Zu viele Autos VCD will Verkehrswende für St. Ingbert

St. Ingbert · Der Verkehrsclub Deutschland (VCD) hat eine Verkehrsanalyse für St. Ingbert mit einer deutschlandweiten Studie verglichen. Das Ergebnis fällt nicht schmeichelhaft aus.

 Die Kohlenstraße in St. Ingbert ist eine der meist befahrenen Straßen in der Mittelstadt.

Die Kohlenstraße in St. Ingbert ist eine der meist befahrenen Straßen in der Mittelstadt.

Foto: Manfred Schetting

St. Ingbert ist eine Autostadt. Glaubt man den Ausführungen von Werner-Matthias Ried, seines Zeichens stellvertretender Landesvorsitzender des Verkehrsclub Deutschland (VCD), hält die Stadt gar einen „traurigen Weltrekord“: Nirgendwo sonst gebe es eine derart hohe Autodichte wie hierzulande, so Ried. Auf 1000 Einwohner kommen 842 Fahrzeuge. Das legt eine Haushaltsbefragung der Stadt St. Ingbert aus dem Jahr 2018 nahe. Zum Vergleich: im autofreundlichen Saarland insgesamt kommen auf 1000 Einwohner 741 Fahrzeuge, deutschlandweit sogar nur 527.

Die Befragung wurde bereits im vergangenen Sommer von der Planersocietät Dortmund durchgeführt. Die Ergebnisse wurden am 13. Februar dieses Jahres im Rathaus vorgestellt. 1250 Personen aus 570 Haushalten haben Einblicke in ihr Mobilitätsverhalten gewährt, Fahrtenbuch geführt und Fragen rund um das Thema Fortbewegung beantwortet. Herausgekommen ist unter anderem die Erkenntnis, dass ganze 72 Prozent aller Wegstrecken mit dem Auto zurückgelegt werden. Lediglich fünf Prozent aller Wege werden mit dem Nahverkehr bestritten, ebenso viele mit dem Rad. Entfernungen bis zu zwei Kilometern legt die Mehrheit (57 Prozent) zu Fuß zurück, am gesamten Wegeverhalten macht das 17 Prozent aus. Immer noch 33 Prozent der Kurzstrecken fahren die St. Ingberter aber mit dem Auto. So weit die nackten Zahlen.

Der VCD hat nun eine Gegenüberstellung der St. Ingberter Untersuchung und der bereits 2017 durchgeführten Studie „Mobilität in Deutschland“ durchgeführt. Es sei gut, dass „die Stadt ein renommiertes Büro mit der Studie beauftragt hat, in der Gegenüberstellung mit anderen Städten ist das Ergebnis aber verheerend“, sagt Ried. Denn: in Mittelstädten vergleichbarer Größe legen die Menschen nur 61 Prozent der täglichen Wege per Auto zurück: Unterm Strich also satte elf Prozent mehr Autoverkehr in St. Ingbert – auch bei Kurzstrecken unter zwei Kilometern. So ist es nicht verwunderlich, dass gut ein Fünftel der Haushalte angegeben haben, über drei oder mehr Fahrzeuge zu verfügen.

Auch in Sachen Nahverkehr hinkt St. Ingbert hinterher. Lediglich fünf Prozent der Befragten gaben an, den ÖPNV regelmäßig zu nutzen. Andere Mittelstädte kommen hier auf acht Prozent, Gesamtdeutschland sogar auf zehn. Auf das Fahrrad greifen nur fünf Prozent der St. Ingberter regelmäßig zurück, andernorts tun das zehn Prozent, deutschlandweit sogar elf. „Eigentlich ist in St. Ingbert jeder Ort gut mit dem Rad zu erreichen, ein Großteil des Siedlungsbereichs liegt im Tal“, sagt Ried. „Als Radfahrer fühlt man sich hier aber nicht wohl, da die wenigen alibimäßig angelegten Radwege nicht sehr einladend sind.“

All das führt Ried auf eine verfehlte Stadtentwicklung und -planung zurück und unterstellt den Verantwortlichen „fachlich nicht qualifiziert“ zu sein. „Wenn jemand in der Stadtverwaltung an Verkehr denkt, denkt er automatisch an Autoverkehr“, sagt Ried. Man könne das an der gesamten Infrastruktur der Stadt sehen, die ausschließlich auf den Kfz-Verkehr ausgerichtet sei und zum Teil „extreme Proportionierungen“ aufweise.

Als Beispiel nennt Ried die „Verampelung“ in der teils zweispurigen Kohlenstraße. Die Häufung der Lichtzeichenanlagen erzeugten einen „gewollten Großstadteffekt“ und seien für Rad- wie für Autofahrer entnervend. Ebenfalls störend sei „die Dominanz des ruhenden Verkehrs“ in der Stadt. Dort werden nahezu überall kostenlose Parkmöglichkeiten geboten. Von knapp 2000 zur Verfügung stehenden Plätzen, sind fast 1800 kostenfrei. Laut Ried sei dies ein Zeichen für eine „stille Subventionierung“ der Parkflächen. „Das Geld wird an anderer Stelle abgezapft und dort reingesteckt.“

Dies wirke sich auch auf die Aufenthaltsqualität in der Innenstadt aus, worunter auch ortsansässige Gewerbe zu leiden hätten. „Der Ausbau von Fußgängerbereichen und von Radwegen wäre für eine allgemeine Stadtentwicklung positiv und nebenbei auch noch für die Gesundheit gut“, sagt Ried.

Dafür müsse aber noch einiges getan werden. Unter anderem mangele es an Aufklärung in der Bevölkerung, die über „alternative Mobilitätsangebote“ nur unzureichend informiert sei. Aus der oben angeführten Studie zur Verkehrssituation in St. Ingbert geht hervor, dass 45 Prozent der Befragten den Begriff „Anruf-Sammeltaxi“ nicht kennen, ganze 47 Prozent können mit dem Begriff des „Car-Sharing“ nichts anfangen und ein knappes Drittel hat noch nie etwas von „Bike-Sharing“ gehört.

Um an der Gesamtsituation etwas zu ändern hat der VCD Anfang März sogenannte „Wahlprüfsteine“ an die im Stadtrat vertretenen Fraktionen gesandt. Darin thematisiert der Verkehrsclub die Fragen, die sich aus der Verkehrsanalyse St. Ingbert 2019 ergeben. Der erste Satz lautet: „Stellen Sie sich vor, ihre Partei hat nach den Kommunalwahlen eine Mehrheit im Stadtrat oder ist an einer Mehrheit beteiligt, was würden Sie tun?“

Die Antwort sind die Fraktionen bisher schuldig geblieben.

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