Fast wie ein Finale zum Auftakt

Homburg · Grandios präsentierte sich wieder das Homburger Sinfonieorchester im Saalbau unter Jonathan Kaell mit populären und schwierigen Stücken.

 Unter Jonathan Kaell gab das Homburger Sinfonieorchester mit Andreas Becker am Solohorn einen begeisternden Konzertabend. Foto: Thorsten Wolf

Unter Jonathan Kaell gab das Homburger Sinfonieorchester mit Andreas Becker am Solohorn einen begeisternden Konzertabend. Foto: Thorsten Wolf

Foto: Thorsten Wolf

Was ist es, was klassische Musik ausmacht? Die Komplexität der Komposition? Die Vielteiligkeit der Instrumentierung? Der technische Anspruch? Am Ende all das und noch viel mehr - und nichts davon. Denn letztendlich gilt für die klassische Musik das, was für alle Genres unverrückbar Gültigkeit hat: Sie muss ihren Zuhörer erreichen, im Kopf, im Herzen, am besten gleich beides. Legt man jenseits der musikalischen Güte diesen Maßstab an, so ist dem Homburger Sinfonieorchester unter der Leitung von Jonathan Kaell am Sonntagabend im Kulturzentrum Saalbau erneut Großes gelungen.

Vom ersten Takt des "Capriccio Espagnol" aus der Feder von Nikolai Rimsky-Korsakov über Richard Strauss' Hornkonzert Nr. 1 mit Andreas Becker am Solohorn bis hin zu Antonin Dvoraks neunter Sinfonie "Aus der neuen Welt" riss das Orchester seine Zuhörer mit, lieferte gar in der leidenschaftlichen Präsentation von Rimsky-Korsakovs Werk gefühlt fast schon ein Finale als Auftakt.

Bei Beckers Soloauftritt am Horn gab es die ersten, stehenden Ovationen, am Ende des Konzertabends und einem furiosen Ritt durch Dvoraks "Neue Welt" hielt es viele vor Begeisterung nicht mehr auf den Plätzen.

Zu Pass kam dem Orchester dabei mit Sicherheit die "Publikumstauglichkeit" der Werke, Rimsky-Korsakovs "Capriccio" sperrte sich ebenso wenig wie Dvoraks Neunte, das so eingebundene Hornkonzert wusste schon alleine durch Beckers Kunst am Horn zu überzeugen. Gleichwohl es genau dieses Werk war, das Kaell, so der Dirigent in der Pause, am meisten "Sorgen" bereitet hatte. "Dieses Stück hat uns am meisten Nerven gekostet. Dieses ‚Rumfummeln' an Kleinigkeiten, die einem eigentlich gar nicht auffallen, zum Beispiel der Dialog zwischen Fagott und Streichern im dritten Satz - das ist so heikel, das geht so gerne schief. Da braucht nur einer eine Sekunde nicht aufzupassen, dann kollabiert mir der Laden." Tat er am Sonntag nicht, stattdessen bauten Andreas Becker als Solist am Horn und das Sinfonieorchester dem Komponisten Strauss ein kleines Hör-Denkmal.

Eine ganz besondere Herausforderung sei auch Dvoraks Sinfonie Nr. 9 gewesen - kein Wunder, gilt das Werk des tschechischen Komponisten doch als "Schlager" der Klassik, fast jeder hat das Meisterstück schon mal gehört, auch der, dem E-Musik eher fern liegt. Das schafft bei Hörern gerne genutzte Vergleichsmöglichkeiten - und da steht dann das Homburger Sinfonieorchester auch mal in einer ungewollten Konkurrenz-Situation mit den ganz großen Formationen der internationalen Bühne. "Man kriegt diesen Vergleich auf die Nase gebunden, man kann dem aber auch nicht ausweichen", gestand Kaell ein.

"Wir können ja nicht nur Stücke spielen, die man nicht kennt. Zum einen wäre das für die Orchesterkultur schlecht, zum anderen war dieses Stück auch ein inniger Wunsch des Orchesters." Dem sei er nachgekommen, auch wenn er selbst lieber Dvoraks achte Sinfonie gespielt hätte, "da bin ich gang ehrlich". Und nicht minder ehrlich räumte er zur Pause ein, dass ihm bei diesem Stück "nicht ganz wohl sei".

Doch Kaells Sorge war unbegründet. Natürlich musste das Sinfonieorchester bei Dvoraks Neunter an seine Grenzen gehen. Doch die Musikerinnen und Musiker meisterten diese Herausforderung, den Wechsel von Bombast zu leisen Tönen und wieder zurück mit einer Leidenschaft, die schlicht begeisterte.

Und mehr als eine Randnotiz des vergangenen Sonntags: Es gibt noch volle Ränge bei Klassik-Konzerten in Homburg - dann, wenn das Sinfonieorchester spielt. Mit den Jahren ist es dem Ensemble gelungen, ganz unterschiedliche Bevölkerungskreise für sich zu begeistern, dabei gerade auch zahlreiche junge Zuhörer. Das versöhnt ein bisschen mit den eher wenig nachgefragten Meisterkonzerten - und sollte der Stadt ein Fingerzeig sein.

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