Hüterin und Anwältin der Mundart ist tot

Saarbrücken · Ihr Lebensstoff, sagte sie, reiche für drei Biografien: Die Saarbrückerin Edith Braun war Sprachwissenschaftlerin, Autorin, SR-Moderatorin – zugleich die bekannteste Dialekt-Expertin des Landes. 20 Jahre lang leuchtete sie in der SZ-Mundart-Kolumne tief hinein in die saarländische Seele.

 Edith Braun Anfang des Jahres in ihrer Wohnung in Dudweiler. Foto: Oliver Dietze

Edith Braun Anfang des Jahres in ihrer Wohnung in Dudweiler. Foto: Oliver Dietze

Foto: Oliver Dietze

Eines ihrer Lieblings-Sprichwörter stellte Edith Braun ans Ende ihres letzten SZ-Mundart-Beitrags, das war im Juli diesen Jahres: "Musche dann iwwerall de Owwerlaffòòds sinn!" - Musst du denn überall die Hauptperson sein! Nein, das musste Edith Braun nicht. Aber sie war es nun mal, wenn es um die saarländische Mundart ging. Wenn man sie die "Mundart-Päpstin" nannte, winkte sie zwar ab. Andererseits war Braun selbstbewusst genug, um sich Stolz zu leisten auf das, was sie sich erarbeitet hatte: wissenschaftliche Kompetenz, intellektuelle Autorität und finanzielle Freiheit. Und das, obwohl Braun ihre Berufs- und Bildungskarriere erst starten konnte, nachdem sie bereits ihr erstes Leben als Hausfrau und Mutter am Saarbrücker Rotenbühl hinter sich hatte. Das Malstatter Mädchen mit Abitur, machte erst mit 55 das Übersetzer-Diplom, studierte danach Germanistik, Phonetik und Slawistik und hängte - sie war 67 - ihren Doktor an.

Doch bereits seit 1981, seit ihrer Mitarbeit am "Saarbrücker Wörterbuch", das sie zusammen mit ihrem späteren Lebensgefährten Professor Max Mangold verfasste, war klar, was ihr eigentliches Lebensthema werden sollte: die saarländische Mundart . Letztere war mehr als ein Forschungs-Objekt, es war ihre große Liebe, für deren Gleichberechtigung und Anerkennung als Literatursprache sie stritt. Den "Struwwelpeter" und "Max und Moritz" übersetzte Braun in den Saar-Dialekt. Freilich hatte Brauns bewundernder Respekt vor dem Mutterwitz und der Treffsicherheit dialektalen Sprechens überhaupt nichts zu tun mit Saar-Folklore oder mit Heimattümelei. Braun erforschte nun mal viele Dialekte und hielt alle, eben auch die hiesige Mundart , für eine "Quelle der Volksweisheit". Aus dieser Hochschätzung entwickelte sich zwangsläufig eine Art "Gralshüterinnen"-Status: Braun bestand auf einer lautgerechten Schreibung des Saarländischen nach den Regeln des phonetischen Lehrbuchs, was nicht bei allen Mundart-Autoren Begeisterung auslöste.

Trotzdem eroberte sich Edith Braun einen festen Platz im Herzen vieler Saarländer. Insbesondere durch die "Mundart-Werkstatt" der SR 3 Saarlandwelle wurde sie Anfang der 90er Jahre zu einer populären Figur. Ende der 90er startete sie dann die Mundart-Kolumne der SZ, in der sie Fragen der Leser zur Herkunft von Redewendungen, zu Schreibweisen und etymologischen Zusammenhängen beantwortete.

Aus heutiger Warte mag das Beenden der Kolumne so kurz vor Edith Brauns 95. Geburtstag im August als Präjudiz gesehen werden, dass sie das Schwinden ihrer Lebenskräfte spürte. Tatsächlich litt die vitale, resolute, bis zuletzt reisefreudige und glasklar argumentierende Braun zunehmend unter gesundheitlichen Einschränkungen, insbesondere das Gehen fiel ihr schwer. Auch hatte sie einen schweren Sommer mit Herzproblemen hinter sich. Zugleich arbeitete sie weiter an einem Buch, ihrer zweiten Biografie nach "In Alters Frische. Erlebtes und Erdichtetes aus neun Jahrzehnten meines Lebens" (2015). Der Titel: "Mein drittes Leben".

 Saarländisch kann alles, auch Comics wie Asterix funktionieren – Foto von Edith Braun aus dem Jahr 2000. Foto: B&B

Saarländisch kann alles, auch Comics wie Asterix funktionieren – Foto von Edith Braun aus dem Jahr 2000. Foto: B&B

Foto: B&B

Denn Braun hatte, wie sie selbst meinte, nun mal mehr als ein Leben. Bis kurz vor einer akuten Verschlechterung vor einigen Tagen, die sie ins Krankenhaus zwang, lebte Braun allein in ihrer Dudweiler Penthouse-Wohnung. "Sie wird eine Lücke hinterlassen" - in Edith Brauns Fall ist diese Formulierung doppelt erlaubt. Denn sie hielt Redensarten nicht für abgedroschen, sondern für ein Kondensat kollektiver Lebenserfahrung. Zudem dürfte die hiesige "Muddasproach" kaum je wieder eine Anwältin wie sie finden, eine, die ebenso viel Herz wie Kenntnisse mitbringt.

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