Sterben der Videotheken Ende einer Ära: Keiner leiht mehr Filme

Homburg · Videotheken in Deutschland verschwinden aus dem Stadtbild. Auch Wolfgang Essig schließt sein Geschäft in Homburg.

 Wolfgang Essig verkauft seine DVD’s und Blu Rays nun zum kleinsten Preis und löst sein Geschäft am Zweibrücker Tor in Homburg auf.

Wolfgang Essig verkauft seine DVD’s und Blu Rays nun zum kleinsten Preis und löst sein Geschäft am Zweibrücker Tor in Homburg auf.

Foto: Christine maack

Wolfgang Essig macht im Moment das, was einem Ladenbesitzer am meisten weh tut: Er verkauft seinen Bestand. „Am 30. April ist Schluss“, sagt er. Dann schließt er die Tür, dreht den Schlüssel herum und macht etwas anderes. Seine Wünsche für diese Woche sind bescheiden: Möglichst viel von seinem alten Bestand aus etwa 5000 Kassetten und Blu Rays noch unter die Filmfans bringen, „damit ich nicht auf den vielen Filmen sitzen bleibe“.

Die ellenlangen Regale sind noch gut gefüllt, Julia Roberts, Harrison Ford, Natalie Portman, Jake Gyllenhaal, Angelina Jolie oder Leonardo DiCaprio lächeln, schreien, springen, küssen oder schießen auf dem Cover. „Die großen Blockbuster sind immer am besten gegangen“, erinnert sich Essig, „auch wenn viele Leute in der Anfangszeit bei einer Videothek oft an die Sexfilme dachten und uns deshalb einen schlechten Ruf ankleben wollten.“ Dabei seien Sexfilme noch nie wirklich der Renner gewesen, „maximal 20 Prozent, damals in den 90ern“, erinnert sich Wolfgang Essig, „und heute interessiert es junge Leute überhaupt nicht mehr. Höchstens ein paar Ältere leihen sich noch Sexfilme aus. Wenn überhaupt.“

Die Videothek war von Anfang an eher ein Tummelplatz für Familien, die sich fürs Wochenende im Schnitt drei nette Filme mitnahmen. „Am Ende nur noch einen, dann gar keinen mehr“, sagt Essig. „Hollywood Movies and Games“ heißt sein Geschäft, das er als einer der Pioniere in der Saarpfalz schon 1976 begonnen hatte. Damals war er 16 Jahre alt, interessierte sich für Filme und konnte bei seinen Eltern einsteigen, die in Bexbach ein Radio- und Fernsehgeschäft betrieben. Mit Wolfgang Essigs Idee vom Filmverleih bekam das Geschäft seiner Eltern einen ganz neuen Schwung, die Videos gingen weg wie warme Semmeln, es begann die goldene Zeit der Videotheken. 1991, als die Ostdeutschen einen ungeheuren Nachholbedarf an Filmen hatten, die sie nie zu Gesicht bekommen hatten, gab es über 9000 Videotheken in ganz Deutschland, darunter oftmals zwei oder gar drei in einem einzigen Dorf in der ehemaligen DDR.

1987 eröffnete Wolfgang Essig seine erste große Videothek in der Homburger Fußgängerzone, „aber ich merkte bald, dass die Kunden mit dem Auto kommen, anhalten, die Filme abgeben und wieder abdüsen wollten“. Also zog er in die Erbacher Dürerstraße, wo er später allerdings unter der jahrelangen Baustelle zu leiden hatte, so dass er vor sechs Jahren schließlich eine große Videothek am Zweibrücker Tor in Homburg neben dem Netto-Discounter eröffnete. Eine weitere Filiale betrieb er in Zweibrücken in der Hofenfelsstraße. Diese musste schon vor einem halben Jahr schließen, denn seit etwa drei Jahren geht das Geschäft rapide bergab, „seit zwei Jahren ist es völlig zum Erliegen gekommen“, so Essig. Auch mit Selbstausbeutung hat er es versucht, „denn ich hänge ja schon an diesem Geschäft und bin selbst ein großer Filmfan. Ich mache das gerne, aber am Ende war ich bei dabei, über 30 Stunden in der Woche umsonst zu arbeiten. Irgendwann ist das nicht mehr zu vertreten.“ Wäre das Geschäft ein Nullsummenspiel gewesen, hätte Wolfgang Essig vielleicht noch ein bisschen weitergemacht, „aber wenn ich noch drauflegen muss, ist es nicht zu packen.“ Nun gibt es im Umkreis von 20 Kilometern um Homburg herum keine Videothek mehr.

Wolfgang Essig ist damit kein Einzelfall, in ganz Deutschland bricht die Branche ein: Waren es 2011 noch 2218 Geschäfte, blieben 2016 nur noch 914 übrig, jetzt sind es kaum noch 500. Der Niedergang kam schleichend, aber unaufhaltsam: Durch Videopiraterie gab es immer mehr Filme im Internet zu sehen und herunterzuladen.

Ein Produkt, das die Videotheken kostenpflichtig anboten, gab es nun gratis. Dann kamen Video-on-Demand-Anbieter wie Prime Video und Netflix hinzu, die den Videotheken endgültig das Wasser abgruben. Laut Marktforschern hatten derartige Dienste bis 2017 über 25 Millionen Nutzer in Deutschland. „Es ist aber nicht nur ein Kostenfaktor“, betont Wolfgang Essig, „es sind auch die hervorragend gemachten Serien wie ‚Game of Thrones‘ oder ‚House of Cards‘, die die Filmfans vor den Bildschirm bannten. Dann guckte man eben die meiste Zeit die Serien und hatte keine Zeit mehr für Filme.“

Der Tag habe schließlich nur 24 Stunden und davon könne man nicht noch Zeit abzwacken, um sich neben abendfüllenden Serien auch noch Leih-Videos anzuschauen. Wolfgang Essig kennt die meisten seiner Filme, er beriet seine Kunden gerne und kompetent und freute sich, wenn es positive Rückmeldungen über den einen oder anderen Film gab.

Er selbst steht auf kleine, feine Produktionen, „Arthaus-Filme“, sagt er. Zum Beispiel „Birnenkuchen und Lavendel“ oder „Hidden figures“, die Geschichte von drei schwarzen Frauen, die zur Zeit der Rassentrennung in den 50er Jahren in den USA mithalfen, komplizierte Berechnungen für die Nasa zu erstellen, „das ist so die Art Film, die ich gerne sehe“.

Auch über den französischen Komiker Dany Boon kann er sich amüsieren, „wir haben uns kürzlich über einen Film mit ihm kaputt gelacht“. Erst einmal wird es wohl für Wolfgang Essig aber nicht viel zu lachen geben: „Es macht keinen Spaß, einen Laden abzuwickeln, den man über Jahrzehnte betrieben hat.“

 Nun werden sämtliche Filme aus der Videothek verramscht. 

Nun werden sämtliche Filme aus der Videothek verramscht. 

Foto: Christine Maack

Nun werden 30 Jahre Filmgeschichte ab 2,50 Euro pro DVD verramscht. Viele Leute, die von der Schließung erfahren haben, sagen nun: „Dass ist schade, dass Sie aufgeben.“ Essig zuckt mit den Schultern: „Oft sagen es diejenigen, die seit drei, vier Jahren nicht mehr gekommen sind.“

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