Kirchenstreit: Glockenturm bestellt

Hirstein. Rund 500 Protestanten, eine Kirche und ein offen ausgetragener Streit zwischen evangelischen Bürgern - seit Jahren beschäftigt dieser Clinch die Menschen weit über die Grenzen des rund 1000 Einwohner zählenden Namborner Ortsteils Hirstein hinweg

Hirstein. Rund 500 Protestanten, eine Kirche und ein offen ausgetragener Streit zwischen evangelischen Bürgern - seit Jahren beschäftigt dieser Clinch die Menschen weit über die Grenzen des rund 1000 Einwohner zählenden Namborner Ortsteils Hirstein hinweg. Nicht nur das: "Dieser Streit zieht sich sogar durch Familien", berichtet Lieselotte Remus, Vorsitzende der evangelischen Frauenhilfe in Hirstein. Auslöser für das Dilemma war vor Jahren der geplante Verkauf der evangelischen Kirche in Hirstein. Über einen Förderverein und mit Hilfe der Frauenhilfe, die sich beide finanziell für die Rettung des Gotteshauses im Dorf einsetzen wollten, wurde das Vorhaben der für Hirstein zuständigen Pfarrei in Wolfersweiler verhindert (wir berichteten).Der Streit spitzte sich unter anderem zu, weil die mit der Frauenhilfe vereinbarten Nutzungsrechte von den Protestantinnen und der Wolfersweiler Pfarrei unterschiedlich ausgelegt wurden. Die Eskalation: Eine Hälfte der evangelischen Kirchengemeinde gehört der Wolfersweiler Pfarrei an, die auch die Hirsteiner Kirche besitzt. Die andere Hälfte schloss sich den Protestanten in St. Wendel an - mit der Konsequenz, dass diese Hirsteiner Protestanten keine eigene Kirche und damit kein Geläut haben. Für diese bedeutet das bei Beerdigungen, dass deren Trauernden ohne den üblichen Glockenschlag auskommen müssen. Die Wolfersweiler Kirchengemeinde ist nicht bereit, für die zu St. Wendel tendierenden Protestanten zu läuten.Darum entsteht jetzt nahe der Leichenhalle des kommunalen, also konfessionsübergreifenden Friedhofs, ein zweiter, rund sechs Meter hoher Glockenturm als Stahlgerüst. Hirsteins Ortsvorsteher Manfred Gondolf (SPD): "Der Auftrag wird in den kommenden Tagen zugestellt." Ihn soll der St. Wendeler Stahlbauer Bodtländer erhalten. Er habe von insgesamt fünf eingereichten Angeboten mit 4850 Euro das preiswerteste abgegeben. Das Geld dafür stammt weder von der Pfarrei noch von der Landeskirche in Düsseldorf, die für die verfeindeten Protestanten verantwortlich ist. Gondolf: "1000 Euro hat der Bauausschuss der Gemeinde Namborn bereitgestellt, 1000 Euro der Ortsrat." Weitere 3000 Euro fließen aus der Agentur Ländlicher Raum des Saarlandes mit dem Förderprogramm samt passendem Namen Tatort Dorfmitte. Karoline Müller vom Namborner Umweltamt: "Damit soll auch das Umfeld gestaltet werden, wie es das Landesprogramm vorsieht."Übrigens: Die Glocke (3900 Euro) schaffte die Frauenhilfe mit Spenden an. Deren Chefin Remus, die den Wolfersweiler Protestanten mit Hirsteiner Kirche angehört und sich dennoch für den Turmbau stark macht: "Beim Glockenbauer Bachert bei Karlsruhe kauften wir eine gebrauchte. Die wiegt 189 Kilo." Hinzu komme für 1200 Euro die elektrische Läutanlage. Aktuell kamen bei einer Sammelaktion der 55 Frauen zusätzlich 1733 Euro zusammen. Wenn das Wetter mitspielt, beginnen laut Ortsvorsteher die Vorarbeiten für das Fundament noch im Dezember. Mitte Januar könne der Turm stehen. Nur so viel noch: "Darauf habe ich bestanden: Die Glocke läutet für alle." Remus ergänzt: "Auch für Nichtchristen." Meinung

Von wegen Nächstenliebe

Von SZ-RedakteurMatthias Zimmermann Was sich in Hirstein bei den Protestanten zuträgt, ist ein Trauerspiel und hat mit christlicher Nächstenliebe nicht das Geringste zu tun. Da wird die Glocke der evangelischen Kirche für Protestanten einer anderen Pfarrei zur Beerdigung nicht geläutet, weil sich Menschen der selben Konfession verfeindet haben. Von einer Provinzposse mag man gar nicht reden, denn die hat etwas Amüsantes an sich. Wer in seiner Trauer um das Glockenläuten streiten muss, dem ist das Lachen längst vergangen. Leider hat die Kirchenleitung versagt, diesen Streit zu schlichten, obwohl es ihre originäre Aufgabe ist, Frieden zu stiften. Da ist die evangelische Frauenhilfe im Ort mit ihrer Initiative ein gutes Stück weiter: Egal, welcher Pfarrei ihre Mitglieder angehören: Sie haben gemeinsam Geld für einen Glockenturm für alle gesammelt. Schade nur, dass die Gemeinde aus Steuern zusätzlich für diesen kirchlichen Bruderkrieg löhnen muss, den Turmbau mitfinanziert.

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