Wo Generationen voneinander lernen

Saarbrücken · Vorlesungen in Kunstgeschichte, Philosophie oder Germanistik ohne die allgemeine Hochschulreife zu besuchen, ist über ein Gasthörerstudium ohne Probleme möglich. An der Saar-Uni ist dafür das Zentrum für lebenslanges Lernen zuständig.

 So kann ein Gasthörer-Studium an der Saar-Universität aussehen: Kunsthistoriker Bernhard Wehlen besucht mit seinem Kurs Kirchen in Saarbrücken und dem Regionalverband. Foto: Iris Maurer

So kann ein Gasthörer-Studium an der Saar-Universität aussehen: Kunsthistoriker Bernhard Wehlen besucht mit seinem Kurs Kirchen in Saarbrücken und dem Regionalverband. Foto: Iris Maurer

Foto: Iris Maurer

Sie kommen aus ganz unterschiedlichen Berufen, waren Lehrer, Naturwissenschaftler, Manager, Handwerker und haben dasselbe Ziel: mehr zu erfahren über Saarbrückens Kunstwerke und über Kunstgeschichte. Wenn sie sich freitags um 10 Uhr an einem Gebäude, einer Kirche oder auf einem Platz treffen, könnte man sie auch für eine Gruppe Touristen halten, die sich durch die Stadt führen lässt. Doch Bernhard Wehlen, der hoch gewachsene, schlanke Endvierziger, der sein graues Haar zum Zopf gebunden hat, ist kein Stadtführer. Der promovierte Kunsthistoriker arbeitet als Dozent. Auch für das Zentrum für lebenslanges Lernen , das an der Universität des Saarlandes das Gasthörerstudium organisiert. Das Zell, wie es abgekürzt heißt, hat Erfolg mit diesem Angebot. Von den rund 18 000 Studenten an der Saar-Uni sind etwa 700 Gasthörer. Wer sich für ein solches Studium einschreibt, braucht kein Abitur, muss aber eine Studiengebühr zahlen.

Die Beweggründe der Studierenden sind sehr unterschiedlich. Einige holen nach, was sie schon in jüngeren Jahren gerne getan hätten, andere suchen eine sinnvolle, geistreiche Freizeitbeschäftigung. Oder um mit einem Teilnehmer der Veranstaltung "Kunst in Saarbrücken " zu sprechen: "Wenn der Einkauf der Höhepunkt der Woche ist, wird es Zeit, etwas zu tun". Zum Beispiel Kirchen anzuschauen, an denen man sonst eher achtlos vorbeiläuft. Kunsthistoriker Wehlen geht mit seinen Studierenden durch Saarbrücken oder besucht Kunstwerke im Regionalverband. Das ist aber eher die Ausnahme. 95 Prozent der Gaststudenten sitzen in den Hörsälen oder Seminarräumen der Universität. Sehr gefragt sind Fächer wie Geschichte, Theologie oder eben Kunstgeschichte.

Das Angebot umfasst insgesamt nach Auskunft des Zell 700 Vorlesungen und Seminare aus 112 Studienfächern in acht Fakultäten. Gasthörer dürfen teilnehmen, wenn die Professoren oder Dozenten freie Kapazitäten melden. Labore, Fächer, die mit einem Numerus clausus belegt sind, oder überfüllte Veranstaltungen sind aber tabu, sagt Thomas Berrang, der das Zentrum für lebenslanges Lernen leitet. Schließlich sollen die Gäste - es gibt zwar auch Gasthörer unter 30 Jahren, fast die Hälfte aber ist über 60 Jahre alt - den eingeschriebenen Studenten keine Plätze wegnehmen. Im Gasthörerstudium, das Berrang als wissenschaftliche Weiterbildung in einer optimalen Lernsituation bezeichnet, sollen im besten Fall "die Generationen voneinander lernen". Das Zentrum für lebenslanges Lernen "verwaltet" nicht nur freie Plätze aus verschiedenen Fachrichtungen, es vergibt auch pro Semester 30 Lehraufträge.

Thomas Berrang macht den Dozenten in der Weiterbildung ein großes Kompliment. Sie seien, sagt er, "sehr häufig pädagogische Enthusiasten". Und die Gaststudenten können es sich ja auch erlauben, nach Sympathie zu entscheiden.

Zu Bernhard Wehlen gehen manche immer wieder, es kommen aber auch in jedem Semester Neue hinzu. Im Sommersemester 2010 hat er begonnen mit einem Kurs, der elf Teilnehmer hatte, inzwischen sind es zwei Kurse mit jeweils 20 Teilnehmern. Die Gasthörer dürfen dabei auch selbst Gebäude vorschlagen, die sie betrachten und besprechen wollen. Wehlens Ziel: "selbstbewusstes Sehen."

Seine Kurse sind sogenannte Brückenkurse. Sie sollen den ersten Kontakt zur Wissenschaft vermitteln und verstehen sich als Ergänzung zum Lehrangebot an der Universität. Dort öffnet die Kunstgeschichte etliche Veranstaltungen für Gasthörer. Dozent Wehlen mag die Brückenkurse, weil er die Gespräche mit den Gaststudenten mag. In diesem Sommersemester war er mit vielen Stammhörern unterwegs. Das Alter: "zwischen 40 und 80 Jahren". Wer ihm durch Saarbrücken folgt, entdeckt stets Neues. Und das Gaststudium in dieser Form hat einen schönen Nebeneffekt: Es ist wie ein Kurzurlaub in der Heimatstadt.

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Auf einen BlickDas Zentrum für lebenslanges Lernen an der Universität des Saarlandes organisiert derzeit nach eigenen Angaben das Gasthörerstudium für rund 700 Personen. Zum Sommersemester 2014 machte die Gruppe der Über-60-Jährigen mit 52 Prozent knapp die Mehrheit der Gasthörer an der Saar-Uni aus. Besonders beliebt ist das Fach Geschichte, darauf folgen Psychologie, Kunstgeschichte und Philosophie . Wer sich zum Winter- oder Sommersemester für ein Gasthörerstudium einschreibt, muss je nach besuchter Veranstaltung eine Semestergebühr von 60, 90 oder 200 Euro zahlen. red