Keine Erdbeere sieht gleich aus

Saarbrücken. Große Menschen machen eher Karriere als kleinere, ergab eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, die inzwischen durch weitere Forschungen bestätigt wurde

 Was ist wohl in dem Becher? Der Kunsthistoriker Bernhard Wehlen öffnet seinen Zuschauern die Augen für Pieter Claesz kleines "Stillleben mit Erdbeeren". Foto: Oliver Dietze

Was ist wohl in dem Becher? Der Kunsthistoriker Bernhard Wehlen öffnet seinen Zuschauern die Augen für Pieter Claesz kleines "Stillleben mit Erdbeeren". Foto: Oliver Dietze

Saarbrücken. Große Menschen machen eher Karriere als kleinere, ergab eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, die inzwischen durch weitere Forschungen bestätigt wurde. Bei Kunstwerken ist es offenbar ähnlich: Während große Bilder den Betrachter förmlich magisch anziehen und in Museen von Menschentrauben umringt sind, führen die kleinen Formate häufig ein Schattendasein. Zu Unrecht, wie der Kunsthistoriker Bernhard Wehlen am Mittwoch bei einer Themenführung in der Alten Sammlung des Saarlandmuseums bewies. Kein dröger Vortrag, sondern eine Entdeckungstour zum Mitdenken erwartete die 13 Kunstinteressierten, die gemeinsam mit Wehlen ausgewählte kleinformatige Gemälde aus dem 17. und 18. Jahrhundert unter die Lupe nahmen. Genau hinsehen, Details und Kompositionsprinzipien erkennen und sich schließlich einer Deutung des Bildes annähern, hieß die Aufgabe, der sich die Teilnehmer der Themenführung stellten. Als verblüffend vielfältig entpuppte sich bei genauer Betrachtung unter fachmännischer Anleitung etwa das unscheinbar wirkende "Stillleben mit Erdbeeren" des niederländischen Malers Pieter Claesz aus der Zeit um 1630: Keine der Erdbeeren sieht gleich aus, ein flacher Brotlaib steht angeschnitten am rechten Rand (woran ist er angelehnt?), ein volles Glas steht hinter dem Zinnteller (was ist darin?). "Die Dinge sind zum Greifen nahe und regen die Sinne insgesamt an", erklärt der Kunsthistoriker. Eine Dame entdeckt bei genauem Hinsehen noch etwas: Drei Wassertropfen sind da auf der Tischplatte zu erkennen. "Wie lange hält so ein Wassertropfen?", fragt Bernhard Wehlen. "In diesem Bild eine Ewigkeit", erwidert die Dame. Das Stillleben mit Erdbeeren, ein Sinnbild der Vergänglichkeit. Wäre man zu einem solchen Ergebnis auch gekommen, wenn man eine Abbildung des Gemäldes in einem Katalog oder im Internet betrachtet hätte? Niemals, ist Bernhard Wehlen überzeugt. "Denn das Original zeigt uns viel mehr als eine Abbildung. Außerdem sehen wir im Museum auch das Drumherum, etwa die Rahmung eines Werks und die Art, wie es präsentiert wird." Auf eine für uns heute schon fast befremdliche Art, Kunstwerke zu zeigen, machte Bernhard Wehlen seine Zuhörer in einem der hinteren Ausstellungsräume der Alten Sammlung aufmerksam: Dicht an dicht hängen an einer Wand ein gutes Dutzend kleiner Ölgemälde, die weder thematisch noch stilistisch eine Linie erkennen lassen. "Diese sogenannte 'Frankfurter Hängung' war vom frühen 18. Jahrhundert bis zur Französischen Revolution sehr beliebt", erklärt Bernhard Wehlen. "Damals wurden die Bilder auch nach Format gesammelt." So wurden Lücken in der "Kunst-Tapete" nach und nach gefüllt. Heute wage man auch in Museen wieder, Gemälde so zu präsentieren, wie es in ihrer Entstehungszeit Usus war. Um kleine Bilder geht es auch bei der nächsten Themenführung mit Bernhard Wehlen am 25. August, 20 Uhr, in der Modernen Galerie. Infos: Tel. (0681) 9 96 42 79 oder per E-Mail an: kunstvermittlung@saarlandmuseum.de

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