Die Zahl der Betroffenen nimmt drastisch zu Wenn der Alltag an der Uni zur Qual wird

Saarbrücken · Immer mehr Studenten leiden unter psychischen Erkrankungen. Die Hochschulen im Saarland stellen dabei keine Ausnahme dar.

 Viele Studenten fühlen sich mit ihren Problemen alleingelassen. Doch die Universitäten bieten psychologische Beratungen an.

Viele Studenten fühlen sich mit ihren Problemen alleingelassen. Doch die Universitäten bieten psychologische Beratungen an.

Foto: Christin Klose/dpa-tmn/Christin Klose

Mehr Kurse, mehr Klausuren, wachsender Leistungsdruck und Zukunftsängste – ein Studium kann für viele schnell zur mentalen Belastung werden. Wie aus dem aktuellen Arztreport der Krankenkasse Barmer hervorgeht, führt das bei immer mehr Studenten zu psychischen Erkrankungen wie Depressionen, Angststörungen oder Panikattacken. Demnach leide inzwischen mehr als jeder sechste Student an solchen Symptomen, Tendenz steigend. Besonders ältere Studenten seien betroffen. Ab dem 28. Lebensjahr liege der Anteil der Studierenden mit psychischen Erkrankungen bei 3,9 Prozent, bei den Nicht-Studierenden seien es dagegen nur 2,7 Prozent.

Das Deutsche Studentenwerk (DSW) kommt zu ähnlichen Ergebnissen. Bei einer Umfrage des DSW erklärten 55 Prozent der Studenten, deren Studium aus gesundheitlichen Gründen beeinträchtigt ist, an einer psychischen Erkrankung zu leiden. Das entspricht einem Plus von 13 Prozent im Vergleich zum Jahr 2012. Von den Betroffenen gaben wiederum 63 Prozent an, durch die seelischen Probleme sehr stark im Studium beeinträchtigt zu sein.

Auf das Studium kann eine psychische Erkrankung gravierende Auswirkungen haben. Laut DSW wechseln beeinträchtigte Studenten beispielsweise deutlich häufiger ihren Studiengang und/oder die Hochschule. Sie unterbrechen ihr Studium zudem mehr als doppelt so oft und über einen längeren Zeitraum wie Studenten ohne Beeinträchtigung. Mehr als ein Drittel der erkrankten Studenten hat dem DSW zufolge schon mehr als zehn Hochschulsemester absolviert, unter den gesunden studiert weniger als ein Fünftel so lange.

„Irgendwann fing es schon morgens beim Aufwachen mit den Panikattacken an“, sagt Philip Meier, der seinen richtigen Namen nicht nennen will. „Ich würde gerne sagen, das war ich, der das gesagt hat. Aber es gab in der Vergangenheit schon Drohungen von Dozenten“, sagt der 22-Jährige, der in einem höheren Fachsemester an der philosophischen Fakultät der Saar-Uni studiert. „Da wurde dann mit schlechten Noten in der Abschlussarbeit gedroht, wenn sich jemand beschwert hat“, berichtet Meier. Sein Studiengang habe absolut nicht dem entsprochen, was die Uni versprochen habe. „Das Studium ist eine reine Mogelpackung“, sagt Meier. Seine Dozenten hätten zum Großteil kein Interesse an der Lehre und an ihren Studenten, es fehle zudem wegen Geldmangel am Nötigsten. „Die Probleme sind an der Uni längst bekannt, aber keiner tut etwas dagegen. Da fühlt man sich als Student einfach nicht ernst genommen.“

Die Situation an der Uni habe ihn völlig fertiggemacht, sagt Meier. „Ich hatte schon vorher psychische Probleme, durch das Studium wurde es dann richtig schlimm“, so der Student. „Als ich aus der Schule kam, dachte ich, jetzt wird alles anders, aber es ging an der Uni genauso weiter.“ Seine Probleme hätten sich in schweren Depressionen manifestiert. „Im ersten Semester war ich noch voll motiviert, gute Noten zu schreiben“, erzählt Meier. „Aber als ich gesehen habe, wie das hier abläuft, wollte ich das Studium nur noch möglichst schnell hinter mich bringen, einfach, um einen Abschluss zu haben.“ Er habe daher mehr Kurse gewählt, als die Regelstudienzeit vorsehe, was die Probleme noch verschlimmert habe. „Irgendwann saß ich in der Bibliothek, um vier Referate gleichzeitig vorzubereiten“, so der 22-Jährige. „Dann wurde mir klar, dass ich mich aktiv mit Dingen beschäftige, die ich hasse und die mich nicht interessieren.“ In dieser Phase hätten sich die Panikattacken verschlimmert, bis er irgendwann den Weg zur Uni nicht mehr geschafft habe.

Die wachsende Verzweiflung des jungen Mannes gipfelte dann schlussendlich in einem Suizidversuch. „Danach war ich dann zwei Monate in einer psychiatrischen Klink“, erzählt er. „Ich war so festgefahren in dem Gedanken, möglichst schnell fertig werden zu müssen, jetzt brauche ich erstmal etwas Abstand.“

Ob er im Sommersemester weiter studieren werde, weiß Meier noch nicht. Er habe aber wichtige Erkenntnisse für sich gewonnen. „Ich würde heute jedem ans Herz legen, nicht zu versuchen, vor seinen Problemen wegzulaufen“, so sein Rat. Er selbst habe seine Verfassung viel zu lange versteckt. „Ich hatte anfangs große Probleme, darüber zu sprechen, auch im Freundeskreis“, berichtet er. „Es ist nun mal nicht so, als erzähle man von einer Erkältung. Psychische Erkrankungen sind leider noch immer kein salonfähiges Thema.“

Diese Angst vor Ablehnung sei allerdings unbegründet gewesen, sagt Meier. „Ich bin immer davon ausgegangen, mit meinen Problemen allein zu sein, als ich dann endlich offen darüber geredet habe, haben meine Freunde total locker und verständnisvoll reagiert.“ Er habe erst dann realisiert, dass es vielen anderen Studenten ähnlich wie ihm gehe. „Ich hätte viel früher offen darüber reden sollen, dann wäre es wohl nie so weit gekommen“, sagt er heute.

Für Studenten an den saarländischen Hochschulen gibt es die Psychologisch-Psychotherapeutische Beratungsstelle (PPB) auf dem Campus der Saar-Uni. Dort werden Einzelgespräche und Gruppenworkshops für häufig auftretende Probleme angeboten. Die Nachfrage hat sich laut PPB seit Anfang der 1990er-Jahre fast verdoppelt. Rund 500 Studenten ließen sich pro Jahr in Einzelgesprächen beraten. Diese reichten vom wenige Minuten andauernden Gespräch bis hin zur mehrmonatigen psychotherapeutischen Begleitung bei Depressionen und anderen schweren psychologischen Beeinträchtigungen, so das PPB.

Die Hilfesuchenden seien in der Regel sehr jung. Vier Fünftel seien unter 30 Jahre alt, der überwiegende Teil studiere in den ersten drei Semestern. Die meisten fühlten sich überfordert vom Studium, hinzu kämen häufig noch persönliche Schwierigkeiten, unter anderem alterstypische Selbstwert- und Identitätsprobleme. Hier könne auch eine Verbesserung in der Studienorganisation unterstützend wirken, so die Einschätzung des PPB.

Auch bundesweit ist die Nachfrage ungebrochen hoch: Laut DSW haben 2016 in Deutschland rund 32 000 Studierende Einzel- und etwa 45 000 Gruppengespräche in Anspruch genommen.

Das DSW sieht vor allem die Politik in der Pflicht: „Die konstant hohe Nachfrage der Beratungsangebote zeigt, wie wichtig es ist, diese ausreichend zu finanzieren“, sagt DSW-Generalsekretär Achim Meyer auf der Heyde. „Das Deutsche Studentenwerk fordert deshalb von Bund und Ländern seit Langem einen Hochschulsozialpakt zur sozialen Infrastruktur, um die Qualität der Beratungsangebote zu erhalten und der sich wandelnden Studienrealität anzupassen.“

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