Interview mit Pädagogin Charis Förster Auch die Jüngsten sollen mitentscheiden

Saarbrücken · Die Saarbrücker Pädagogik-Professorin über demokratische Teilhabe in Kitas und die Chancen der Frankreichstrategie.

  Sprachliche und kommunikative Kompetenz ist die Basis von Entwicklung und Bildung (Symbolbild).

 Sprachliche und kommunikative Kompetenz ist die Basis von Entwicklung und Bildung (Symbolbild).

Foto: picture-alliance/ dpa/Karl-Josef Hildenbrand

Wie Kinder schon früh demokratische Teilhabe erleben – das war Thema einer Saarbrücker Fachtagung des Saarländischen Bildungsministeriums, der HTW Saar und der Landeszentrale für politische Bildung. Am Rande der Tagung haben wir mit Charis Förster gesprochen, HTW-Professorin für Theorie, Praxis und Empirie der Pädagogik.

Wie kann demokratische Teilhabe schon in der Kita funktionieren? Haben Sie konkrete Beispiele?

FÖRSTER Zum einen sind es besondere Formate, die entsprechend unserer gesellschaftspolitischen Formate in die Kita übertragen werden. Dazu gehören zum Beispiel die Kinderkonferenzen, die von Kindern geleitet und in denen Themen der Kinder diskutiert werden. Gerade eben hat eine Berliner Kita eine Demonstration angemeldet, um auf ihre Anliegen aufmerksam zu machen. Es gibt aber viele andere alltägliche Verhaltensweisen von Eltern, Erziehungsberechtigten und professionellen Fachkräften, die signalisieren, dass die Kinder einbezogen werden. Häufig wird dies besonders durch Sprache begleitet. Eigenes Verhalten wird erklärt und kommuniziert – sehr gut zu sehen bei der Essenssituation und beim Wickeln. Werden Kinder aktiv und altersangemessen einbezogen? Werden kindliche Signale wahrgenommen und wird darauf entsprechend reagiert? Diese Grunderfahren geben schon den Jüngsten die Sicherheit, dass sie gehört werden, mitentscheiden können und Einfluss haben.

Differenzsensibilität heißt ein wichtiges Stichwort...

FÖRSTER Ich würde Differenzsensibilität als eine Einstellung bezeichnen, die bewusst darauf ausgerichtet ist, dass meine Perspektive, meine soziale Wirklichkeit, ich als Person nur eine Sichtweise, eine Realität ist. Unsere Gesellschaft ist geprägt durch Heterogenität und vielfältige Unterschiede. Dies wahrzunehmen und Andersartigkeit/Anderssein als soziale Dimension zu akzeptieren und anzuerkennen (sofern sie nicht gegen die grundsätzlichen Menschenrechte verstoßen) ist ein wichtiger Meilenstein in der differenzsensiblen Haltung. Wirklichkeiten werden immer sozial konstruiert. Interessant ist, welche Heterogenitäts-Dimensionen im Vordergrund stehen und welchen Stellenwert Gemeinsamkeiten und Unterschiede haben. Ist es die religiöse, kulturelle oder regionale Diversität? Sind es Dimensionen, die die unterschiedlichen Kapitale nach Bourdieu zugrunde legen? Sind es geschlechtsspezifische Themen oder die sexuelle Ausrichtung? Werden Unterschiede zur Ab- und Ausgrenzung verwendet oder als Chance genutzt?

Was kann man Kindern in welchem Alter schon zutrauen und zumuten?

FÖRSTER Sehr junge Kinder sind zunächst noch nicht in der Lage, andere Perspektiven außer die eigene zu berücksichtigen. Erst mit 3-4 Jahren können sie diese komplexe kognitive Leistung vollziehen. Nichtsdestotrotz werden Kinder in ihren Familien, in Krippen, Kindergärten sozialisiert. Sie nehmen bewusst und unbewusst Zusammenhänge wahr, die sie erleben und orientieren sich daran. Führen Unterschiede vor allem zur Ausgrenzung. Wird dies akzeptiert oder auch ignoriert, lernt das Kind: So ist es okay – so mache ich es auch.

Die Tagung legt einen Schwerpunkt auf Sprache als Basis für Teilhabe. Aus Ihrer empirischen Forschung: Wie weit sind die Kitas hier?

FÖRSTER Unsere Gesellschaft ist auf Kommunikation ausgerichtet. Dabei spielt die sprachliche Interaktion eine besondere Rolle. Aber nicht nur Worte sind zentral, sondern auch die Art und Weise, wie gesprochen wird und welche nonverbalen Signale die wörtliche Sprache begleiten. Im letzten Jahr wurde das aktualisierte Bildungsprogramm für saarländische Krippen und Kindergärten veröffentlicht. Dort wird die Bedeutung der sprachlichen und kommunikativen Kompetenz in besonderer Weise herausgearbeitet – als eine wesentliche Grundlage für Bildungs- und Entwicklungsprozesse.

Wie bewerten Sie in diesem Zusammenhang die Umsetzung der Frankreichstrategie in den Kitas?

FÖRSTER Das Saarland ist Spitzenreiter in der bilingualen Bildung in Kindertagesstätten. In etwa der Hälfte der Einrichtungen sind französische Fachkräfte tätig. Dies ist eine große Chance für die Region, die noch stärker im schulischen Kontext gefördert werden sollte. Es ist bedauerlich, dass die frühe Begeisterung für Frankreich und die französische Sprache bei vielen Jugendlichen in den weiterführenden Schulen deutlich nachlässt.

         HTW-Professorin Charis Förster  Foto: Oliver Dietze

HTW-Professorin Charis Förster Foto: Oliver Dietze

Foto: Oliver Dietze

Findet in unseren Kitas genügend Sprachförderung statt, sowohl für Kinder mit Deutsch als Erstsprache als auch für Kinder mit einer anderen Erstsprache? Gibt es Verbesserungsvorschläge?

FÖRSTER In der Kindheitspädagogik wird eher der Begriff Sprachbildung verwendet. Sprachförderung richtet sich eher auf krankhafte Defizite im Spracherwerb. Das bundesweite Projekt zur alltagsintegrierten Sprachbildung sensibilisiert die Fachkräfte, Sprache bewusst bei allen Aktivitäten und Handlungen einzusetzen. Haben die Kinder die Möglichkeit, die Sprache regelmäßig zu erleben und zu verwenden, erlernen sie diese fast nebenbei – zumindest in der frühen Kindheit. Fehlende Sprachkompetenz der deutschen Sprache ist häufig ein Indiz dafür, dass kaum soziale Kontakte zu Muttersprachlern bestehen.

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