Interview mit Anja Wagner-Scheid (CDU) „Der Schutz ungeborenen Lebens steht für mich an erster Stelle“

Union und SPD haben sich auf einen Kompromiss zum Werbeverbot für Abtreibungen geeinigt. Anja Wagner-Scheid, Landesvorsitzende der Frauenunion, begrüßt die Einigung. Eine Abschaffung des Paragrafen 219a, wie die SPD es fordert, lehnt sie strikt ab.

 Anja Wagner-Scheid, Landesvorsitzende der Frauenunion

Anja Wagner-Scheid, Landesvorsitzende der Frauenunion

Foto: Wagner-Scheid/Studioline

Die Vorsitzende der Frauenunion im Saarland, Anja Wagner-Scheid, hält es für wichtig, dass künftig genau definiert wird, wo Information aufhört und wo Werbung anfängt.

Frau Wagner-Scheid, wie schätzen Sie den Kompromiss ein?

WAGNER-SCHEID Der Schutz ungeborenen Lebens steht für mich an erster Stelle. Der Kompromiss sieht vor, dass es bei dem Werbeverbot bleibt, aber im Paragraf 219a konkretisiert wird, was Werbung ist und was Information. Meiner Meinung nach muss informiert werden dürfen, damit Frauen wissen, wo sie im Fall der Fälle einen Abbruch vornehmen können.

Die Ärztin Kristina Hänel hat ihn bereits als Nullnummer bezeichnet. War der Kompromiss reiner politischer Aktionismus?

WAGNER-SCHEID Der Kompromiss sieht vor, dass der Aspekt der Information stärker herausgearbeitet werden soll. Das heißt, zum Beispiel die Bundesärztekammer oder die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung werden beauftragt, Informationen darüber zur Verfügung zu stellen, welche Ärzte und welche Krankenhäuser in einem Bundesland einen Abbruch vornehmen.

Die Union ist gegen eine Abschaffung des Paragrafen 219a. Warum?

WAGNER-SCHEID Ich bin der Überzeugung, wenn wir ihn abschaffen, könnten auch die weiteren Regelungen in Paragraf 218 zu einem Schwangerschaftsabbruch und 219 zur Beratung der Schwangeren in einer Not- und Konfliktlage in Frage gestellt werden. Für mich hängen die beiden eng zusammen. Der Schutz ungeborenen Lebens steht für mich an vorderster Stelle.

Warum hängen die zusammen? Paragraf 218 würde doch nicht automatisch abgeschafft, wenn Paragraf 219a wegfiele?

WAGNER-SCHEID Das Werbeverbot in Paragraf 219a besagt, dass für Abbrüche nicht geworben werden darf: Ein Abbruch ist keine normale ärztliche Dienstleistung, sondern die Ultima Ratio in einer ganz schwierigen Notlage einer Frau. Die beiden Paragrafen 218 und 219 gehören für mich zusammen, und ich bin der tiefsten Überzeugung, dass man nicht für Abbrüche werben darf.

Macht man es mit der Beibehaltung von 219a Frauen, die ohnehin in einer Notlage sind, nicht noch schwerer, sich zu informieren?

WAGNER-SCHEID Nein. Die Frauen haben schon heute die Möglichkeit, sich zu informieren. Es gibt im Saarland in allen Landkreisen und im Regionalverband Saarbrücken 18 anerkannte Beratungsstellen unterschiedlichster Träger. Dort können die Frauen über ihre Lage sprechen und abwägen, was das Richtige ist. Sie erhalten zum Beispiel Informationen über ihre Rechtsansprüche und über mögliche praktische Hilfen, die die Fortsetzung der Schwangerschaft und die Lage von Mutter und Kind erleichtern. Die Frauen erfahren auch, wo ein Schwangerschaftsabbruch möglich ist und wie ein solcher konkret abläuft. Ein Schwangerschaftsabbruch ist eine Entscheidung, die sich keine Frau leicht macht. Ich habe mit Frauen gesprochen, die einen Abbruch vorgenommen haben. Sie haben sich danach in ihrem Leben immer wieder die Frage gestellt, ob es der richtige Schritt war. Deshalb sind Profis an der Stelle auch sehr wichtig.

Aber Ärzte sind doch Profis, die informieren können.

WAGNER-SCHEID Aber im Paragraf 218 ist bewusst eine Trennung zwischen der Beratung in einer anerkannten Beratungsstelle und dem Arzt, der den Abbruch vornimmt, festgelegt. Ich denke, es ist gut, wenn es zwei verschiedene Personen sind. Die Beraterinnen in den anerkannten Schwangerschaftsberatungsstellen sind in der Regel Psychologinnen oder Sozialarbeiterinnen, die sehr gut auf die Frauen eingehen können, sich viel Zeit nehmen, um mit den Frauen gemeinsam abzuwägen, ob es nicht eine andere Möglichkeit gibt, etwa das Kind zur Adoption freizugeben, statt das werdende Kind im eigenen Bauch töten zu lassen.

Sind Sie generell gegen Abtreibungen?

WAGNER-SCHEID Ich bin der Meinung, dass Abtreibungen möglich sein müssen, wenn eine Frau zum Beispiel vergewaltigt wurde oder durch die Schwangerschaft so ernste medizinische Schwierigkeiten kriegen könnte, dass ihr eigenes Leben gefährdet ist. Das sind zwei Fälle, in denen Abtreibungen für mich akzeptabel sind.

Und in anderen Fällen nicht?

WAGNER-SCHEID An welche Fälle denken Sie?

Zum Beispiel an Frauen, die sich in einer Lebenssituation befinden, in der sie sich nicht vorstellen können, ein Kind alleine großzuziehen.

WAGNER-SCHEID In so einem Fall kann ich mir auch vorstellen, dass eine Frau diesen Weg geht, wenn sie eine Beratung absolviert hat und nach der Beratung noch der Meinung ist, sie will die Schwangerschaft abbrechen. Für mich – auch als Mutter – ist der Schutz des ungeborenen Lebens sehr wichtig.

Interview mit Josephine Ortleb (SPD)

„Mich stört das Frauenbild, das dahintersteht“

Union und SPD im Bund haben sich auf eine Reform des Werbeverbots für Abtreibungen geeinigt. Josephine Ortleb (SPD) sieht mindestens einen Punkt dabei kritisch.

Die saarländische SPD-Bundestagsabgeordnete Josephine Ortleb ist froh, dass nun endlich ein Eckpunktepapier vorliegt, hält aber eine Streichung des Paragrafen 219a, der Werbung für Schwangerschaftsabbrüche verbietet, immer noch für den besten Weg.

Frau Ortleb, die Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Frauen, der Sie auch angehören, hat erklärt, dem Kompromiss niemals zustimmen zu können. Wie sehen Sie das?

ORTLEB Für mich ist vollkommen klar, dass der Kompromiss nicht das endgültige Ergebnis ist. Wir haben noch keinen Gesetzestext vorliegen. Wir haben Bedingungen formuliert: Rechtssicherheit für Ärztinnen und Ärzte, ein Informationsrecht für Frauen, die in Not sind, und dass sich ein Fall wie Kristina Hänel nicht wiederholen darf. Das sind für mich die Kriterien, nach denen ich den Gesetzestext beurteilen werde. Im Moment ist es noch nicht möglich, eine Aussage zu treffen, wobei man auch klar sagen muss, dass eine Streichung des Paragrafen 219a immer noch der beste Weg wäre.

Also tragen Sie die Stellungnahme der ASF nicht mit?

ORTLEB Ich muss ehrlich sagen, dass ich sie nicht Wort für Wort kenne, von daher bleibe ich bei dem, was ich gesagt habe: Das Eckpunktepapier ist ein Schritt in die richtige Richtung, weil wir jetzt erstmals etwas vorliegen haben. Es gibt für mich aber einen Punkt, den ich schon jetzt kritisch sehe. In dem Papier steht, dass es eine weitere Studie geben soll, wie sich Schwangerschaftsabbrüche auf Frauen auswirken. Das ist so formuliert, dass es suggeriert, ein Abbruch würde zu seelischen Schäden führen. Das ist ein komischer Duktus, und das stört mich doch sehr.

Das Wort „Werbung“ wird beibehalten. Daran stört sich die ASF besonders, da es unterstelle, „Frauen würden sich zur Abtreibung locken lassen, weil sie gerade nichts anderes zu tun hätten“.

ORTLEB Das hat mich von Anfang an in der ganzen Debatte massiv gestört: das Frauenbild, das dahintersteht. Denn es wird suggeriert, dass sich eine Frau von einem nett designten Plakat im Bus in ihrer Entscheidung, ob sie ein Kind kriegt oder nicht, beeinflussen lassen würde.

Die SPD konnte nicht durchsetzen, dass 219a abgeschafft wird. Eine Niederlage gegenüber der Union?

ORTLEB Wenn man sich in einer Koalition befindet, muss man in der Regel Kompromisse finden. Uns war bewusst, dass mit der CDU keine Streichung möglich ist. Ich muss aber nochmal betonen, dass das immer noch SPD- Linie ist, dass die Streichung der beste Weg wäre. Deshalb erwarte ich, dass sich der Koalitionspartner bewegt, um eine ordentliche Lösung für das Informationsrecht der Frauen und die Rechtssicherheit von Ärztinnen und Ärzten zu schaffen.

Die Gegner einer Streichung argumentieren, dass dann auch andere als nur Ärzte für Schwangerschaftsabbrüche werben könnten.

ORTLEB Ärztinnen und Ärzten ist es schon durch ihren Berufsstand nicht erlaubt, für solche Dienstleistungen zu werben. Es ist absurd, davon auszugehen, dass durch die Streichung Werbung in Bussen oder Bahnen hängen würde.

Aber es könnten auch Organisationen dafür werben.

ORTLEB Natürlich. Ich frage mich nur, wer das sein sollte? Auch die Beratungsstellen gehen mit dem Thema, genauso wie die Ärztinnen und Ärzte, sensibel und verantwortungsbewusst um.

Ein weiteres Argument der Gegner ist, dass sich Frauen auch heute schon informieren können, bei Behörden und Beratungsstellen.

ORTLEB Als der Kompromiss rund um die Paragrafen 219a und 218 gefunden wurde, gab es das Internet noch nicht in der Form wie wir es heute kennen. Frauen, die sich in einer Notlage befinden, werden wahrscheinlich zuerst einmal googlen. Wenn ich das tue, bekomme ich zahlreiche Treffer, aber das sind Informationen von den unterschiedlichsten Interessenvertretern. Frauen, die die Beratungsstellen nicht kennen, finden sich da vielleicht gar nicht zurecht. Deshalb sagen wir, wir brauchen objektive, neutrale und sachliche Informationen.

Die Jusos fordern, die Paragrafen 218 und 219 abzuschaffen, Abtreibungen also zu legalisieren. Unterstützen Sie das?

ORTLEB Was mich sehr stört, ist, dass überall behauptet wird, die Jusos würden fordern, dass man bis zum neunten Monat abtreiben darf. Das ist so einfach nicht beschlossen worden. Der Beschluss lautet, eine neue Regelung zu finden, in der Schwangerschaftsabbrüche nicht mehr im Strafgesetzbuch geregelt werden, in der Frauen nicht mehr kriminalisiert werden. Ich finde trotzdem, dass es wichtig ist, für einen Abbruch Fristen festzulegen, und das wurde in dem Juso-Beschluss sehr offen gelassen.

Wie geht es jetzt mit dem Kompromiss weiter?

ORTLEB Der Gesetzestext wird voraussichtlich im Januar vorliegen, dann müssen wir ihn bewerten und uns beraten, ob er ausreicht. Wenn das nicht so ist, dann stehen wir klar zum SPD-Parteitagsbeschluss, der besagt, dass dann die Abstimmung im Bundestag freigegeben werden muss.

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