Blick in die Chronik Erfolgsgeschichte: Limbacher „Drohtsäl“

Limbach · Heimatforscher Gerd Imbsweiler hat sich mit der Geschichte der vor 70 Jahren gegründeten Firma Casar beschäftigt.

 Sorgfältig gießt ein Mitarbeiter von Casar das Drahtseil ein, damit das Seilende unter Last nicht aus der Verankerung reißt.

Sorgfältig gießt ein Mitarbeiter von Casar das Drahtseil ein, damit das Seilende unter Last nicht aus der Verankerung reißt.

Foto: simmet press/Heinrich Simmet

Der breiteren Öffentlichkeit ist kaum bewusst, dass Limbach ein ansehnlicher Gewerbestandort ist. Prägend dafür: die Firma Casar, von den Limbachern nur „Drohtsäl“ genannt. Mit ihrer Ansiedlung begann Limbachs Wandlung vom Bauern- und Arbeiterdorf zum Gewerbestandort.

Das Gelände, auf dem heute die Casar steht, war ehemals landwirtschaftlich genutzt und in Privatbesitz. Joseph Verreet gründete 1948 die Firma. Später in „Cablerie Sarroise“, kurz Casar, wegen des französischen Marktes, umbenannt, wurde sie nach der Rückgliederung des Saarlandes wieder zu „Drahtseilwerk Limbach“.

Seilereien gibt es in Frankreich und Deutschland viele. Aber die Seile, die hier produziert wurden, waren besonders reißfest und fanden daher ihren Absatz – weltweit. Das Geheimnis des Erfolges hört sich simpel an: In der Halle laufen Maschinen, die in Eigenregie von Werksangehörigen konstruiert und gebaut wurden, um die angelieferten Drähte, zu (Casar-)Spezialseilen zu verdichten.

Die Patente, die im Laufe der Jahre in Limbach entwickelt wurden, waren die Voraussetzung des Erfolgs, wobei die wichtigste Patentanmeldung 1972 erfolgte: das Drahtseil mit Kunststoff- oder Kautschuklage, in dem Plastik zwischen Stahlherz (vorher Hanfherz) und Außenlitzen, die sich ins erwärmte Plastik drücken, angebracht wurde. Diese Spezialseile zeichnen sich dank des Stahlherzes durch hohe Bruchkraft aus und sind besonders reißfest. Immer dort, wo Spezialseile aus Sicherheitsgründen gebraucht werden, ist Casar ein Geheimtipp – bis heute.

Die Casar Drahtseilwerk Saar wurde am 15. September 1997 in die Verreetbeteiligungsgesellschaft umfirmiert mit den Eigentümern: Elisabeth Verreet, der Frau des Firmengründers, und deren Kinder. Am selben Tag erschien von Christian Verreet eine „Wichtige Mitarbeiter-Information“: „Die Paulsen Wire Rope Corporation, Sunbury, Pennsilvania, USA, die Drahtseile und Draht produziert, wurde zu 100 Prozent übernommen“. Und weiter heißt es: „. . . stärkt sie doch“, wie es weiter heißt, „die Casarposition im Inland, was auch zur Sicherung der Arbeitsplätze in Limbach beiträgt“. Umso größer war die Enttäuschung, als durch einen Bericht der Saarbrücker Zeitung vom 26. November 2013 publik wurde, dass die Verreet Beteiligungsgesellschaft 2007 von den Anteilseignern verkauft worden war, nämlich an die amerikanische Gruppe „Wire Co“ mit Sitz in Kansas City.

Die Casar-Beschäftigten, aber auch die Einheimischen fragten sich damals, ob das Unternehmen mit seinen 4000 Mitarbeitern der „Heuschrecken-Taktik“ zum Opfer fallen würde – nach dem Motto: einen Konkurrenten kaufen, um ihn „dicht“ zu machen. Diese Furcht zerstreute Oliver Fries, Leiter des Limbacher Werkes: „Unsere Produkte zählen weltweit zum Premiumsegment. So ein Werk macht man nicht dicht.“ Voller Stolz erzählt Fries, dass von seinen 350 Mitarbeitern manche schon in zweiter oder gar dritter Generation bei Casar sind. „Das hat ein ausgeprägtes Qualitätsbewusstsein zur Folge. Das kommt uns sehr zugute, denn Seilproduktion ist ein gutes Stück Erfahrungssache“.

Die Casar-Seile sind in Schiffshebewerken, beim Bau von Staudämmen, in Bergwerken und Kranen zu finden. Ein Schrägaufzug im Pariser Eifelturm funktioniert ebenso mit Casar-Seilen wie der spektakuläre Space Mountain im Disneyland Paris.

Für die Außenwelt begann die Geschichte 1947 im Nebenzimmer der Wirtschaft Jung, auf der „Windschnorr“. Dort hatten Rolf Schneider, Werner Schuler, Kurt Moser von der Drahtseilerei Dietz aus Neustadt bei Coburg und eine Schreibkraft ihr Büro eingerichtet, um sich mit dem Vorhaben „Bau eines Werkes zur Produktion von Drahtseilen“ vertraut zu machen. Diese Männer der ersten Stunde waren es, die dann die Geschicke der Firma Jahrzehnte begleiteten.

Doch warum Limbach? Im Krieg wurden Drahtseilfabriken als Produzenten kriegswichtiger Güter von den Alliierten systematisch bombardiert, auch die Firma Dietz. Den Produzenten fehlte vielfach das Kapital zum Wiederaufbau. Das war die Chance für Joseph Verreet, mit Dietz zu kooperieren: Alfred Dietz besaß das Know How, Spezialdrahtseile herzustellen, ebenso das dazu notwendige Personal, benötigte aber Geld, das er von Verreet erhielt – im Gegenzug erhielt er die Lizenz, Spezialdrahtseile herzustellen. Ein Geschäft auf Gegenseitigkeit mit Perspektive, wie sich herausstellen sollte.

Joseph Verreet war Inhaber der St. Ingberter Glasfabrik. Auf seinen Fahrten Richtung Mannheim benutzte er die Kaiserstraße, die Autobahn gab es noch nicht. Es lag nahe, sich ein Gelände entlang der Kaiserstraße auszusuchen. In Limbach wurde er fündig: Das vorgesehene Gelände „Auf den Pilgern“ zwischen Bahnlinie und Kaiserstraße gehörte zum großen Teil den Brüdern Ludwig und Fritz Lehmann.

Die Grundstücksbesitzer bekamen postwendend ihr Geld, und in erstaunlich kurzer Zeit standen die Bauten: die Halle, die Werkstatt, das Haus links der Einfahrt, darüber das Büro. Im Oktober 1949 verließ das erste Drahtseil die Firma Saarländische Drahtseilerei Limbach bei Homburg-Saar.

Wer, so fragten sich die Limbacher, ist der Investor? Woher kam das viele Geld? Schließlich mussten die Grundstücke gekauft, die Werkshalle, die Werkstatt, das Wohnhaus mit dem Büro bezahlt werden, nicht zu vergessen die Anschaffung der Maschinen und die Löhne für die Beschäftigten. Joseph Verreet besaß nach dem Krieg im Saarland mit Erhardt und Sehmer die größte Maschinenbaufabrik (1200 Beschäftigte), die Glashütte in St. Ingbert und war am Neunkircher Eisenwerk und der Firma Dingler in Bierbach beteiligt. „Fakt ist, dass Joseph Verreet als belgischer Konsul beim Einmarsch der deutschen Truppen von der Gestapo Besuch bekam, die sein damals beträchtliches Vermögen beschlagnahmten und ihn unter Verletzung seines Diplomatenstatus des Landes verwiesen“, so Roland Verreet.

Joseph Verreet hatte als junger Ingenieur für eine amerikanische Gruppe gearbeitet. Das belgische Konsortium Solway Libbey-Owens war Großaktionär dieser Gruppe, was die Bestellung des Landsmannes Verreet als technischen Vorstand verständlich macht. Dass die Delog (Deutsche Libbey-Owens-Gesellschaft für maschinelle Glasherstellung) Anteile an der Glashütte in St. Ingbert besaß, erklärt auch, warum Verreet in St. Ingbert wohnte. So lange die Nazis an der Macht waren, war der Ausländer Verreet aus vielerlei Gründen eine persona ingrata, die Wiedergutmachung erfolgte durch die Amerikaner: Er wurde bei der amerikanischen Gruppe wiedereingesetzt, eine Stelle, die er Jahre nach dem Krieg noch innehatte.

Die Drahtseilereien waren eine Zukunfts-Branche. Sie waren ausgebombt, brauchten zum Wiederaufbau Geld. Verreet kam vermutlich über den Ingenieur Werner Schuler in Kontakt zu Alfred Dietz von Dietz-Coburg. Im Krieg belieferte die Dietz-Seilerei die Marine. Minen, die im Meer mittels eines Seiles an einem Minenstuhl befestigt waren, warteten auf ihr „Opfer“. Das Seil musste in der unruhigen See einiges aushalten. Das Patent kam von der Firma Dietz. Der Mann, der im Auftrag der Marine die Fertigung der Seile abnahm, war der Marineoffizier und Ingenieur Werner Schuler. Nach dem Krieg heuerte er bei Dietz an und ließ sich schließlich von Verreet in Limbach anwerben.

Dass Limbach zum Sitz der Casar gewählt wurde, hatte mehrere Gründe: Das Saarland war französisches Wirtschaftsgebiet, in dem Dietz nicht wirtschaften durfte, Casar mit dem Sitz in Limbach sehr wohl. Beide Firmen waren sich einig: Dietz vermarktet seine Seile im deutschen Wirtschaftsraum, Casar bedient auf der Basis der von Dietz erworbenen Patente den französischen Markt.

Nachdem das Werk errichtet war und die Produktion anstand, mussten die Verseilmaschinen her. Die ersten lieferte die Maschinenbaufirma Ehrhardt und Sehmer, die Gussteile dazu kamen von Goma Mariahütte, später Firma Diehl (beide im Besitz Verreets). Als die Werkstatt stand, wurden von hier unter der Regie des Dietz-Mannes Kurt Moser die Maschinen in Eigenregie konstruiert.

Nachdem der deutsche Markt vertragsgemäß der Firma Dietz vorbehalten war – wohlgemerkt bis zur Rückgliederung – sollte das CasarSpezialseil nun auch auf dem französischen Markt vertrieben werden. Kontinuierlich wurde der französische Markt bearbeitet, unterstützt vom Büro in Paris, auch von zahlreichen Verkaufskontoren, sogenannten Corderies, in Paris, Bordeaux, Marseille oder in der Normandie. So fand Casar langsam aber sicher Abnehmer in aller Welt: In der Hauptsache in der Bauindustrie, in den Hütten und Gruben, in der Fischerei, bei der SNCF (Stellwerke) und in der Bohrindustrie. Auch das unter französischer Kontrolle stehende Sahara-Öl wurde zum Teil mit den hiesigen Spezialseilen gefördert, ebenso auf den Erdgasfelder am Fuß der französischen Pyrenäen. Um die französische Kundschaft mit einem inländischen Produkt zu bedienen, war die Gründung eines Zweigwerkes erforderlich. Alles, was von Limbach aus nach Frankreich ging, wurde über das Büro in Forbach abgewickelt. Der Aufbau der Märkte in Übersee und in Südostasien von Australien bis Südkorea, von den Golfstaaten bis Israel - ging Hand in Hand mit dem Export in über 60 Länder, was neben den Patenten auch den tüchtigen Verkäufern zu verdanken war.

 Das Gründer-Ehepaar Joseph und Elisabeth Verreet; im Limbacher Werk in den 50er Jahren.

Das Gründer-Ehepaar Joseph und Elisabeth Verreet; im Limbacher Werk in den 50er Jahren.

Foto: Repro: Imbsweiler

1998 konnte Casar in der Völklinger Hütte, im Weltkulturerbe der Unesco, das 50. Firmenjubiläum mit Kunden aus aller Welt begehen. Im gleichen Jahr hatte die Firma 285 Mitarbeiter, die Produktion betrug 10 000 Tonnen – bisheriger Rekord.

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