"Kirchen spielten wichtige Rolle"

Ihr Vortrag in Saarbrücken ist überschrieben mit "20 Jahre friedliche Revolution". Wie schätzen Sie mit der zeitlichen Distanz die Rolle der Kirche ein? Huber: Die Kirchen in der DDR hatten eine ganz wichtige Rolle bei der friedlichen Revolution

Ihr Vortrag in Saarbrücken ist überschrieben mit "20 Jahre friedliche Revolution". Wie schätzen Sie mit der zeitlichen Distanz die Rolle der Kirche ein? Huber: Die Kirchen in der DDR hatten eine ganz wichtige Rolle bei der friedlichen Revolution. "Keine Gewalt!" hießt die Losung der Bürgerrechtsgruppen, die fast alle unter dem Dach der evangelischen Kirche Raum und Schutz gefunden hatten. Diese Losung ist natürlich gespeist aus grundlegenden christlichen Überzeugungen, die sich zum Beispiel in der Bergpredigt finden lassen. Dieser Geist der Bergpredigt hat sicherlich entscheidend dazu beigetragen, dass es damals nicht zum Einsatz von Waffen gekommen ist.

In der Wendezeit zeigte sich die Kirche von ihrer politischsten Seite. Etliche Pfarrer haben den politischen Wechsel mitgestaltet. Das ist mittlerweile weitestgehend Geschichte. Verträgt sich das geistliche Amt nicht mit der politischen Ambition? Huber: Entweder man übt ein geistliches oder ein politisches Amt aus. Beides zugleich verträgt sich nicht. Aber auch ein geistliches Amt hat natürlich politische Wirkung durch die öffentliche Verkündung und die Lebensführung, die sich daraus ergibt. Es ist kein Zufall, dass sich zur Zeit der Wende 1989/90 viele evangelische Pfarrer, aber auch andere evangelische Christen, politisch engagierten, denn unter dem Dach der Kirche wehte ein freiheitlicherer Geist als in der gleichgeschalteten Öffentlichkeit der DDR. Dieser wurde fruchtbar, als das System im Herbst 1989 abdankte. Dass ein erheblicher Teil der politisch tätigen Pfarrer nach einiger Zeit wieder in den kirchlichen Dienst zurückkehrte, halte ich für richtig. Sie hatten den Übergang mitgestaltet, sahen aber ihren Auftrag auf Dauer in der Kirche. Andere sind noch heute politisch tätig - wie Markus Meckel oder Steffen Reiche.

Just die evangelische Kirche spielte für den Mauerfall eine bedeutende Rolle. Sie stand damals im Zentrum der Gesellschaft. Heute sind die Gotteshäuser auch im Osten wieder leer. Warum ließ sich so wenig davon bewahren?Huber: Es ist gut, dass durch die Wiedervereinigung das Recht auf freie Meinungsäußerung und freie Religionsausübung auch im Osten Deutschlands wieder gewährleistet ist. Insofern war die Gesamtsituation 1989/90, die dazu führte, dass unter dem Dach der Kirchen Zuflucht gesucht wurde, keinesfalls bewahrenswert. Die Menschen suchten im Herbst 1989 Zuflucht unter dem Dach der Kirchen, weil dort offen diskutiert und die Missstände beim Namen genannt wurden. Es war damals keine "normale" Gottesdienstgemeinde, die dort betete, diskutierte und sich stärkte. Diese besondere politische Situation haben wir natürlich heute - gottlob - nicht mehr. Dass heute die Kirchen leer sind, stimmt indessen in dieser Allgemeinheit nicht. Wir haben auch in Ostdeutschland in den vergangenen Jahren erstaunliche kirchliche Aufbrüche erlebt. Und sie werden weitergehen - in Ost und West.

Trotz mancher Kritik am deutschen Einigungsprozess, ist er dennoch auch ein Exempel für ein friedliches Zusammenwachsen. Lässt sich daraus etwas für Europa ableiten?Huber: Wenn wir die Erfahrungen der deutschen Einheit von 1989/90 bedenken, so ist es trotz aller Schattenseiten eine große Erfolgsgeschichte, die in der Gewaltlosigkeit der Revolution und in der Solidarität begründet liegt, in der die Lasten der Vereinigung getragen wurden. Dialogbereitschaft, Solidarität und Gewaltlosigkeit sind für Annäherungs- und Vereinigungsprozesse unabdingbare Voraussetzungen, ob in Europa oder anderswo auf der Welt.

Zur Person

Wolfgang Huber wurde am 12. August 1942 im damals besetzten Straßburg geboren, Vater Ernst Rudolf, Jura-Professor, stand dem NS-Regime nahe. Mutter Tula, auch Juristin, war Tochter des früheren Reichsaußenministers Walter Simons. Wolfgang Huber ist seit 43 Jahren mit der Lehrerin und Autorin Kara Huber verheiratet, sie haben drei Kinder und zwei Enkel. Seit 2003 ist Huber Vorsitzender des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). red

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