Kirchen wollen Solidarität und Gerechtigkeit

Wo hat die Kirche in der modernen Gegenwart ihren Platz im Alltag der Arbeitnehmer?Schad: Nach wie vor werden in unserer Region Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowohl in der Nähe ihres Wohn- wie auch ihres Arbeitsortes kirchliche Angebote vorfinden

Wo hat die Kirche in der modernen Gegenwart ihren Platz im Alltag der Arbeitnehmer?Schad: Nach wie vor werden in unserer Region Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowohl in der Nähe ihres Wohn- wie auch ihres Arbeitsortes kirchliche Angebote vorfinden. Freilich, die für viele schwierige Vereinbarkeit von Beruf und Familie und die dafür jeweils zur Verfügung stehende Zeit sind Faktoren, die den Gottesdienstbesuch wie auch die Möglichkeiten zu aktivem Engagement in den Kirchengemeinden häufig einschränken. Die gerade in der Gegenwart geforderte Bereitschaft zu Mobilität und Flexibilität untermauert diese Sachlage noch. Wichtig ist, dass Kirchengemeinden nicht als abgeschottete Inseln erscheinen, sondern einladend sind, eventuell auch neue Formen und Angebote entwickeln, die auf die Lebenswirklichkeit heutiger Arbeitnehmer bewusst eingehen, etwa Gottesdienste oder Andachten unter der Woche oder zu anderen Zeiten.

Wiesemann: Eine tragfähige Brücke der Kirche zur Welt der Arbeitnehmer bilden die kirchlichen Sozialverbände, beispielsweise "Katholiken in Wirtschaft und Verwaltung", "Christliche Arbeiterjugend", "kfd-Berufstätige Frauen", "Kolping" und "Katholische Arbeitnehmerbewegung". Gemeinsame oder einzelne öffentliche Kampagnen sind darauf gerichtet, gute und sichere Arbeitsplätze zu erhalten, den freien Sonntag nicht durch Konsum und Erwerbsarbeit zu verdrängen, die Arbeitszeit zu verkürzen und die Arbeit zwischen Männern und Frauen gerecht zu verteilen.

Auch das personale Angebot der Betriebsseelsorge in der Nähe von meist größeren Betrieben hat sich bewährt. Die Seelsorger und Seelsorgerinnen sammeln Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen aus Betrieben, begleiten sie, wenn Erfahrungen ausgetauscht, und Vorgehensweisen abgesprochen werden, um im Bündnis mit gewerkschaftlichen Vertrauensleuten und Betriebsräten die Arbeitsverhältnisse zu verbessern.

Werden in unserem aktuellen Wirtschaftssystem christlich-ethische Werte gewahrt?

Schad: Die weltweite Finanz- und Wirtschaftskrise hat gezeigt, welche Verführungskräfte dem kapitalistischen System innewohnen und zu welchen Konsequenzen es führen kann, wenn Einzelne darin nur zu ihrem eigenen Vorteil handeln und wirtschaften. Ich bin enttäuscht darüber, wie wenig sich nach Abklingen der Krise und Wiedererstarken der Aktienkurse geändert hat. Unsere Wirtschaft braucht Regeln, die gewährleisten, dass der erwirtschaftete Wohlstand auch den Schwächsten zugute kommt. Dafür steht die Idee der Sozialen Marktwirtschaft. Die Soziale Marktwirtschaft wurzelt historisch in der kirchlichen Soziallehre. Demnach lebt die Soziale Marktwirtschaft von der Sozialbindung des Kapitals. Der erwirtschaftete Wohlstand hat Motor des sozialen Ausgleichs zu sein. Ökonomische Gewinne sollen eben nicht nur dem kurzfristigen Profit Weniger dienen, sondern dem, dass es zu mehr und größerer Verteilungsgerechtigkeit kommt. Die soziale und ökologische Verträglichkeit wirtschaftlichen Handelns muss wieder Priorität gewinnen. Der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland hat deshalb gefordert, die Idee der Sozialen Marktwirtschaft durch den Aspekt der Nachhaltigkeit zu ergänzen. Dem kann ich mich nur anschließen.

Wiesemann: In der kirchlichen Sozialverkündigung wird die beeindruckende Dynamik des Kapitalismus als eines wirtschaftlichen Funktionssystems nicht als in sich schlecht beurteilt. Sie beruht auf dem marktwirtschaftlichen Wettbewerb, der elastischen Geldversorgung, dem Technikeinsatz und dem privat organisierten Unternehmen. Moralisch verwerflich ist dagegen, wenn eine Schieflage der Machtverhältnisse vorliegt: wenn eine Minderheit, der das Kapital und die Produktionsmittel gehören, die Wirtschaft im eigenen Interesse steuert, während die Mehrheit der Bevölkerung bloß über ein Arbeitsvermögen verfügt, das sie den Arbeitgebern anbieten und sich deren Befehlsgewalt unterwerfen muss, um den Lebensunterhalt zu verdienen.

Muss Kirche für das Bewahren ihres christlichen Fundaments in der heutigen Zeit auch auf die Straße gehen?

Schad: Die konkrete politische Aktion ist immer eine Gewissensentscheidung jedes einzelnen Christenmenschen. Klar ist aber: Der christliche Glaube ist niemals nur auf das Private beschränkt. Das Evangelium drängt von sich aus immer in die Öffentlichkeit. Wenn vom Evangelium getragene Menschen hier Verhältnisse vorfinden, die dem Willen Gottes, der Solidarität mit den Armen, Schwachen und Leidenden, entgegenstehen, dann ist es nur folgerichtig, wenn hier auch christlicher Widerspruch laut wird. Kirche kann sich deshalb gar nicht aus der Politik heraushalten. Sie ist Anwalt gerade auch der Benachteiligten.

Wiesemann: Das Zweite Vatikanische Konzil hat sich dazu bekannt, dass Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen von heute auch die der Christen sind, und dass die Umkehr der Herzen von einer Reform der Strukturen begleitet sein muss. Deshalb haben die Christen einen doppelten Auftrag: dem Nächsten zu dienen und sich politisch für soziale Gerechtigkeit einzusetzen. Politischen Einfluss können die Kirchen aber nur selten isoliert ausüben, sondern eher dadurch, dass sie mit zivilgesellschaftlichen Bewegungen Bündnisse schließen. Dies geschieht etwa im gemeinsamen Engagement für den Schutz des arbeitsfreien Sonntags, eine ausgewogene Einkommens- und Vermögensverteilung, für Beschäftigungsinitiativen, die freundliche Aufnahme von Flüchtlingen, das Eindämmen des Waffenhandels und den Schutz der Umwelt.

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