaft, die den Ball geworfen hat, solange trinken, bis das gegnerische Team die Flasche wieder aufgestellt und den Ball in den Händen hat. Während so eines Spiels trinkt jeder Mitspieler mitunter mehrere Liter Bier. Aber längst nicht jeder Jugendliche, der in der Notaufnahme landet, hat sich gezielt betrunken. Es gebe auch Leute, die sich einen Spaß daraus machen, anderen Wodka und andere hochprozentige Getränke in die Cola zu mischen. Gerade bei Jugendlichen, die keine Erfahrung mit Alkohol haben, reichen dann schon geringe Mengen, um reif für die Klinik zu sein. Es sei für Eltern schwierig, so etwas zu verhindern, sagt Kuntz. Aber Väter und Mütter können etwas tun, um die Wahrscheinlichkeit zu senken. Vorbild sein im Umgang mit Alkohol zum Beispiel. Oder auch mal - aus Sicht ihrer Kinder - peinlich sein. Dann nämlich, wenn sie sich dafür interessieren, was denn auf den Partys getrunken wird und indem sie darauf achten, ob sich der Freundeskreis oder die Leistung in der Schule verändert. Und manchmal lohnt es sich, den Alkoholvorrat zu Hause im Blick zu haben. Ein 14-Jähriger habe sich regelmäßig heimlich in der Hausbar seiner Eltern bedient, erzählt Kuntz. Im Gespräch habe er sich später, als sein Alkoholproblem nicht mehr zu verheimlichen war, gewundert, dass seine Eltern das nicht gemerkt haben, obwohl er nicht gerade wenig getrunken habe. "Etwa 20 Prozent der Jungen und Mädchen ab 14 Jahren betrinken sich regelmäßig wenigstens einmal die Woche."Helmut Kuntz, Suchttherapeut

Auf einen BlickWas können Eltern tun, um zu verhindern, dass ihre Kinder Komatrinker werden? Darüber informiert der Familien- und Suchttherapeut Helmut Kuntz am Dienstag, 16. Juni, 19.30 bis 21 Uhr, im Konferenzraum in der ersten Etage des Saarbrücker Schlosses.Auch in seinem Buch "Drogen & Sucht" klärt der Saarbrücker Therapeut auf und gibt Tipps. Das Buch ist im Beltz-Verlag erschienen. ISBN 978-3-407-22903-8Die Aktionsgemeinschaft Drogenberatung lädt am Mittwoch, 17. Juni, ab 9 Uhr zu einer Fachtagung mit dem Titel "Saufen gegen den Klimawandel?!" ins Albert-Schweitzer-Haus in St. Arnual ein.Informationen: Telefon (06 81) 98 54 10, E-Mail info@drogenberatung-saar.de ols

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort