Internationaler Kinderbuchtag Mit Büchern die Welt lesen lernen

Der Internationale Kinderbuchtag erinnert Erwachsene an ihre ersten Lektüren. Aber worin liegt der Reiz dieser Bücher? Eine Recherche in der St. Ingberter Stadtbücherei.

 Einmal im Monat bietet Maria Lang in der Stadtbücherei ihr Bilderbuchkino für Kinder an.

Einmal im Monat bietet Maria Lang in der Stadtbücherei ihr Bilderbuchkino für Kinder an.

Foto: Tobias Fuchs

Da ist es wieder. Dieses Wort. Auf die Kinder wirkt es wie ein Zauber. Eben saßen sie noch still auf ihren kleinen roten Stühlen. Jetzt breitet sich in der Reihe vor Maria Lang merklich Unruhe aus. Als ob sie die Kleinen mit diesen zwei Silben kitzele. „Wa–rum“, liest Lang vor. Warum sei das allerschönste Wort der Welt. Lang blickt auf. Ein Junge sagt: „Ich frage mich auch immer ganz viele Sachen.“

Ein Nachmittag in der Stadtbücherei. Mitten in der Fußgängerzone von St. Ingbert. Wie Straßenzüge führen lange Bücherregale durch den Raum, die obere Etage eines früheren Kaufhauses. Die öffentliche Bibliothek soll ein „Aufenthaltsort ohne Konsumzwang“ sein, sagt Karin Mostashiri, die Leiterin.

In einer Ecke der Bücherei ist das Licht abgedunkelt. Für das Bilderbuchkino von Maria Lang. Auf der Leinwand hinter der Vorleserin erscheint Frau Blum, gekringeltes Lockenhaar, rot-schraffierte Wangen, ihr Lächeln: ein fröhlich gebogener Strich. Es sind die Illustrationen aus dem Bilderbuch „Warum?, fragt Frau Blum“. Die Geschichte einer Erwachsenen, die anfängt, wieder Fragen wie Kinder zu stellen. Eines von zwei Büchern, die Lang diesmal für ihre kleinen Zuhörer vorbereitet hat.

Lang betreibt ihr Bilderbuchkino schon eine ganze Weile, seit siebzehn Jahren. Damals projizierten sie die Bilder mit einem Diaprojektor. Was hat sich nicht alles verändert seit damals. Schon die Kleinsten wissen, wie ein Smartphone funktioniert. Manche wischen über Papier, als ob sie einen Bildschirm vor sich hätten. Aber das Bilderbuch, es verschwindet nicht aus der Lebenswelt von Kindern. Im Gegenteil: „Es gibt heute so wunderbare Bücher“, sagt Lang.

Kinderbücher begleiten einen oft bis ins hohe Alter. Weil man mit ihnen lernt, die Welt zu lesen. Ohne Buchstaben zu kennen. Die Bücher geben erste Antworten auf die großen Fragen des Lebens. Sie lehren einen das Fürchten. Lachen. Träumen. Das vergisst man nicht. Seit 1967 gibt es den Internationalen Kinderbuchtag, begründet durch das Internationale Kuratorium für das Jugendbuch mit Sitz in Basel. Als Termin wählte die Bildungsorganisation den 2. April, den Geburtstag des dänischen Märchendichters Hans Christian Andersen. In diesem Jahr fällt der Tag auf den Ostermontag.

Kinder- und Jugendbücher brachten dem deutschen Buchhandel im vergangenen Jahr gut ein Sechstel seines Umsatzes. Das meldete der Börsenverein anlässlich der Leipziger Messe im März. Mehr als ein Fünftel des Geschäfts entfiel auf Bilderbücher. Das bedeutete ein Plus von über sechs Prozent – der Spitzenwert im gesamten Segment.

„Gerade im Bilderbuchbereich hat sich der Markt enorm entwickelt“, sagt Ruth Rousselange, Geschäftsführerin des Friedrich-Bödecker-Kreises im Saarland. Der gemeinnützige Verein bringt Kinderbuchautoren in Büchereien, auch regelmäßig nach St. Ingbert. Rousselange beobachtet, dass die Vielfalt an Bilderbüchern immer größer wird. Sie erkennt einen Trend: Bücher, „die kleine Kunstwerke sind“. Und sich allen Seiten des Lebens widmen. Auch dem Tod.

Bilderbücher zeigten dem Kind, wie die Welt funktioniert, sagt Rousselange. Durch die Bücher könne es sich im Alltag einordnen und wiederentdecken. Deshalb spricht Rousselange vom Bilderbuch als einem „Instrument zur Wiederfindung des Kindes in seiner eigenen Welt“. Das Vorlesen hat aus Sicht der Expertin eine große Bedeutung. Es stärke den Zusammenhalt zwischen Eltern und Kind. „Da entsteht eine intime Situation, die emotional, aber auch rational ist, weil dem Kind ja Wissen vermittelt wird“, erklärt Rousselange.

In der Stadtbücherei geht das Bilderbuchkino zu Ende. Julia Grüntjes und ihre Tochter Ilvi sind an diesem Nachmittag zum ersten Mal dabei. „Zu Hause haben wir Unmengen von Büchern“, sagt die Mutter von zwei Kindern. Grüntjes und ihr Mann lesen ihnen jeden Abend etwas vor. „Das ist mitunter die schönste Zeit des Tages“, findet die 38-Jährige. Zuerst habe man Geschichten erzählt. Auch selbst erfundene. Jetzt freut sich Grüntjes, nach und nach die eigenen Kinderbücher wieder aufzublättern. „Es ist schön, diese Bücher nochmal neu zu entdecken“, sagt Grüntjes. Mit einem Ziel: „Wir haben uns alle Bücher von Astrid Lindgren vorgenommen.“

Tochter Ilvi hat derzeit noch einen anderen Lieblingstitel: „Für Hund und Katz ist auch noch Platz“ von Axel Scheffler und Julia Donaldson, den Erfindern des „Grüffelo“. „Das ist eines der schönsten Kinderbücher, die ich kenne“, sagt Julia Grüntjes. Es handelt von einer Hexe, die eine unschöne Erfahrung macht. „Da ist ein Drache, der sie auffrisst“, beginnt die vierjährige Ilvi plötzlich, das Bilderbuch nachzuerzählen. So vergnügt, dass man wohl kein schlechtes Ende befürchten muss.

Das ist nicht bei allen Bilderbüchern so. Klassiker des 19. Jahrhunderts wie der „Struwwelpeter“ oder „Max und Moritz“ erscheinen heutigen Eltern oft zweifelhaft. Soll man Kindern zeigen, wie dem Daumenlutscher ein Finger abgeschnitten wird? Julia Grüntjes liest ihren Kindern aus dem „Struwwelpeter“ nicht vor. Anders verfährt sie mit Märchen. „Wir haben Märchen erzählt, aber verändert, dem Alter angepasst“, sagt sie. Kinder fänden eher kurios, was in Büchern wie dem „Struwwelpeter“ passiere, meint Expertin Rousselange. „Sie wollen nicht nur das Brave, Gewohnte, sondern manchmal lieber was Freches und Böses“, ist sie überzeugt. Kinder gingen viel unbefangener damit um als die Erwachsenen.

Um die Zukunft des Kinderbuches macht Karin Mostashiri sich keine Sorgen. „Die Verlage geben sich immer mehr Mühe mit der Gestaltung der Bücher“, hat die Leiterin der St. Ingberter Stadtbücherei beobachtet. Mostashiri ist sich sicher: „Gerade bei Kindern wird das Buch immer bleiben.“ Wenn sie Buch sagt, meint die Bibliothekarin das gedruckte Exemplar. Um Mostashiri herum stehen 13 000 Bände – allein in der Abteilung für Kinder und Jugendliche.

Aber in der Bibliothek dreht sich längst nicht mehr alles um Buchstaben auf Papier. Über das Internet lassen sich elektronische Medien ausleihen. „Onleihe“, heißt das. Und vor den Ferien suchen Familien bei Mostashiri stapelweise Hörbücher aus. Auch jetzt wieder, zu Ostern. Für lange Autofahrten. Oder ein wenig Ablenkung im Fernzug.

Vor einem der Regale hat Maria Lang Platz genommen, an einem kleinen runden Tisch. Nach dem Bilderbuchkino malen die Kinder noch ein Bild. Warum? Diese Frage hat die kleinen Zuhörer heute fasziniert. Nur bei einer Frage, die Lang gestellt hat, haben sie laut gelacht. Es ist eine Frage, auf die Eltern und Kinder seit Generationen keine Antwort finden: Warum ist die Banane krumm?

 Bibliothekarin Karin Mostashiri liebte als Kind vor allem „Hanni und Nanni“. Seit 1984 arbeitet sie in der Stadtbücherei.

Bibliothekarin Karin Mostashiri liebte als Kind vor allem „Hanni und Nanni“. Seit 1984 arbeitet sie in der Stadtbücherei.

Foto: Tobias Fuchs
 Julia Grüntjes und ihre Tochter Ilvi besuchen zum ersten Mal das Bilderbuchkino. Zu Hause liest Grüntjes jeden Abend vor.

Julia Grüntjes und ihre Tochter Ilvi besuchen zum ersten Mal das Bilderbuchkino. Zu Hause liest Grüntjes jeden Abend vor.

Foto: Tobias Fuchs
 Maria Lang präsentiert beim Bilderbuchkino immer zwei Titel. Sie sagt: „Es gibt heute so wunderbare Bücher.“

Maria Lang präsentiert beim Bilderbuchkino immer zwei Titel. Sie sagt: „Es gibt heute so wunderbare Bücher.“

Foto: Tobias Fuchs

Lesen Sie das ganze Interview mit Expertin Ruth Rousselange online unter: www.saarbruecker-zeitung.de/bilderbuch

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