Gesundheit „König Kunde“ wird immer unverschämter

Saarbrücken · Patienten und Kunden vergreifen sich heute mehr denn je im Ton. Im Saarland klagen darüber immer mehr Ärzte, Gastronomen und Einzelhändler.

 Der Umgang von Gästen mit der Bedienung lässt offenbar immer öfter zu wünschen übrig.

Der Umgang von Gästen mit der Bedienung lässt offenbar immer öfter zu wünschen übrig.

Foto: BeckerBredel/Becker && Bredel

Wer bei Google das Stichwort „Kunden werden“ eingibt, wird in eine eindeutige Richtung gelenkt: „immer unverschämter“, „immer aggressiver“, „immer anspruchsvoller“ und „immer dreister“ lauten die ersten vier Vorschläge. Und auch bei „Patienten werden…“ sieht es nicht viel anders aus. Der Eindruck, der beim Googeln entsteht, täuscht nicht. Im Gegenteil: Auch im Saarland klagen immer mehr Ärzte, Gastronomen und Einzelhändler über Menschen, die ihre Bedürfnisse und Ansprüche zunehmend aggressiv formulieren. Eine Erfahrung, die die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi teilt. „Neulich sagte mir eine Kollegin, der Spruch ‚Der Kunde ist König‘ hat sich gewandelt in ‚Der Kunde wird zum Arschloch‘“, berichtet Dennis Dacke, Pressesprecher des Verdi-Landesbezirks Rheinland-Pfalz-Saarland. Pöbeleien wegen Wartezeiten an der Kasse oder Beleidigungen, weil eine Ware nicht vorhanden sei, gehörten schon zum Alltag. Und der Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Vereinigung (KV), Gunter Hauptmann, bestätigt: „Seit einiger Zeit höre ich von Kollegen immer wieder genau das Gleiche, nämlich etwas über unangemessenes Verhalten von Patienten und dass einige gar kurz vor dem Randalieren in den Praxen sind.“

Dem Hausarzt Marcel Dutt aus Wallerfangen wird ein Fall wohl ewig in Erinnerung bleiben. In seiner Praxis musste ein Patient reanimiert werden – und ein anderer wollte nicht verstehen, warum er trotz Termin weiter warten musste. „Es passieren schon viele Sachen, da wundert man sich immer weniger“, gibt Dutt zu, „aber da war ich richtig sauer und hab’ mit ihm geschimpft.“ Aus der Praxis habe er ihn allerdings nicht verwiesen. „Das würden wir nur in Situationen machen, wenn Patienten aggressiv gewalttätig werden.“

Dem Vorsitzender der Vertreterversammlung bei der KV, der Kardiologe Dirk Jesinghaus, ist allerdings angesichts des Verhaltens eines Patienten schon einmal so der Kragen geplatzt, dass er von seinem Hausrecht Gebrauch gemacht hat. Auch in jenem Fall sei es – wie so oft – „um die Komponente Wartezeit“ gegangen. Dieses Mal allerdings sei ein Herr gegenüber einer Helferin regelrecht ausfallend geworden und habe sie „ganz böse beleidigt“. Daraufhin habe Jesinghaus ihn gefragt, ob er ein Notfall sei – und als dieser verneinte, ihn weggeschickt. Die Quittung für sein konsequentes Verhalten bekam der Mediziner wenig später: „Ich wurde mit Anzeigen von dem Patienten überzogen bis zum Kragen.“ Dass es sich bei jenem Mann um einen Uni-Professor gehandelt habe, sei nicht sonderlich ungewöhnlich: „Solch’ ein Verhalten von Patienten geht durch alle Bevölkerungskreise“, meint Jesinghaus.

In Gesprächen mit Kollegen hat KV-Chef Hauptmann den Eindruck, dass es überwiegend jüngere Menschen seien, die zu solchem Verhalten neigten und zudem mehr Männer als Frauen. Generell handle es sich aber offenbar um eine gesellschaftliche Entwicklung, wie sie auch beim Autofahren festzustellen sei: „Da wird es immer rowdyhafter, der Respekt vor dem Anderen nimmt ab.“

Hinzu kommt, dass immer mehr Menschen immer weniger Zeit haben und sich immer weniger Zeit nehmen, meint Gastronomin Alexandra Fuhr. „Es muss alles nur noch schnell gehen, und das macht sich bei den Kunden so bemerkbar, dass sie total unfreundlich sind“, berichtet sie. „Die kommen schon genervt ins Restaurant und lassen dann ihre Laune an uns aus.“ Der Höhepunkt in ihrem Bistro „Peache Pit“ in Lebach sei einmal ein Fall gewesen, als eine Servicekraft einer Kundin einen Salat gebracht und nicht sofort die Sauce dabei hatte. „Da wurde sie dann als ‚dumme Sau‘ bezeichnet.“ Als sie daraufhin der Kundin gesagt habe, das ginge so nicht, habe diese gesagt: „Du bist ein Arsch, du kannst gar nichts.“

Den Mitarbeitern habe die Co-Chefin seitdem die Devise gegeben, dass sie sich nicht alles gefallen lassen müssten, dass sie ruhig etwas sagen dürften. Aber ob alle Vorgesetzten so viel Verständnis für das Personal haben? „Ich denke, die Rückendeckung ist unterschiedlich“, meint Verdi-Sprecher Dennis Dacke. „Aber ich glaube, dass die Vorgesetzten erkennen, dass es auch Grenzen gibt.“ Vor allem, wenn es um sexistische oder rassistische Diskriminierung gehe, müsse seiner Ansicht nach „klare Kante“ gezeigt werden.

Schwierig sei es jedoch, mit Kunden umzugehen, die im Umgang mit Angestellten einfach nur dreist seien. Die sich etwa intensiv beraten lassen und dann, ohne etwas zu kaufen, noch den Hinweis geben: „Im Internet ist es aber günstiger.“

Sein Appell an die Kunden: „Man sollte sich darüber bewusst sein, dass der Mensch, mit dem ich rede, auch nur ein Mensch ist und selbst unter Druck und Stress steht.“ Und dass man mit seinem Verhalten selbst zur Entwicklung beigetragen habe. „Es gibt immer weniger Leute im Handel, die beraten können. Das ist die logische Konsequenz, die aus der Geiz-ist-Geil-Mentalität und den Käufen im Internet entsteht.“

 Gunter Hauptmann von der KV befürchtet, dass sich die Negativ-Entwicklung beim Verhalten der Patienten sogar noch weiter verschärfen wird. „Ich habe ein bisschen Bedenken, dass es noch schlimmer wird, wenn die Digitalisierung in den Praxen Einzug hält und man künftig noch mehr per E-Mail kommunizieren wird.“ Schon jetzt gäben die Bewertungskommentare für Arztpraxen im Internet einen Eindruck davon. „Je unpersönlicher es wird, umso rauer wird das Ganze. Und je weiter die Entfremdung von der Person ist, umso schlimmer wird es werden“, prophezeit er. Zweifellos werde man sich da ein dickes Fell anschaffen müssen – „und die Patienten, die in der Praxis freundlich sind, noch mehr wertschätzen als heute“. Gleichzeitig gelte jedoch auch, dass man sich nicht alles bieten lassen müsse – auch nicht, wenn Patienten zu Terminen mehrfach nicht erscheinen, ohne abzusagen. „Ich rate den Kollegen dann, in solch’ einem Fall die Behandlung zu beenden, weil das Vertrauensverhältnis erheblich gestört ist.“

Dirk Jesinghaus, der Kardiologe, der einen unverschämten Patienten aus der Praxis geworfen hatte und mehrere Gerichtsverfahren ausfechten musste, denkt mit gemischten Gefühlen an die Konsequenzen seines Handelns zurück: „Von meiner Arbeitsökonomie her war es falsch, aber von der Sache her war es richtig.“

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