Forscher-Wettstreit Wissenschaftler auf der Showbühne

Saarbrücken · Beim Science Slam präsentieren Studenten und Dozenten der saarländischen Hochschulen ihre Forschungsprojekte wie Entertainer.

Dass Professoren oder Studenten nach einem Vortrag mit frenetischem Applaus und Jubelrufen von einem jungen Publikum belohnt werden, kommt selten vor. Passieren kann es aber doch, wenn es sich bei der Veranstaltung nicht um eine trockene  Vorlesung oder ein Hauptseminar, sondern um einen sogenannten „Science Slam“ handelt. Das zeigte sich am vergangenen Freitag im Kinosaal der Camera Zwo in Saarbrücken, als sich sechs Akademiker zu einem anspruchsvollen, aber unterhaltsamen Schlagabtausch auf der Bühne des Arthouse-Kinos versammelten.

Science Slam bedeutet frei übersetzt wissenschaftliches Kurzvortragsturnier. Doch weil das nicht besonders spannend klingt, formuliert es der promovierte Informatiker Christoph Endres gern etwas salopper: „Science Slam ist die Kampfsportvariante der Lach-und Sachgeschichten. Ein wenig so wie bei der Sendung mit der Maus, eben nur für Erwachsene.“ Zweimal im Jahr laden er und seine Mitstreiter vom Kollektiv „Dichterdschungel“, das sich seit 2008 ehrenamtlich für Bühnenliteratur in Saarbrücken einsetzt, zum Wettstreit der Wissbegierigen.

Von Architektur über Biochemie bis hin zur Quantenphysik – thematisch sind den Teilnehmern eines Science Slams keine Grenzen gesetzt. Prinzipiell gibt es nur eine formale Voraussetzung: einen eigenen Forschungsansatz. Doch wer sich mit seinen wissenschaftlichen Erkenntnissen beim kritischen Publikum behaupten will, der lässt Fremdwörter und Fachbegriffe in der Gelehrtenstube und setzt stattdessen auf sein Showtalent. Denn innerhalb von zehn Minuten gilt es, dem Laien fundierte Informationen und komplexe Sachverhalte lebhaft und allgemeinverständlich zu vermitteln, gerne auch mit einer gehörigen Portion Selbstironie. Die Zuschauer entscheiden, wem das am besten gelungen ist.

Für Christoph Endres erfüllt die Veranstaltung, die meist ausverkauft ist, eine wichtige gesellschaftliche Aufgabe. „Wir möchten in erster Linie mit Vorurteilen und gängigen Klischees über Studienfächer aufräumen und zeigen, dass jede Wissenschaft unheimlich spannend sein kann.“ Vielleicht, so hofft er, eröffnet die Show einzelnen Zuhörern auch neue Horizonte. Sie könnte zum Beispiel Abiturienten bei ihrer Studienwahl weiterhelfen.

Wenngleich beim Science Slam oft eher männliche Vertreter aus dem technisch-naturwissenschaftlichen Bereich teilnehmen, sei eine breite Themen- und Geschlechtervielfalt ausdrücklich gewünscht. Ob die Teilnehmer von der Universität oder den saarländischen Fachhochschulen kommen, spiele dabei keine Rolle. „Je abwechslungsreicher, desto besser“, sagt Endres.

 Abwechslungsreich – das waren die sechs Vorträge am vergangenen Freitagabend in der Camera Zwo in der Tat. Präsentiert wurden Themen wie Künstliche Intelligenz, der Klimawandel, das Kommunikationsverhalten junger Internetnutzer und sogar, eine Premiere beim Dichterdschungel, der Glaube an Gott. Was Religion denn mit Wissenschaft zu tun habe, mag sich der aufmerksame Leser nun fragen. „Herzlich wenig, deswegen habe ich beim Science Slam auch nichts zu verlieren“, räumte der Theologe Tobias Sauer bereitwillig ein – und löste letztlich mit viel Witz und einem überraschend kritischen Vortrag Begeisterungswellen bei einem bekennend atheistischen Publikum aus.

Neben blutigen Anfängern wie der 22-jährigen Studentin Kristina Happel aus Saarbrücken behaupteten sich auch Wiederholungstäter beim inzwischen schon zehnten Science Slam des Dichterdschungels. So referierte Carrie Ankerstein, Dozentin für Angewandte Linguistik, bereits zum dritten Mal über die Form und Funktion menschlicher Sprache. Gewonnen hat die gebürtige US-Amerikanerin, die seit 2008 in der Anglistik der Saar-Uni lehrt und auch bundesweit an Slams teilnimmt, bisher zwar noch nie. Das sei aber auch gar nicht weiter schlimm. Denn beim Science Slam gehe es um viel mehr. „Es ist mir wichtig, für Sprache und ihren eminenten Einfluss zu sensibilisieren. Und wenn ich dabei auch nur einen einzigen Zuhörer für mein Fach begeistern konnte, dann kann ich von einem gelungenen Abend sprechen.“ Das mache ihr vor allem in ungezwungener Atmosphäre, jenseits von verstaubten Bücherregalen und trostlosen Seminarräumen, Spaß.

Die 22-jährige Kristina Happel, die gerade ihr Bachelorstudium in Wirtschaftspsychologie abgeschlossen hat und über das Lebensmittelmarketing in Deutschland aufklärte, sieht noch einen anderen, persönlichen Nutzen in ihrer Teilnahme. „Der Slam ist eine gute Übung für die Präsentationen, die wir im Studium oder späteren Berufsleben halten müssen.“ Denn dort punkte man insbesondere mit einem selbstsicheren Auftreten und der fesselnden Vermittlung seiner Ergebnisse.

 Doch woher kommt die Faszination, die junge Menschen am Freitagabend in Scharen zu einer Reihe von wissenschaftlichen Vorträgen zieht? „Zum einen liegt es am Unterhaltungs- und Lernfaktor, zum anderen an der Möglichkeit, Einblicke zu bekommen in Themen, mit denen man sonst überhaupt keine Berührungspunkte hat“, erklärt die Bachelor-Studentin Kathi Thiel. Und erinnert sich dabei an einen längst vergangenen Vortrag des Germanisten Ruven Karr, der bei ihr eine große Begeisterung für den deutschsprachigen Lyriker Paul Celan entfacht habe. Und auch für die Linguistin Carrie Ankerstein hat sich dieser Abend gelohnt – unter tosendem Applaus wurde sie erstmals zur Gewinnerin eines Science Slams gekürt.

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