Juden und Christen lebten einträchtig zusammen

Merzig · Bereits vor annähernd 300 Jahren muss es in Merzig eine erste Synagoge oder ein Bethaus gegeben haben; denn in einem Gerichtsurteil vom 5

 Blick in das Innere der Synagoge Merzig um 1923. Foto: Stadtmuseum Simeonstift Trier.

Blick in das Innere der Synagoge Merzig um 1923. Foto: Stadtmuseum Simeonstift Trier.

Bereits vor annähernd 300 Jahren muss es in Merzig eine erste Synagoge oder ein Bethaus gegeben haben; denn in einem Gerichtsurteil vom 5. Dezember 1729 heißt es, dass "Jud Moyses Hannau mit einseithiger heimlicher erbauung einer Synagog hinter seiner Behausung zu Merzig und übrige Judenschaft zu Merzig und Hilbringen mit frequentirung derselben vermeßentlich und gegen die landesfürstliche Oberherrlichkeit gehandelt" habe. Moyses Hanau erhielt eine Geldstrafe von 100 Goldgulden. Die hohe Geldstrafe ist ein Indiz dafür, dass Moyses Hanau sehr wohlhabend gewesen sein muss. Die sechs anderen Juden wurden zu je 10 Goldgulden Strafe verurteilt. Ferner wurde verfügt, dass "solche synagog einzuschlagen, zu verstöhren, alle darinnen zum superstitiosen Dienst befindliche Sachen und Zierathen zu confiscieren und der pfarrkirchen loci zuzuaignen" seien.Wahrscheinlich wurde die Verfügung ausgeführt und die Synagoge abgerissen, denn in der Karte von 1770 ist zwar der israelitische Friedhof ausgewiesen, aber keine Synagoge eingezeichnet.

Beeinflusst von Gedanken der Aufklärung war unter Clemens Wenzeslaus in Kurtrier in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts die Haltung den Juden gegenüber toleranter geworden. Und so konnte, wohl um 1780, in Merzig eine neue, zweite Synagoge (diesmal legal) erbaut werden. Sie hatte eine Straßenbreite von zwölfeinhalb Metern und lag in dem Teil der damaligen Langestraße, der später zur Querstraße wurde.

Ihre erste Erwähnung findet sich in einem Antwortschreiben von Bürgermeister Artois auf eine landrätliche Verfügung vom 24. Mai 1832. Es gibt Kenntnis von der Raumaufteilung des Gebäudes: "Die hißigen Israeliten besitzen in Merzig ein Hauß, worin sich im oberen Stock die Synagoge befindet; daßelbe hat aber noch vier andere Zimmer, worin bis jetzt der Lehrer wohnte und auch die Schule gehalten wurde."

1768 lebten fünf jüdische Familien in Merzig und je drei in Brotdorf und Hilbringen, insgesamt also elf. Ihre Zahl wuchs in den nächsten Jahrzehnten. 1809 waren es allein in Merzig 17, 1841 schon 36 Familien. Im Jahre 1849 gab es in Merzig 223 jüdische Bürger, in Brotdorf und Hilbringen 105, das heißt: die Synagogengemeinde Merzig umfasste damals 328 Mitglieder.

So ist es verständlich, dass die Synagoge in der Querstraße nicht mehr ausreichte und eine geräumigere gebaut werden musste. 1838 wurde mit der Planung der dritten Synagoge an der Ecke Rehstraße-Neustraße begonnen. 1842 war sie fertiggestellt.

Moses Levy, der bedeutende Talmudgelehrte, war damals schon Mittelpunkt und treibende Kraft des jüdischen Lebens in Merzig. Ihm war es gelungen, die Gemeinde von der Notwendigkeit des Neubaus zu überzeugen.

Die "neue prachtvolle und würdige Synagoge" konnte am 21. und 22. Juli eingeweiht werden. Eingeladen war die gesamte Bevölkerung, gleich welcher Konfession. Nach der Predigt des Oberrabbiners Kahn aus Trier folgte die Ansprache von Moses Levy. "Seine mit aller Liebe und Herzlichkeit eines treuen Seelsorgers gesprochenen (...) und tief ergreifenden Worte, in welchen man den edlen und biederen Charakter des Mannes so ganz erkennen konnte, verherrlichten in der Tat die Feier", heißt es in einem Bericht der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 10. September 1842. Nach den Predigten sang der Chor ein von Levy verfasstes hebräisches Lied und seine deutsche Übertragung. "Das hiernach vom Vorsänger rezitierte Gebet für König und Vaterland, für Staat und Obrigkeit, sowie für die Gemeinde und die ganze Versammlung, in dessen Amen alle Anwesenden ohne Unterschied des Glaubens mit einstimmten (...), schloss die eigentliche Einweihung (...), welcher dann sogleich die Sabbatfeier in gewöhnlicher Art folgte." Zwölf Jahre später, 1854, konnte eine eigene Synagoge für Brotdorf eingeweiht werden. Etwa zu dieser Zeit dürfte auch der Bau der Synagoge in Hilbringen erfolgt sein.

Juden und Christen lebten in Merzig einträchtig zusammen, und jüdisches Leben gehörte zu Merzig und seiner Geschichte, bis 1938 dann das Ungeheuerliche geschah: In der Nacht vom 9. auf den 10. November brannten, angeblich als Ausdruck des Volkszorns, in Deutschland über 200 Synagogen, darunter auch die von Brotdorf und Merzig. 7500 Geschäfte und Wohnungen wurden verwüstet, rund 20 000 jüdische Mitbürger verhaftet, einige totgeschlagen, die meisten in Konzentrationslager verschleppt.

Die Merziger Synagoge, die 100 Jahre nach Baubeginn, am 10. November, dem Tag nach der Pogromnacht, ausbrannte, war ein schlichtes Gotteshaus, die Wände nur belebt durch hohe Fenster, die Fassade klassizistisch klar gegliedert mit Eckquaderung als Bauschmuck. Daneben, innerhalb der Mauerumfriedung, stand, getrennt von einem schmalen baumbestandenen Hofstück, das Schulhaus mit der Wohnung des Lehrers und Kantors. Von einem kleinen Vorraum aus gelangte man ins Innere der Synagoge. Diese hatte bei der Renovierung 1921/22 besonders eindrucksvolle expressionistische Malereien erhalten "ein Farbwunder von Blau, Rot und Gelb", wie es in einem zeitgenössischen Bericht heißt.

Anlass der Renovierung war das für Juni 1922 anstehende 75-jährige Jubiläum des Merziger Synagogenchores. Mit der Ausmalung betraute man den Trierer Künstler Max Lazarus, dessen Bruder Ernst, Gertrude Kahn geheiratet hatte und in Merzig lebte. "Max Lazarus gestaltete auch den Entwurf für die 10 Fenster: In verschiedenen Blautönen gehaltene, teilweise rot geränderte Wolken, die sich im oberen Teil des Fensters öffnen und den Blick freigeben auf einen strahlenumkränzten Davidstern vor einem feurig orange-roten Hintergrund" (Bärbel Schulte).

Der Brand jener Nacht hat all dies zerstört. Das Grundstück mit der Ruine der Synagoge und das Lehrerhaus wurden im Juli 1939 von der Stadt Merzig für einen Kaufpreis von 11 000 Reichsmark erworben. Desgleichen auch die Grundstücke des jüdischen Friedhofs an der Blätsch. Die Gräber waren verwüstet, die Grabsteine umgestürzt und zerstört, auch der von Reb Mosche Merzig.

Bald nach dem Kriege begannen die Verhandlungen mit der Synagogengemeinde Saar wegen der Rückübertragung der Grundstücke. Im April 1949 wurde ein Vergleich geschlossen. Die Stadt Merzig verpflichtete sich, den jüdischen Friedhof und den daran anschließenden Garten der Synagogengemeinde unentgeltlich zu Eigentum herauszugeben.

Ferner übernahm sie es, alle erkenn-baren Grabsteine wieder aufzustellen und die übrigen in den rückwärtigen Ecken des Friedhofs zu lagern.

Der Sockel des ehemaligen Kreiskriegerdenkmals, das seit 1899 über 20 Jahre, nahe der Heilig-Kreuz-Kapelle, gestanden hatte, wurde als Gedenkstein mit hebräischer und deutscher Inschrift für die verstorbenen Mitglieder der jüdischen Kultusgemeinde Merzig im oberen Teil des Friedhofs aufgestellt: "Unseren in dieser Erde ruhenden Brüdern und Schwestern zur ehrenden Erinnerung."

Der Stein, der früher die mächtige Bronzefigur eines stürmenden Kriegers, den entblößten Säbel in der Rechten, die geraffte Fahne in der Linken, getragen hatte, wurde damit in sinnvoller Weise zu einem Denkmal der Mahnung und Erinnerung an die hier ruhenden jüdischen Mitbürger und die "glaubenstreuen Menschen, die roher Gewalt erlagen", umgestaltet.

Seine bronzenen Teile waren schon im Ersten Weltkrieg eingeschmolzen und Teil einer Kanone geworden. Bis Mitte der 20er Jahre des letzten Jahrhunderts stand der "kriegerlose Stein" noch an seinem Platz. Dann wurde er abgeräumt und im Bauhof gelagert, bis er nach dem Zweiten Weltkrieg seine neue Verwendung fand.

Ende 1961 wurde auf dem Grundstück des Schul- und Lehrerhauses von der Stadt Merzig in Absprache mit der Synagogengemeinde Saar ein Kinder-spielplatz angelegt und auf dem Gelände der Synagoge ein Gedenkstein errichtet, der folgenden Text trägt: "Hier stand das im November 1938 beschädigte und im November 1944 zerstörte ehrwürdige Gotteshaus der israelitischen Gemeinde Merzig."

Zwar wurde der Text des Gedenksteines seinerzeit mit der Synagogengemeinde abgestimmt, aber die wenigen Merziger Juden, die nach dem Krieg ins Saarland zurückgekehrt waren, konnten die Aussage der Inschrift nicht richtig stellen, da sie zum Zeitpunkt der Ereignisse vertrieben waren und deshalb das weitere Schicksal der Synagogenruine nicht miterlebt hatten.

Die Synagoge brannte in der Pogromnacht aus; ihr (danach abgestütztes) Gemäuer wurde etwa zwei Jahre später, also 1940/41, abgerissen. Die Zerstörung des Gotteshauses kann deshalb nicht Kriegseinwirkungen zugeschrieben werden. Während der Kriegsjahre befand sich eine Holzbaracke auf dem Grundstück der Synagoge, die als Kindertagesstätte oder Kindergarten diente. Das daneben stehende Schul- und Kantorhaus wurde ein Opfer der alliierten Bombenangriffe vom November 1944.

Die irreführende Inschrift des Synagogengedenksteins wurde als Dokument belassen, aber auf der Rückseite am 30. März 2005 korrigiert. Dort steht: "Die Synagoge wurde in der Pogromnacht im November 1938 zerstört und die Ruine später abgerissen. Das Haus des Kantors fiel einem Bombenangriff im November 1944 zum Opfer."

Die Rehstraße, in der das letzte jüdische Gotteshaus gestanden hat, ist anlässlich der Neugestaltung der Synagogengedenkstätte Ende 1976 in Synagogenstraße umbenannt worden. (Quelle: Reb Mosche Merzig und die jüdische Geschichte der Stadt, Merzig 2011)

"Unseren in dieser Erde ruhenden Brüdern und Schwestern zur ehrenden Erinnerung."

 Die Ruine der Synagoge 1939/40 von der Rehstraße (heute Synagogenstraße) aus gesehen. Foto: Archiv

Die Ruine der Synagoge 1939/40 von der Rehstraße (heute Synagogenstraße) aus gesehen. Foto: Archiv

Gedenkstein für verstorbene Mitglieder der jüdischen Kultusgemeinde Merzig im oberen Teil des Friedhofs

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